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2×5: Oliver Wronka, Sprecher/Schauspieler/Regisseur, „Justus“-Vorsitzender, 43 Jahre, 2 Kinder

2x5_oliver_wronka_ganzseitig_fotoarnelandwehr Interview Dirk Fellinghauer, Foto Arne Landwehr

BERUF

Was will „Justus“?

Justus Wiesbaden e.V. ist ein Verein zur Förderung kultureller Bildung von Kindern und Jugendlichen, den ich 2010 mit meinem damaligen Kollegen vom Jungen Staatstheater (JUST), Stefan Schletter, gegründet habe. Der Verein fördert entweder durch finanzielle Zuwendung, durch sein Netzwerk oder durch das Engagement der Mitglieder Projekte, Institutionen oder Initiativen, die durch niederschwellige, integrative oder inklusive Angebote in Wiesbaden und Umgebung kulturelle Teilhabe für Kinder und Jugendliche ermöglichen, die ihnen von Haus aus eher verwehrt ist.

Auf welche Resonanz stößt eure Arbeit in Wiesbaden?

Kurz nach der Gründung wurden wir regelrecht überrannt mit Anfragen und Angeboten, hatten aber so früh natürlich noch keine stabile Organisationsstruktur und passende Projekte. Das hat sich dann erst über die Jahre entwickelt. Da war der Hype um unsere gute Sache allerdings schon wieder rum. Momentan sind wir irgendwie einer von den vielen Vereinen in Wiesbaden, haben aber im letzten Jahr einiges an Mitglieder-Zuwachs bekommen und durch Carsten Kochan als zweiten Vorsitzenden jetzt wieder das JUST als wichtigen Kooperationspartner an unserer Seite. Unser Netzwerk wächst und ja, wir suchen Mitglieder und Spender…

„Bevorzugt fördern wir kleine lokale Projekte, bei denen mit wenig Geld viel erreicht werden kann“, schreibt ihr. Klingt traumhaft. Wie schafft ihr das?

Der Verein sammelt Spenden durch den Verkauf von Merchandising für das jeweilige Weihnachtsmärchen am Hessischen Staatstheater. Nach jeder Vorstellung können die Besucher da Plakate, Postkarten, das Hörspiel zum Stück usw. käuflich erwerben, der Erlös fließt zu 100 Prozent in die Vereinskasse. Mit diesem Geld unterstützen wir Projekte wie die Kunstkoffer, die inklusive Malwerkstatt von den Kunstwerkern, die Theaterpaten oder das Projekt „Theater auf Rezept“, um nur einige zu nennen. Das sind alles lokale Initiativen, bei denen wir mit den bescheidenen Beträgen zwischen 1500 und 3000 Euro doch wesentlich dazu beitragen können, dass sie ihre Arbeit machen können.

Du bist ganz nah dran: Wie erlebst du „die Jugend von heute“?

Hmmm, als großes Mysterium. Im Umgang mit Jugendlichen erlebe ich eigentlich nichts, was mich überrascht. Beim Festival „Youth Culture“ etwa habe ich fast nichts entdeckt, was es nicht schon zu unserer Zeit gegeben hat. Also frage ich mich, wo und wie die Jugend von heute sich von uns unterscheidet. Und ich habe das ungute Gefühl, dass ich die Antworten darauf nur im Internet finden kann.

Welche Aufgabe hat Theater heute?

Das Theater hat keine Aufgabe. Das Theater findet statt. Die Menschen, die Theater machen, haben die Aufgabe, die Menschen, die ins Theater kommen wollen sollen, verstehen zu lernen. Die Zeiten der Provokation, der Agitation, der Dekonstruktion und der Post-Dekonstruktion sind um. Theater ist Mensch im Dialog, nicht ex cathedra. Bescheidenheit wäre schön, offene Ohren und offene Arme. Meine Idee von Theater momentan ist, dass die Kulturelite unseres Landes sich aus ihren Elfenbeintürmen herablässt und mit den Flüchtlingen zusammen im Dialog die ersten Schritte im Tanz des gegenseitigen Verständnisses anführt.

MENSCH

Du bezeichnest dich als Sprecher/Schauspieler/Regisseur – entspricht die Reihenfolge den Schwerpunkten deines Schaffens?

Die Anordnung der drei Worte entspricht dem nicht, nein. Schauspieler bin ich schon lange. Das ist mein Weg, seitdem ich ein Bewusstsein fürs Theater habe. Das ist auch mein Diplom. Der Schauspieler ist die Basis für alle meine weiteren Entwicklungen. Sprecher bin ich erst seit ca. 8 Jahren. Sprechen macht mir unglaublich viel Spaß und leistet einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Ernährung meiner Familie. Seit letztem Jahr lese ich sogar Hörbücher ein. Die sind nicht alle hohe Literatur, und anstrengend ist es auch, aber ich lese halt gerne vor. Unter dem Begriff Regisseur verbirgt sich so ziemlich alles andere, was ich gerne mache und womit ich meine Brötchen verdiene: Texte, Konzepte, Inszenierungen, Gestaltung von Ideen, Kommunikation, Coaching und natürlich Regie.

Nach deiner Schauspiel-Ausbildung an der renommierten Berliner Ernst-Busch-Hochschule hast du nach nur zwei Jahren Festengagement in Zürich den Weg des freischaffenden Schauspielers gewählt. Weil du es wolltest oder weil du es musstest?

Ich wurde nicht verlängert. Die zweite Spielzeit in Zürich habe ich schon nichts mehr zu spielen bekommen. Das war Pech und es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich mir danach ein eigenes Selbstverständnis als Schauspieler aufgebaut hatte. Dazu haben auch etliche Gastengagements an verschiedenen Häusern wie Karlsruhe, Göttingen, Maxim Gorki usw. und weitere zwei Jahre im Kulturprekariat Berlins beigetragen. Wenn du da den Glauben an dich selbst verlierst, war’s das. Aber seitdem ich beschlossen habe, dass ich mir den Arbeitgeber aussuche, der zu mir passt, fühlt sich das ganz gut an. Wichtig für mich war auch die Erkenntnis, dass es nicht das Theater, Film oder Fernsehen sein muss. Anstatt auf den selig machenden Anruf von der Agentur XY zu warten, habe ich in Wiesbaden einfach erst mal mit Messebau angefangen, dann anderthalb Jahre im Sherry und Port gekellnert und ein Gewerbe für Innenausbau angemeldet. Ich baue immer noch gerne Hochbetten für meine Jungs…

Was gefällt dir so sehr an der Verwandlung?

Dass wir es alle machen. Täglich. Mehrmals. Rollenspiel, damit sehe ich meine beiden Jungs aufwachsen, das ist toll. Wir haben so ein irrsinniges Glück, dass wir uns täglich neu erfinden können, wenn wir wollen, dass ich nicht verstehe, warum die meisten Menschen ständig behaupten müssen, derselbe zu sein.

Wenn Wiesbaden eine Rolle in einem klassischen Theaterstück spielen dürfte – welche wäre das?

Helsingör – vielleicht bin ich einfallslos, aber wo verdammt nochmal bleibt dieser verzweifelte Sohn der Stadt, der den Mut hat, den Wahnsinnigen zu spielen, um den Stadtvätern ihre unmoralischen Taten in einem Theaterstück zu präsentieren?

Du bist zweifacher Vater. Auf welche Fragen deiner Söhne fällt es dir am schwersten, Antworten zu finden?

Die sind 6 und 8, da ist man als Vater noch nicht so herausgefordert. Natürlich kenne ich nicht jede Pflanze oder alle Spieler von Juventus Turin (um genau zu sein kenne ich nur Buffon), aber das können sie sich ja auch selber googeln. Viele Fragen hat unser Großer auch erst mal selbst beantwortet. Zum Beispiel glaubt er nicht an Gott. Okay. So in Erklärungsnot komme ich noch am ehesten, wenn es um Konflikte zwischen Menschen geht. Da merke ich dann immer mal wieder, wie kompliziert, vielschichtig und abgründig menschliche Beziehungen sind – und warum ich eigentlich Theater mache.

(Als Schauspieler ist Oliver Wronka derzeit am Hessischen Staatstheater in dem Stück „Patrick Anderthalb“ zu sehen. Infos und Aufführungstermine hier.)