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Alles ein wenig durchpusten: Aktionistisch und akribisch – Leander Rubrecht und die Kunst

Von Marc Peschke. Fotos Samira Schulz und Matthias Kolb (Sebastian Mögelin).

Kunst in Wiesbaden. Das ist seit mehreren Dekaden ein ziemlich abgestecktes Terrain, ein gleicher Zirkel mit nur wenigen personellen Änderungen. Die kulturellen Akteure sind viele Jahre die gleichen geblieben. Manchmal ist das von Vorteil, gelegentlich wünscht man sich mehr frischen Wind, mehr noch: einen kleinen Wirbelsturm, der alles ein wenig durchpustet.

Ein solcher ist der Galerist Leander Rubrecht, der sich seit nun ziemlich genau zwanzig Jahren auf vielfältigste Weise mit Kunst beschäftigt. Anfangs in Frankfurt, doch bald, nicht ausschließlich, aber vor allem in Wiesbaden.

Besucht man Leander Rubrecht in seiner Galerie, ist alles wie immer, so wie es schon vor zehn, vor fünfzehn Jahren war. Orte haben sich verändert, Galerieräume haben gewechselt, aber nicht die besondere Euphorie, die Rubrecht schon immer umwölkt. Euphorie, Leidenschaft, das immer neue Machen wollen, seine Augen blitzen dabei: Das ist Leander Rubrecht.

Seine Projekte, Ausstellungen, Kooperationen, Neugründungen sind ungezählt, doch seine Leidenschaft für eine unangepasste Kunst ist ebenfalls grenzenlos. Unangepasst? Was bedeutet das heute noch? Erinnern wir uns nur an die Ausstellungen der vergangenen Jahre in den Räumlichkeiten in der Büdingenstraße: Flachware an der Wand gab es eher selten, stattdessen: Fluxus-Kunst, strenge Konzepte, Mut zum Wilden, zum Hässlichen sogar, Theorie-Kram-Kunst, die man nicht so einfach konsumiert: Ein bisschen arbeiten muss man immer, wenn man die Ausstellungen bei „RUBRECHTCONTEMPORARY“ begreifen will.

Was für andere ein Widerspruch ist, denkt er zusammen

Das ist schon ungewöhnlich. Noch ungewöhnlicher allerdings, dass der 1970 geborene Ausstellungsmacher nicht nur verliebt ist in Kunst, in love ist mit Kunsttheorie und Philosophie, sondern dass er gleichzeitig eine Lanze bricht für neue Kooperationen mit der Welt der Wirtschaft. Kunst und Kommerz – das ist für Rubrecht kein Widerspruch, das denkt er immer zusammen. Mit seiner 2006 gegründeten Agentur „visuelleprojekte“ ist er auch Ansprechpartner und Art Consultant, wenn es um die kulturelle Aufwertung von Liegenschaften und Immobilien geht. Seine Schnittstelle: Real-Estate-Asset und Kultur. „Wir positionieren. Wir schaffen Begehren“, sagt er – auch das klingt ungewöhnlich für einen Galeristen.

Wie fing das alles an? Sohn eines Malers ist er, den er auch in seiner Galerie vertritt. Die erste documenta hat er 1977 als Kind besucht. Nach der Realschule macht er eine Ausbildung zum Mediengestalter, später besucht er die Akademie für Marketing-Kommunikation in Frankfurt.  1998 gründet er seine erste „Galerie Edition KunstWerk“, 2007 dann „KAISERandCREAM – internationale Plattform für Galerien“, 2010 „NIZZA DES NORDENS – Design + Fashion“ und 2016 „RUBRECHTCONTEMPORARY – Galerie für aktuelle Kunst“. Seit 2017 engagiert sich Rubrecht zudem für den deutsch-europäischen/chinesischen Austausch der Künste als Vorstandsmitglied und zweiter Vorsitzender im  „I O Cultural Network e.V.“.

Wir sitzen in seiner Galerie in der Büdingenstraße, sprechen, wie schon so oft. Sprechen über vergangene Kunstprojekte, über Kunstmessen, Kunstausstellungen, Lichtkunstfestivals, Pop-Up-Galerien und Performance-Events, die Rubrecht zusammen mit der Chinesin Juan Xu betreut hat. Wir sprechen über italienische Hemden, über Musik, über Kunst, über Wiesbaden als Standort für eine Galerie.

Einiges von dem, was Rubrecht in den vergangenen 20 Jahren auf die Beine gestellt hat, gehört zum Besten, was Wiesbaden in Sachen Kunst erleben durfte. Denken wir etwa an die große Ausstellung in der Mauritiuspassage, an Nächte in kleinen Pop-Up-Galerien, an Konzerte, an Performances, an ungezählte kuratierte Ausstellungen, die manchmal nicht auf den ersten Blick überzeugt haben. Begann Leander Rubrecht aber, über seine Konzepte zu sprechen, dann war man meistens auf positive Weise überrascht.

Er stellt Fragen, die nur einer stellt

Nach dem Projekt ist vor dem Projekt. Rubrecht ist gleichermaßen aktionistisch wie akribisch. Überhaupt ist sein Schaffen paradox. Mal erinnert er an einen Creative Direktor aus einer Werbeagentur (auf Ausstellungstitel wie „Blau ist kein Freischwimmer“ muss man erst mal kommen!), dann wieder an einen Kunsttheoretiker, der Fragen stellt, über die nachzudenken auf den ersten Blick gar nicht lohnt: „Ist etwas faktisch Blaues tatsächlich alternativlos?“, fragte uns Rubrecht etwa anlässlich der Ausstellung des Frankfurter Malers Xue Liu. Oder auch: „Kann ein Freischwimmer überhaupt existieren oder ist er nur eine positive Sichtweise eines Negativs?“ Das sind Fragen, liebe Kunstfreunde, die in Wiesbaden nur einer stellt: Leander Rubrecht.

Und diese Fragen machen ja immer Sinn, weil es in der Kunst, die Rubrecht vertritt, am Ende doch nicht um Theorien geht, um Konzepte, sondern um den Menschen und um das, was ihn umtreibt. Politisch ist die Kunst, die Rubrecht präsentiert: Künstler wie Deniz Alt, Katja Theinkom, Johannes Kriesche, Dirk Baumanns, Christine Straszewski, das Künstlerduo 431art oder der 2016 verstorbene Fluxus-Mitbegründer Ben Patterson reflektieren Politik, Wissenschaft oder den Kunstmarkt in einer sehr besonderen Haltung, seltener in Malerei, sondern gerne auch – eigentlich unverkaufbar – in raumfüllenden Installationen oder Performances.

„Das neue Rosa“ kommt aus Berlin-Hellersdorf

„Kultur ist keine Dienstleistung, sie ist eine Frage der Einstellung“, sagt Leander Rubrecht und hat damit natürlich vollkommen recht. Kunst als eine Frage der Einstellung betreibt auch der 1981 geborene, im Berliner Stadtteil Hellersdorf aufgewachsene Künstler Sebastian Mögelin. Eine Kunsthochschule hat er nicht besucht, warum auch? „Alles, was heute in der aktuellen Kunstszene so passiert ist eine wunderbare Spielwiese“, sagt Mögelin. Und spielt. „Ick hab allet aufjesaugt!“ Seine Malerei spielt mit Pop Art, streift die neue Figuration – und der Künstler stellt sich selbst in Frage: „Mal schauen, ob ich nächstes Jahr nicht sage: Reiß‘ den Mist von der Wand, das kann sich doch keiner anschauen!“

Gemalte Berliner Schnauze, irgendwie. Aber auch mehr: „Fiktion und Realität liegen dicht beisammen“, sagt Mögelin. „Wozu führt das heutige Streben nach Glück?“ Fragt der Künstler. Kurator Leander Rubrecht hat eine Antwort. „Das neue Rosa“ hat er die Ausstellung von Sebastian Mögelin genannt, die am Freitag, den 1. Dezember um 20 Uhr eröffnet wird.

www.rubrecht-contemporary.com

http://sebastianmoegelin.com/