Von Dirk Fellinghauer. Fotos Andrej Vasilenko, Daniel Mayer, Reto Schmid.
Kilian Engels ist nicht zu beneiden. Die Erwartungen sind immens an die Wiesbaden Biennale und damit auch an den neuen Künstlerischen Leiter des Theaterfestivals, das nun so lange nicht stattgefunden hat und das, als es zuletzt 2016 und 2018 unter der Leitung von Maria Magdalena Ludewig und Martin Hammer stattfand, so sehr für Furore gesorgt und die Stadt geradezu zum Explodieren gebracht hatte.
Kilian Engels ist die Ruhe in Person. Beim Redaktionsbesuch im Pressehaus ist ihm keinerlei Nervosität anzuspüren, wohl aber unbändige, und auch verschmitzte, Vorfreude auf das, was er – mit sensor als Medienpartner – im September in dieser Stadt veranstalten wird. Das Augenscheinlichste vorneweg: Der „Neue“ holt die Wiesbaden Biennale zurück ins Theater, lässt alle Häuser des Staatstheaters und nicht wie sein Vorgänger-Duo die ganze Stadt bespielen.
Jenseits starrer Genregrenzen
„Wie langweilig“-Reflexe kann man aber getrost unterdrücken, wenn man hört, was Kilian Engels in die Häuser bringen lässt. „In erster Linie wird es um theatrale Kunst gehen“, kündigt er an. Auf dem Programm der als „International Arts Festival“ auftretenden Biennale stehen 30 Veranstaltungen in 10 Tagen, eingeladen sind 14 Produktionen aus Ländern rund um den Globus. Engels plant ein „Festival als Ort des Erlebens, des Austauschs – ein Fest“ – und ein Ort der politischen und ästhetischen Auseinandersetzung jenseits starrer Spartengrenzen.
Theater aus dem tatsächlichen Leben
Der Theatermann mit „Radikal Jung“-Festivalreferenz hat daher ein Programm zusammengestellt, das sich weniger an literarischen Theatertexten abarbeitet, als vielmehr an den heutigen tatsächlichen Lebens- und Produktionsbedingungen der Teilnehmer:innen: „Das Festival wirft einen heutigen Blick auf Theater als eine postkoloniale, postnationale, und postdigitale Kunstform, die neue Realitäten verhandelt.“ So operieren die Produktionen im Kontext sich teilweise überlagernder aktueller Diskurse wie wachsender Nationalismus, erstarkende imperialistische Politik, Afro-Feminismus, LGBTQI+, Diversity, Transgender, sexuelle Fluidität, Black Lives Matter oder #MeToo.
Zu sehen sein wird etwa das Tanz-Gastspiel von Trajal Harrell und seine Hommage auf Keith Jarrets legendäres „Köln Concert“ (Foto), eine Protest-Performance des chilenischen Frauenkollektives LASTESIS oder die Performance von Samira Elagoz , ein finnisch-ägyptischer transmaskuliner Film- und Performance-Künstler mit überwiegend weiblicher Vergangenheit. Das multidisziplinäre
Relaxation ist angesagt bei der Installation Sun & Sea (Foto oben). Die Bühne wird zum Strand, voller Menschen unterschiedlicher Generationen, die in scheinbarer Idylle ihren Badeurlaub genießen – eine subversiv-hintergründige musikalische Performance.
Aufregendes Kollektiv aus Kenia
Das 2012 gegründete multidisziplinäre The Nest Collective aus Kenia gehört auch zu den Teilnehmenden der am 18. Juni beginnenden documenta fifteen in Kassel. Mit ihren innovativen Formaten, die Film, Musik, Mode, Bildende Kunst, Literatur und politischen Aktivismus miteinander vereinen, gehören sie zur Zeit zu den spannendsten Kunstkollektiven weltweit. Zusammen mit The Nest Collective und in Kooperation mit der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland e realisierte ein Frankfurter Filmproduktion deerzeit eine Dokumentation über die Arbeit von schwarzen Aktivist*innen im Rhein-Main-Gebiet und in Nairobi.
Diese neu produzierten Dokumentationen werden Teil der Arbeit „The Feminine and the Foreign (F+F)“, die The Nest Collective bei der Wiesbaden Biennale zeigt. Ähnliche Projekte hatte das Kollektiv bereits in London und Kapstadt realisiert. Auf Wunsch der
Künstler*innen ist aktuell ausschließlich ein rein „schwarzes“ Team an der Produktion beteiligt.
sensor präsentiert: Wiesbaden Biennale 2022. 1. bis 11. September 2022. Das vollständige Festivalprogramm wird am 1. Juni vorgestellt und veröffentlicht. Der Vorverkauf startet am 2. Juni um 10 Uhr. Die Biennale auf Instagram und im Internet: www.wiesbaden-biennale.eu
Zurück in den Elfenbeinturm. Passt zum Konservativen Wiesbaden.
Genau… in die Stadt rauszugehen ist auch echt zu anstrengend…