(Heute Abend – 14.10.2019 – läuft „Sylvi’s Bumerang“ im sam – Stadtmuseum am Markt, Dernsches Gelände! Ab 19 Uhr zeigen wir den Dokumentarfilm im Beisein des Regisseurs, der im Anschluss für Fragen zur Verfügung steht. Mitglieder des Fördervereins Stadtmuseum haben freien Eintritt, alle anderen Besucher*innen zahlen sechs Euro und fünf Euro ermäßigt.)
Von Inka Mahr, Fotos nanook Pictures
Ein Kinofilm huldigt der Kultkneipe „Bumerang“ und der legendären Wirtin Sylvi. Und erzählt dabei auch ein Stück Stadtgeschichte.
Wellritzstraße 18, rauchverhangen hinter blickdichten Scheiben und einem dicken Vorgang lag der lange Schlauch: Wiesbadens Kultkneipe Bumerang. Und hinter dem Tresen stand Sylvi. Von der Eröffnung 1960, gemeinsam mit ihren beiden Brüdern, bis zur Schließung 2010 war sie die gute Seele, die dem Etablissement Seele einhauchte. „Der Bumerang war eigentlich immer etwas Besonderes wegen seiner Wirtin, einer ganz wunderbaren, einmaligen Frau“, sagt der Filmemacher Thomas Lawetzky, „die sich um ihre Gäste kümmerte und auch alle kannte und deren Geschichte kannte und mit vielen auch privat zu tun hatte. Das war rund um den Tresen so `ne eingefleischte Gemeinde.“
In dem Lokal, das so ganz anders war als all die anderen in der Stadt, saß ab den sechziger Jahren – „Arsch an Arsch“, wie eine Zeitzeugin im Film sagt – die Wiesbadener Subkultur. Politiker wie die „rote Heidi“ Heidemarie Wieczorek-Zeul und der ehemalige Oberbürgermeister Achim Exner zählten ebenso zu den illustren Gästen wie die linke Szene und Wiesbadener Künstler. Einmal drin, immer wieder hin: Die Stammgäste liebten Sylvelin Bernhardt („Ihr großes Herz und ihr wacher Geist sind legendär in der Landeshauptstadt“, heißt es im Booklet) und ihren Bumerang. Sie gingen immer wieder in ihr „Wohnzimmer“, über Jahrzehnte hinweg. Rauchten, tranken, diskutieren und wurden gemeinsam älter.
Mit 25 angefangen, mit 75 aufgehört
Doch die Zeit der echten Szenekneipen, wie es sie in früheren Jahrzehnten gab, ist wohl vorbei, 2010 war nach einem halben Jahrhundert für den Bumerang Schluss. „Sylvi hat angefangen mit 25 und aufgehört mit 75. Und dann ist es ja auch mal gut irgendwann“, erklärt der Filmemacher lapidar. Zudem seien die letzten fünf Jahre „nicht mehr so die Zeit für solche Kneipen“ gewesen, und die Auflagen hätten einen Komplettumbau erfordert.
Auch nachdem die Kneipe längst nicht mehr ist, gerät die ehemalige Wirtin nicht in Vergessenheit. Die herzensgute Frau, deren Eltern einst das Café Kühn betrieben, bleibt eine Wiesbadener Institution. Zu ihrem 80. Geburtstag plante ein ehemaliger Gast, der bekannte Designer und Typograph Albert Ernst, ihr zu Ehren ein kleines Heft mit persönlichen Erinnerungen zusammenzustellen. Zweihundert Stammgäste von damals wollten schließlich mitmachen, und herausgekommen ist ein 300 Seiten starkes, fünf Kilo schweres Buch. Es liefert nun einen roten Faden für den Film, der, packend und emotional, vor allem von den präzisen, anschaulichen und immer witzigen Erzählungen der Protagonistin lebt. Der Regisseur schwärmt von der „wunderbaren Erzählerin mit einem unglaublichen Erinnerungsvermögen“.
Thomas Lawetzky kannte den Bumerang von seinen Glanzzeiten bis zum Schluss, war selbst jahrzehntelang hier zugange, bevor er nun einen Film über Wiesbadens erste und einzige echte Szenekneipe ihrer Art – an der Peripherie des in Siebzigern und Achtzigern berühmt-berüchtigten „Bermudadreiecks“ – drehte. Die Idee hierzu hatte er bereits in den 90er Jahren, einige Sequenzen drehte er schon damals. Nun hat er – zusammen mit seinem Neffen, dem Kameramann Matthias Lawetzky – Sylvi und dem Bumerang ein Denkmal gesetzt. Aus vielen Stunden Interview mit der rüstigen Mittachtzigerin und weiteren Zeitzeugen ist in eineinhalb Jahren eine 77-minütige Dokumentation über eine Kneipe und ihre Wirtin, und gleichzeitig ein faszinierender Beleg gelebter Wiesbadener Stadtgeschichte, entstanden.
Die erste Platte in der Jukebox
Die anrührende Einstiegszene, soviel sei verraten, zeigt Sylvi und ihren ersten Freund heute, vor der Wellritzstraße 18. Sie schauen durch die Scheibe, blicken zurück, erinnern sich. „Weißt du noch, was die erste Platte war, die wir 1960 in die Musicbox getan haben?“ fragt Sylvi. „Ja, das war der Red River Rock von Johnny and the Hurricanes!“. „Weißt du noch, wie der ging?“ Und dann fängt Horst an zu singen. Das musikalische Thema für den Film, dessen Plakat die erste Karte der Gaststätte zeigt und in dem die legendäre Wurlitzer (die nach der Schließung bei einem ehemaligen Gast aus Biebrich ein neues Zuhause fand) eine nicht unbedeutende Rolle spielt, war gefunden.
Der Film ist als DVD im Wiesbadener Kurier-Kundencenter sowie über die Buchhandlung Vaternahm erhältlich.