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Das große 2×5-Interview: Olga Zaitseva, Musikerin, 27 Jahre

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Interview Dirk Fellinghauer. Foto Simon Hegenberg.

Du bist Sängerin, Geigerin, Bandchefin, Orchestermusikerin, Dozentin – haben wir etwas vergessen?

Ich habe immer schon sehr viele verschiedene Sachen gemacht. Am Anfang ging es nicht anders, und dann ist es mein Stil geworden. Ich habe zuerst Violine, dann Soundregie studiert und den Master in Biologie gemacht und dann Gesangspädagogik in Wiesbaden. Meine Familie sind alles Professoren in Mathematik und Physik, und sie wollten, dass ich unbedingt zuerst einen „richtigen“ Beruf lerne, und dann erst durfte ich Musik machen. Ich wollte aber nicht warten und habe es dann beides gleichzeitig gemacht. Ich unterrichte auch seit vielen Jahren, Gesang und Violine.

Wie bekommst Du alles unter einen Hut?

Bis jetzt ist es mir leider nicht gelungen, an verschiedenen Orten gleichzeitig zu sein. Aber ich arbeite daran! Ich liebe es, ganz viele Sachen unter einen Hut zu bringen. Ich liebe meinen Job, und ich musste dafür auch kämpfen und meiner Familie beweisen, dass ich tatsächlich Musikerin werden will. Dadurch hat sich mein Willen verstärkt. Ich habe einfach eine sehr starke Motivation und gebe mir Mühe, dass alles gut wird.

Hier in Wiesbaden bist Du vor allem für dein Bandprojekt Zaitsa bekannt – was ist die Idee hinter dieser Band?

Zaitsa war ursprünglich ein Projekt, mit dem wir zur Eröffnung der Olympiade nach London eingeladen wurden. Es ist ein Zusammenklang von ukrainischer Folklore mit Elementen der russischen Folklore, von Pop, Balkan, Jazz und Klassik, und jetzt kommen verstärkt meine eigenen Sachen dazu. Durch die ganze Situation in meiner Heimat  habe ich plötzlich mein eigenes Projekt viel besser verstehen können. Ich komme aus der Ost-Ukraine, aus einer russischsprachigen Familie, habe aber in Kiew studiert, auf Ukrainisch. Mittlerweile spreche ich gemischt, in beiden Sprachen. Jetzt, wo das alles passiert in meiner Heimat, denke ich, dass es eigentlich ganz gut ist, dass ich auf beiden Sprachen singe und spreche. Man darf ein Land nicht teilen durch irgendwelche sprachliche oder geographische Abgrenzungen. Nun bin ich sogar motiviert, andere Sprachen in das Projekt aufzunehmen.

Du trägst eine besondere Kopfbedeckung. Was hat es damit auf sich?

Das ist ein Teil des ukrainischen Folklorekostüms, ein Blumenkranz. Das haben die Mädchen vor Jahrhunderten noch im Dorf getragen. In der Ukraine wird der Kranz auch  „Heiler der Seele“ genannt, weil geglaubt wird, dass ein Kranz aus Blumen oder duftenden Kräutern  Schmerzen lindern, Kraft geben, beruhigen aber auch wecken kann. Oft versuche ich mich so ähnlich anzuziehen wie auch mein musikalischer Stil ist, also ukrainische Folkloreelemente zu kombinieren mit etwas Modernem. Wenn ich ohne Blumenkranz auftrete, kommen direkt Leute und fragen: Wo ist denn ihr Blumenkranz, ich habe sie gar nicht sofort erkannt. Das ist schon ein Erkennungszeichen geworden für mich, und jetzt durch die aktuelle Berichterstattung umso mehr.

Welche Ziele hast Du für deine weitere Karriere?

Ich versuche, Ziele nicht zu pragmatisch zu sehen. Kunst ist eine Herzenssache, und sobald man dem Herz sagt, was es zu tun hat, kann es nicht funktionieren. Deshalb versuche ich einfach, dass auf meine Musik zu übertragen, was mein Herz sagt. Wir wollen mit unserer Musik sagen, dass alle friedlich miteinander leben sollen. Musik bringt Menschen näher, und wir wollen einfach über die Musik positive Energie ausstrahlen und den Leuten die Möglichkeit geben, vielleicht auch mal traurig zu sein und die Emotion zuzulassen, wenn es sein muss, dann ist Musik auch eine Art Therapie.

 

MENSCH

Wann und wie hat es Dich nach Wiesbaden verschlagen?

Eigentlich war es Wikipedia und die Liste der deutschen Musikhochschulen. Da habe mich einfach umgeschaut. Wiesbaden klang sehr interessant. Da habe ich mich einfach beworben und wurde auch eingeladen. Und es hat tatsächlich geklappt! Darüber freue ich mich immer noch jeden Tag. Ich kann mich sehr gut erinnern an den ersten Tag in Wiesbaden. Ich hatte einen kleinen Koffer, es hat geregnet, es war sehr kalt, und ich hatte unglaubliche Lust, auf jeden Fall hier zu bleiben, um zu studieren. Ich wollte einfach, dass es klappt. Ich wollte nicht Mozart auf Russisch singen, sondern im Land von Beethoven, Schubert, Schumann und alles „aus erster Hand“ bekommen. Es war sehr aufregend und auch sehr kompliziert und ein langes Prozedere, das Visum zu bekommen. Aber diese Freude, als es schließlich geklappt hat, kann ich heute noch ganz so stark spüren wie damals.  

Die Welt schaut auf die Ukraine. Wie erlebst Du die Situation?

Sehr aufregend. Sehr traurig. Sehr bunt gemischte Emotionen. Man hat eigentlich jede Nacht Albträume, weil man nicht weiß, was passiert. Ich wache jede Nacht mehrmals auf, um Nachrichten zu lesen aus verschiedenen Quellen. Ich mobilisiere alle gedanklichen Kräfte, um stark daran zu glauben, dass alles gut wird, weil es einfach keinen Krieg geben darf. Das will bei uns kein Mensch. Viele meiner Freunde in Kiew posten Videos und erzählen, wie es abgeht, wie die Situation wirklich ist. Das ist natürlich die erste Quelle, der ich vertrauen kann. Ich habe auch Kontakt mit meiner Familie und mache mir große Sorgen.

Wünschst Du dir manchmal, jetzt in deiner Heimat zu sein anstatt hier?

Als die Proteste sich verstärkt haben, war es schwer für mich hierzubleiben. Ich gebe mir jetzt von hier aus Mühe, als Künstlerin diese ganze Sache zu verarbeiten. In den  Momenten, wo ich an neuen Liedern arbeite, kann ich die Tränen schwer zurückhalten. Ich schreibe auch über die Mütter, die ihre Söhne verloren haben oder die Frauen, die ihre Männer verloren haben und Kinder, die ihre Väter verloren haben. Oder anders gesagt, über einen Mann, der gleichzeitig Sohn, Ehemann und Vater ist. Im Krieg ist es immer so: Einige Menschen haben starke Interessen, und dafür müssen aber immer die anderen sterben. Und das ist genau die Sache, die sehr ungerecht ist.

Was macht „die“ Ukrainerin, „den“ Ukrainer aus?

Sie sind sehr gastfreundlich, auf jeden Fall. Ukrainische Frauen sind auch dafür bekannt, dass sie sehr gerne und gut kochen. Die Familie wird sehr wertgeschätzt. Die Ukrainer haben einen starken Willen. Sie sind auch sehr begeistert vom Westen, von Deutschland und Europa und freuen sich auch tierisch, wenn Ausländer in die Ukraine kommen. Sie sind sehr neugierig. Und sehr friedlich. Sehr friedlich!  

Du bist durch und durch Musikerin. Bleibt da noch Platz für andere Interessen?

Musik, Musik, Musik! Und natürlich auch Kochen. Ich habe mir vorgenommen, eine große Party zu machen, wenn kein bewaffneter Mensch in der Ukraine bleibt und das ganze Militär raus ist. Dann will ich auf jeden Fall eine sehr große Party mit ukrainischen Nationalgerichten machen, so dass alle kommen und sagen: Juchhu, diese Küche mag ich. Und das Land auch.

Zaitsa spielt auf der Abschlussparty des goEast-Festivals am 15. April im Kulturpalast. Wir verlosen 3×2 Freikarten: losi@sensor-wiesbaden.de