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Das große 2×5-Interview: Johannes Jäger, Leiter JIZ Jugend-Info-Zentrum, 38 Jahre, 1 Tochter (6 Jahre)

Interview: Dirk Fellinghauer. Foto Arne Landwehr.

BERUF

Warum gibt es das Jugend-Info-Zentrum JIZ – und für wen?

2017 gab es die große Jugendbefragung der Stadt Wiesbaden. Das war eine richtig coole Sache, ich war aber erstmal skeptisch, was mit den Ergebnissen passieren würde. Doch die Studie führte zum „Handlungsprogramm Jugend ermöglichen“. Die Jugendlichen hatten sieben Schwachstellen in Wiesbaden aufgedeckt, wo sie sich Veränderung wünschen. Zwei decken wir mit dem JIZ ab: Partizipation – die jungen Menschen fühlen sich nicht beteiligt und oft auch machtlos – und die Jugendinformation. Sie fühlen sich nicht informiert. Unser Angebot hierzu war eigentlich nur digital geplant. Wir hatten aber Leuchtturmprojekte in anderen Städten angeschaut, und da kam heraus, dass es doch einen physischen Ort braucht. Wir bieten nun die Homepage www.jiz-wiesbaden.de und das JIZ selbst in der Schwalbacher Straße.

Und was genau bietet ihr den jungen Menschen, die das JIZ ansteuern?

Schon unsere offene Fensterfront soll ein Signal an die Jugendlichen sein: Jeder, der herkommt, ist bei uns richtig. Alles, was eine junge Person beschäftigt, ist wichtig – wenn jemand sagt, ich habe meinen Bus verpasst und weiß nicht wohin, genauso, wie wenn jemand sagt, ich habe einen offenen Konflikt mit den Eltern oder ich habe mich gerade von Freund oder Freundin getrennt. Jugendliche können mit vielen Themen kommen, wir lotsen sie durch Fragestellungen. Vieles dreht sich um das Thema Behördendschungel in Sachen Wohnung, Ausbildung, Beruf, Bürgergeld, Versicherungen, Schulden. Wir stellen auch unsere Räume zur Verfügung – Gruppen nutzen das JIZ für Seminare, eine Improtheatergruppe probt hier, Jugendparlament und Stadtschüler:innenrat können ihre wichtige Arbeit auch jenseits des Rathauses sichtbar machen.

Was lief im ersten JIZ-Jahr wie erwartet, was eher nicht?

Das JIZ ist gut angelaufen. Anfangs hatten wir sechs bis acht gezielte Besuche am Tag, jetzt sind es etwa zehn. Etwa die Hälfte kommt mit konkreten Anliegen, die anderen nutzen es einfach als Treffpunkt, zum Chillen, Hausaufgaben machen, zum Internetsurfen oder Handy aufladen. Wichtig ist Vertrauen. Es kann ein erster Schritt sein, „einfach so“ vorbeizukommen, und vielleicht ergibt sich später eine konkrete Problemstellung, bei der wir helfen können. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es nicht so einfach ist, junge Menschen zu einem genauen Zeitpunkt an einen Ort zu bringen. Deshalb machen wir das jetzt individueller: Du hast ein Problem, wir sorgen für eine schnelle Antwort. Auch die Klicks auf der Webseite und die Resonanz auf den Instakanal sind gut.

Was hat es mit der 1. Wiesbadener Jugendkonferenz „Youth Happens“ auf sich, die ihr Anfang November veranstaltet?

Als junger Mensch kann ich mich nur einbringen, wenn ich über die Möglichkeiten informiert bin. Junge Menschen haben unserer Erfahrung nach sehr gute Ideen. Die Jugendkonferenz soll ihnen Möglichkeiten geben, ihre eigenen Projektideen aufzuzeigen und gemeinsam mit der Verwaltung und Akteuren der Stadtpolitik zu schauen, wie man diese angehen und konkretisieren kann. Die Idee dahinter ist: Demokratie kann gelehrt werden, aber um nachhaltig etwas mitzunehmen, lernen es junge Menschen bestenfalls an ihren eigenen Projekten. Wenn sie erfahren, was es alles bedeutet und welche Prozesse es erfordert, dann können sie sich auch für ihre Belange anders einsetzen. „Youth Happens“ soll auch den Weg hinter Entscheidungen erfahrbar zu machen. Jeder Mensch kann ein Nein akzeptieren, wenn er eine Begründung dafür bekommt. Dieser Part fehlt aber oft, die Jugendlichen hören nur ein Nein.

Wie inklusiv ist das JIZ?

Viele Kolleg:innen bringen Berufserfahrung aus dem Bereich mit, ich selbst habe vor meinem Studium der Sozialen Arbeit eine Erzieherausbildung in einer Behinderteneinrichtung gemacht. Mit der Novellierung Sozialgesetzbuch 9 ist es auch Aufgabe der Jugendarbeit, inklusiver zu arbeiten. Wir kooperieren mit allen Schulformen. 2024 werden wir das Thema Barrierefreiheit verstärkt angehen, nicht nur in Bezug auf die Zugänglichkeit zu Gebäuden.

MENSCH

Wie war deine eigene Jugend?

Meine eigene Jugend war sehr schön. Ich bin an der Mosel in der Nähe von Trier im ländlichen Raum aufgewachsen. Ich hatte viele Freiheiten, war viel unterwegs mit meinen Peergroups. Ich hatte auch ein sehr offenes Elternhaus, dass mich sehr positiv unterstützt hat auf meinem Weg und bei meinem Werdegang.

Würdest du gerne mit „der Jugend von heute“ tauschen?

Nicht wirklich. Ich bin zu einer Zeit aufgewachsen, als es noch viele Sicherheiten gab, auch für die eigene Persönlichkeitsentwicklung. Heute muss die Jugend mit sehr vielen Krisen umgehen, hat viele Ängste und Zukunftsängste.

Was bedeutet für dich Erfolg?

In der sozialen Arbeit ist es schwierig, von Erfolgen zu sprechen. Die Messbarkeit sozialer Arbeit ist begrenzt. Meine Motivation für soziale Arbeit ist, dass ich gerne etwas zurückgeben will an die Gesellschaft. Ein Erfolg für mich ist, wenn man sich eines Themas annimmt und erreicht, dass die andere Person einen Mehrwert davon hat. Es muss nicht das perfekte Endergebnis sein.

Wie gelingt dir Abgrenzung?

Zum einen hilft mir die jahrelange Berufserfahrung. Ich gehe aber auch gerne zu Fuß zur Arbeit und laufe nach Hause, um Gedanken zu sortieren und Abstand zu gewinnen. Und ich habe einen guten Freundeskreis und gute Kolleg:innen. In schwierigen Situationen hilft natürlich immer zu reden, geteiltes Leid ist halbes Leid. Und man muss lernen, Dinge zu akzeptieren, wenn sich Ziele nicht erreichen lassen.

Was droht einer Gesellschaft, die Mittel für soziale Arbeit herunterfährt?

Man sollte immer an die Folgeerscheinungen denken. Wenn Jugendliche kein Angebot bekommen, suchen sie sich ihr eigenes. Das kann dann zu Konflikten im öffentlichen Raum führen, zur Vermüllung oder auch dazu, dass jemand auf die schiefe Bahn gerät. Wenn man das alles zusammenzählt, kann man sich fragen, wo spare ich effektiv? Wenn die Ordnungspolizei oder die Entsorgungsbetriebe  öfters ausrücken müssen und ein oder zwei junge Menschen auf die schiefe Bahn geraten, dann können die Folgekosten höher werden. Ich bin kein BWLer, ich habe das nicht ausgerechnet, aber die Erfahrung zeigt, wenn ein Angebot wegfällt, kann das, was stattdessen passiert, uns teurer zu stehen kommen. Wir haben krisengeschüttelte Jahre hinter uns mit schlimmen Konflikten aktuell. Es ist noch spürbar, dass der Jugend etwas verloren gegangen ist. Da ist jetzt sicher noch nicht der Zeitpunkt gekommen, Unterstützung zurückzufahren.