Interview Dirk Fellinghauer. Foto Arne Landwehr.
BERUF
Was ist, was macht ein Dekan in der Evangelischen Kirche?
Der Dekan ist in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau der Vertreter der Kirchenleitung vor Ort und leitet die Kirche der Region. Die evangelische Kirche ist nicht von oben nach unten organisiert: Jede Kirchengemeinde ist Herrin ihres Geschicks. Innerhalb der Rahmenbedingungen der Gesamtkirche habe ich Gestaltungsspielräume. Und ich bin das Gesicht für die Gesamtkirche in der Region. Das merke ich immer dann, wenn es Diskussionen gibt, zu der die Meinung „der Kirche“ gefragt ist. Dann werde ich gefragt.
Sie verantworten auch das „Reformationsjubiläum“ in Wiesbaden. Sie feiern, anders als andere Städte, bewusst kein Lutherjahr.
Die Reformation ist mehr als die Person Luthers. Ich finde ihn stark als Charakter, ich lese gerne seine Texte, mag seine Sprache. Weil wir es nicht historisierend feiern wollen, haben wir nicht Luther in den Fokus gestellt, sondern gefragt: Was heißt all das heute für uns? Deshalb haben wir als Motto „Darauf stehe ich“ gewählt. Inzwischen hat das eine starke politische Konnotation bekommen. Wir erleben AfD-Zuwächse, weltpolitische Entwicklungen, Brexit und Trump als Zeichen allgemeiner Verunsicherung: alte Selbstverständlichkeiten zerbröseln. Wir schauen uns erstaunt um und fragen uns, was ist eigentlich los? Auch die Kirche erlebt diese Verunsicherung. Deshalb mag ich die Botschaft „Darauf stehe ich“, weil es eine fröhliche Weltzuversicht ausstrahlt. Vielleicht waren wir nicht gut genug in der Vergangenheit, genau dies zu kommunizieren: wie schön es ist, Christ sein zu dürfen.
Na dann, nur zu – kommunizieren Sie mal los …
Anhand des Slogans geht das wunderbar: Wenn wir uns sagen lassen können, es gibt einen Grund meiner Existenz, den ich nicht selbst leisten muss, dann muss ich mich nicht immer wieder selbst behaupten. Dann kann ich sagen, darauf stehe ich! Und ich stehe nicht darauf, weil ich „toll“ oder erfolgreich bin, sondern weil ich bei Gott sein kann. Ich habe gerade über Luthers Berufsethik gearbeitet – er sagt, es gibt nicht die heiligen Typen, die zum Beispiel irgendwohin pilgern und deshalb besonders schnell in den Himmel kommen. Sondern wenn die Magd als Christin ihr Hühnchen rupft, dann ist das ein genauso wertvoller Beruf wie irgendetwas Heiliges. Das heißt für uns, dass uns die Verankerung in Gott hilft, uns unserer Welt zuzuwenden – in einer Gelassenheit, in einem Getragensein, aber auch in einer gewissen zupackenden Art. Das heißt dann auch, Verantwortung zu übernehmen.
Die evangelische Kirche ist in Wiesbaden weit über ihre Gotteshäuser hinaus präsent – ist das auch Strategie, niederschwellig zur Kirche hinzuführen?
Es ist ein tiefer diakonischer Zug, da Kirche zu sein, wo die Menschen sind. Aber ja, wir versuchen, niederschwellig zu sein. Das ist eine ständige Herausforderung, weil niederschwellig nicht heißen darf, banal zu werden. Eigentlich ist der Glaube ja kein niederschwelliges Thema, sondern eher ein sehr intimes. Ernsthaft über Glauben zu reden, das tut der Deutsche, ganz anders als zum Beispiel ein Amerikaner, nur sehr bedingt, oft nicht mal mit dem Partner, so wie man hier nicht über Geld oder über die bevorzugte Partei spricht
Wie steht es um den christlich-muslimischen Dialog in Wiesbaden?
Wir haben schon vor fünfzehn Jahren begonnen, intensiv Kontakte zu suchen und zu pflegen. Heute gibt es immer noch einige Begeisterte, die sich damit auseinandersetzen wollen. Aber insgesamt ist da viel Luft nach oben. Manchmal habe ich auch den Eindruck, dass die Neugierde in Gemeinden vorbei ist und eine gewisse Normalisierung eingetreten ist. Gleichzeitig bleibt uns der gesamtgesellschaftliche Dialog der Religionen aufgegeben und ist ja gerade angesichts der großen Vielfalt auch der muslimischen Gemeinden in Wiesbaden spannend.
MENSCH
Von 2004 bis 2011 waren Sie als Pfarrer in Washington, D.C.. Wie haben Sie Kirche in den USA im Unterschied zu hier erlebt?
Grundsätzlich sind die Amerikaner intensiver engagiert. Wir als Deutsche sind da doch eher obrigkeitsstaatlich, oder wohlfahrtsstaatlich imprägniert. Ich war in einer Freiwilligengemeinde, die zum großen Teil aus Spenden finanziert ist – das ist eine aufregende Geschichte, denn die Gemeindemitglieder mussten irgendwie mein Gehalt zusammenkriegen. Das ist ein völlig anderer Drive, man steckt wesentlich mehr im Boot drin. In Amerika wird über alles Mögliche sehr breit diskutiert, und das fand ich gut, weil das die eigene Argumentationsfähigkeit schärft. Da muss man auch mal richtig in den Clinch gehen. Ich habe es sehr genossen, politisch zu predigen, weil ich meine politische Predigt ganz anders verantworten musste. Hier ist das manchmal zu billig. Als Pfarrer auf der Kanzel zu stehen und gegen Fluglärm zu wettern, das ist okay und muss auch sein, aber in Amerika wird alles an der Umsetzbarkeit gemessen.
„Die Ungläubigen sind die wahren Gläubigen, weil sie zweifeln“, hieß es kürzlich in einem Vortrag. Kennen Sie Zweifel?
Zum Glück sind es nicht wir, die entscheiden, wer die wahren Glaubenden sind, da wäre ich sehr vorsichtig. Aber: Alle, die keine Fragen in oder an ihrem Glauben haben, sind mir suspekt. Jeder Mensch hat Fragen. Ich würde sie nicht gerne Zweifel nennen, aber Anfechtung gehört wesentlich zum Glauben dazu. Wer seinen Glauben nicht auch angefochten erlebt, nimmt die Welt nicht wahr. Ich kann doch nicht zum Beispiel in ein Kinderhospiz gehen und … – bei wem das nicht zur Anfechtung seines Glaubens führt, der ist irgendwie ein harter Mensch.
Worauf stehen Sie jenseits von Kirche und Glaube?
Mir macht Musik sehr viel Spaß. Leider mache ich keine mehr. Ich habe Cello gespielt bis ins Studium hinein. Später habe ich angefangen, meiner jüngsten Tochter Cello-Unterricht zu geben. Das hat aufgehört, als ich hier in dieses schöne Amt kam. Ich gehe gerne in den Rheingau, trinke dort ein schönes Glas Wein. Ich mag Feuer. Ich habe einen neuen Kaminofen und einen alten Kachelofen. Das finde ich im Winter wunderbar – vor dem Ofen, mit einem Glas Rotwein, toller Musik und einem guten Buch. Und vielleicht noch einem Stück Schokolade.
Welches Verhältnis haben Sie zur Nacht?
Spontan würde ich sagen, sie ist immer zu kurz. Irgendwie mag ich die Nacht, als Ruheraum, aber auch als Entfaltungsraum. Da ist was Geborgenes drin. Da redet man anders. Da hat man Zeit. Ich mache aber nicht gerne die Nacht zum Tag.
Sie haben eine These für Wiesbaden frei – welche?
Fröhlicher selbst sein! Ich finde Wiesbaden echt toll, aber irgendwie redet man in Wiesbaden immer darüber, dass man nicht so genau wisse, wer man sei. Das finde ich seltsam, das habe ich noch nie verstanden, eine völlig überflüssige Diskussion. Man „ist“ als Stadt einfach.
Die nächsten Predigttermine von Dekan Martin Mencke sind am 5. März, 17 Uhr, Bergkirche, und am 12. März, 10 Uhr, Lutherkirche. www.dekanat-wiesbaden.de