Interview: Dirk Fellinghauer. Foto: Arne Landwehr.
BERUF
Das Handwerk braucht dringend Nachwuchs – womit können Handwerksberufe punkten?
Das Handwerk wird leider nicht als sehr modern wahrgenommen. Dabei sind die Themen unserer Zeit sehr handwerksrelevante Themen. Neue Heizung, Beleuchtungs- und Lüftungssysteme, Gebäudehüllen, energetische Maßnahmen, alles rund ums Wohnen – da kommt man ums Handwerk gar nicht drumherum. Ein Handwerksberuf ist auch für die Zukunft ein sehr sicherer Arbeitsplatz. Man kann auch gutes Geld verdienen.
Wie ernst ist die Lage?
Da immer mehr Abitur machen, bleibt der klassische Auszubildende fürs Handwerk mit Realschulabschluss auf der Strecke. Zu meiner Schulzeit waren es zehn Prozent mit Abi, heute sind es knapp 60, und das von einem Drittel der Schulabgänger im Vergleich zu früher. Da bleiben nicht mehr so viele übrig, um einen Handwerksberuf zu ergreifen. Dabei bietet das Handwerk alle Möglichkeiten – großer Betrieb, kleiner Betrieb, Führungsfunktion oder nicht, da geht es in alle Himmelsrichtungen, das ist so vielfältig. Und es heißt längst nicht mehr, wenn ich heute zum Beispiel Maler lerne, dass ich dann die nächsten vierzig Jahre auf Baustellen arbeite. Man kann sich immer weiterentwickeln und neu orientieren. Wir müssen aber auch die Ansprache verändern.
Wie präsent sind Aspekte wie Ökologie und Nachhaltigkeit im Handwerk?
Das sind Riesenthemen für uns. Ohne das Handwerk sind weder eine Klimawende noch die Ziele im Wohnungsbau zu erzielen. Wer installiert denn die Ladestation fürs Elektroauto oder Photovoltaik auf dem Dach oder dämmt Häuser? All das geht nicht ohne Handwerk. Deshalb machen wir darauf aufmerksam, auch um vielleicht die „Generation Fridays for Future“ oder „Last Generation“ für das Handwerk zu interessieren. Anstatt sich auf die Straße zu kleben, können sie im Handwerk tagtäglich was für den Klimaschutz tun.
In der Wirtschaft redet alles von Work-Life-Balance – auch im Handwerk?
Das zeichnet sich klar ab, zum Beispiel bei der Frage nach flexibleren Arbeitszeiten. Wenn in Schlagzeilen die Rede ist von „4-Tage-Woche, unbegrenzter Urlaub“, dann weckt das Begehrlichkeiten auch bei unseren Leuten. Wir müssen die, die wir haben, besser pflegen. Es kann sich keiner mehr erlauben, Mitarbeiter zu verlieren. Wir müssen bei den Soft Skills mehr bieten. Unsere Handwerker haben allerdings gar kein Interesse, wenn man sagt, wir gehen abends mal gemeinsam bowlen oder so. Bis um halb 5 sind die alle eine eingeschworene Gemeinschaft und die dicksten Freunde. Aber sobald Feierabend ist, sind die auch froh, wenn sie wieder in ihrer Familie, ihrem Freundeskreis sind.
Welchen Einfluss haben die Schulen, um junge Menschen bei der Berufswahl heiß aufs Handwerk zu machen?
Die Gymnasien sträuben sich ein bisschen, wenn wir da das Handwerk vorstellen wollen. Das ist dann aber weniger die Schulleitung, die das blockiert. Das sind in erster Linie die Eltern, die sagen, das können wir uns schenken, unsere Kinder sollen eh´ nicht ins Handwerk, aus denen soll ja mal was Gescheites werden. Wir müssen jeden, der Einfluss auf junge Leute hat – Schulen, Eltern, Freunde – kriegen, dass sie Werbung fürs Handwerk machen. Und natürlich unseren Nachwuchs selbst. Wenn die sagen, das ist ein toller Beruf, da kann man was verdienen, das macht mehr Spaß als eine langweilige Lehre in einer Amtsstube oder so, kommt das besser rüber, als wenn ich mich da hinstelle und den Schülern erzählen will, wie sexy Handwerk ist.
MENSCH
Sie haben 1999 den Malerbetrieb von Ihrem Vater übernommen. War der Weg ins Handwerk von Anfang an eine ausgemachte Sache?
Ich habe die Entscheidung vor vierzig Jahren getroffen, mit 17. Da habe ich sonntags meinem Vater gesagt: Am Montag fange ich eine Lehre an, ich hab´ keine Lust mehr auf Schule. Das habe ich nie bereut. Ich war in der Oberstufe, 11. Klasse. Die Lehre habe ich dann direkt bei meinem Vater begonnen – damals gab´s noch nicht so diese Optionen, ich mache erstmal ein soziales Jahr oder fahre erstmal nach Australien. Ich weiß nicht, ob ich ohne den elterlichen Betrieb überhaupt ein guter Handwerker geworden wäre. Das Kaufmännische hat mir mehr gelegen als das Ausführen. Es ist wichtig, dass man weiß, wie etwas geht und Mitarbeitern sagen kann, so und so wird´s gemacht. Aber ich bin sicher, dass heute jeder meiner Mitarbeiter die Aufgaben handwerklich schneller erledigen kann als ich.
Haben Sie Geheimtipps, um einen Handwerker-Termin zu bekommen?
Das Allereinfachste, was ich empfehle, ist: Anrufen und keine E-Mails schicken! Wenn da am Tag 25 E-Mails ankommen von Leuten, die man nicht mal kennt, dann werden die nicht zwingend sofort bearbeitet. Deswegen einfach anrufen. Beim Handwerker kommt man in der Regel besser durch, als wenn Sie beim Arzt einen Termin haben wollen.
Wie haben Sie Ihr Zuhause gestaltet – alles weiß oder bunt und immer die neuesten Techniken?
Ich hatte das Glück, dass wir vor zwei Jahren umgezogen sind und da alles neu machen konnten. Bei mir sind nur die Decken weiß, alle anderen Wände sind farbig, kreativ gestaltet oder auch tapeziert.
In Ihrer Freizeit gehen Sie gerne zur Jagd. Was begeistert Sie daran?
Ich bin absoluter Frühaufsteher, ich kann nicht bis um 8 im Bett liegen. Ich genieße es, wenn es morgens hell wird und die Vögel zwitschern und Wild steht vor einem. Jagd wird oft mit dem Schießen in Verbindung gebracht, aber das ist ja nur ein Bruchteil der Zeit, die man mit Jagd verbringt. Alles andere ist Hegen und Pflegen. Bei der Jagd geht es nie darum, Wild zu reduzieren, sondern nur den jährlichen Nachwuchs wieder herauszunehmen. Wir verkleinern fast täglich die Lebensräume für Wild, in dem Neubaugebiete entstehen, Straßen gebaut werden. Der Wald wird täglich weniger, aber der Wildbestand bleibt fast immer gleich. Ich esse das Wildfleisch auch gerne. Ich bin Vegetarier zweiter Klasse – ein Reh ernährt sich ja nur vegetarisch, von daher übernehme ich ab Stufe 2 (lacht).
Die Fußball-WM in Katar läuft – Boykott oder Bejubeln? (Anmerkung d. Red. – Das Interview wurde vor der WM geführt)
Ich denke, ich werde mir die Spiele mit deutscher Beteiligung schon mal anschauen. Als Eintracht-Fan interessiert mich aber mehr das Champions-League-Finale in Istanbul. Man hätte die WM gar nicht erst nach Katar vergeben müssen, aber die Nummer ist nun mal gelaufen, deswegen ist es jetzt zu spät.
Weiterlese-Tipp – „Handwerk: Wie cool ist das denn!? Neue Wege zum Nachwuchs – und die was beim Nachwuchs ankommt“