Was hält Sie eigentlich noch auf dem Sofa,
liebe sensor-Leser:innen!? Die Straße wartet! In diesem Jahr wurden bzw. werden voraussichtlich so viele Demonstrationen in Wiesbaden angemeldet wie noch nie. Und wo waren Sie?
Ein Grund für die Demo-Konjunktur dürfte – wie der Grund für so vieles – die Pandemie sein und ihre Auswirkungen. Dazu lässt es sich trefflich demonstrieren, das wissen nicht nur die „Querdenker“. Man kann auch vernünftig rund um corona-bedingte Themen auf die Straße gehen, wie neben vielen anderen die Veranstaltungsbranche zeigt(e) mit #AlarmstufeRot.
Man kann auch unabhängig von Corona für und gegen ganz vieles demonstrieren. Wie intensiv dies in Wiesbaden getan wird, und zu welch unterschiedlichen Themen und Anliegen, fiel mir irgendwann auf. Es vergeht kaum eine Woche, in der ich nicht – gezielt angesteuert oder zufällig im Vorbeigehen – mit irgendeiner Demo konfrontiert werde.
Mal steht irgendwo ein Häufchen Menschen herum, um auf irgendein Anliegen aufmerksam zu machen, von dem ich vielleicht noch gar nichts gehört habe, geschweige denn einen Schimmer habe. Mal baumeln Menschen – wirklich passiert – stundenlang an Laternen, um Autobahnbau-bedingte Waldrodungen anzuprangern. Mal skandieren deutschlandbeflaggte Gestalten tumbe Parolen, mal tanzen bunt oder knapp Bekleidete im Dienste der Akzeptanz und Vielfalt durch die Stadt.
Es gibt klassische Demos zu Fuß, aber auch welche zu Rad, zu Traktor, zu Taxi, zu Reisebus. Dass so viele Demos in Wiesbaden stattfinden, hat auch damit zu tun, dass wir – was sonst allzu gerne übersehen oder ignoriert wird – Landeshauptstadt sind. Da sind dann oft Landtag oder auch Staatskanzlei oder Ministerium x oder y die Adressaten.
Das alles ist gut und wichtig, auch wenn man nicht immer die Meinungen und Botschaften teilt, auch wenn die Begleitumstände – gesperrte Straßen, temporärer oder anhaltender Lärm – auch ordentlich auf die Nerven gehen können. Man nennt es Demokratie. Und man praktiziert es bei uns in einer Freiheit, von der Menschen in vielen anderen Teilen der Welt nur träumen können.
Ich ziehe grundsätzlich meinen Hut vor allen, die für ihre Anliegen und Ansichten auf die Straße gehen und damit öffentlich und sichtbar für oder gegen etwas einstehen. Und erst recht für jene, die all das organisieren – einige lernen Sie in dieser sensor-Ausgabe kennen. Für Anmelder von Demos gehört dann doch einiges mehr dazu, als mal eben ein „Transpi“ zu malen. Meinen Respekt haben – auch wenn sie bestimmt nicht immer nur verhältnismäßig (re)agieren – grundsätzlich auch die Polizisten, die alles andere als einen lockeren Job haben. Bekanntlich läuft nicht jede Demo im Friede-Freude-Eierkuchen-Modus ab, sondern ist oft ein Akt voller Emotionen und auch Überreaktionen.
Was so eine Demo denn bringen soll, fragen Skeptiker gerne. Unterschätzen Sie nicht die Macht der Straße. Beispiele gibt es zuhauf. Und davon abgesehen, ist es einfach auch ein gutes Gefühl, zu merken, dass man nicht allein ist, wenn man für etwas einsteht. Oder gegen etwas.
Gegen die AfD zum Beispiel. Wenn diese am 11. und 12. Dezember unsäglicherweise, aber nach Rechtsamt-Auffassung unvermeidbarer Weise, unsere Stadt mit ihrem Bundesparteitag beschmutzt, sollte „ganz Wiesbaden“ auf die Straße gehen. Dass CDU, SPD, Grüne und FDP kaum eine Stunde nach der Entscheidung zur Vermietung des RMCC an die AfD ankündigten, eine Gegendemo zu veranstalten, ist ein starkes Signal. Dass VOLT und Linke ihrerseits klare Botschaften versandten, ebenso.
Die Straße wartet. Auch auf Sie!?
Dirk Fellinghauer, sensor-Demonstrant
PS: Aus aktuellem Anlass wird auch schon in dieser Woche wieder in Wiesbaden gegen die AfD demonstriert. „Für ein offenes Wiesbaden – gegen völkischen Einheitsbrei“ ist der Titel der Gegenveranstaltung zum Wahlkampfabschluss der AfD Hessen auf dem Dern´schen Gelände, zu der das breit aufgestellte „Wiesbadener Bündnis für Demokratie“ aufruft.