Von Julia Bröder. Fotos Kai Pelka.
Hebammen ziehen sich zunehmend aus der freien Geburtshilfe zurück, weil ihre Versicherungssituation prekär ist. Stattdessen setzen sie auf andere Angebote rund um die Geburt.
Mehr als 2600 Babies erblicken in Wiesbaden jedes Jahr das Licht der Welt. 2013 waren es genau 1326 Jungen und 1303 Mädchen. Die meisten von ihnen schreien auch hier den ersten Schrei ihres Lebens im Kreißsaal eines Krankenhauses – in ganz Deutschland werden gerade einmal 1,5 Prozent aller Kinder außerklinisch, also zuhause oder in einem Geburtshaus mit der Hilfe einer freiberuflichen Hebamme entbunden. Ein Geburtshaus gibt es in Wiesbaden nicht. Und selbst wenn: Seine Zukunft wäre ungewiss.
Freiberufliche Hebammen stehen schon länger enorm unter Druck, weil die Prämien für ihre Haftpflichtversicherungen in den vergangenen Jahren steil angestiegen sind. Grund dafür sind nicht etwa größere Risiken. Im Gegenteil: Für Kinder, denen während der Geburt etwas passiert, gibt es heute bessere medizinische Versorgung, sie haben höhere Lebenserwartungen – und verursachen dadurch auch mehr Kosten. Die Petition „Rettet unsere Hebammen“ appelliert an Gesundheitsminister Hermann Grohe, für die Hebammenversicherung – immerhin Bestandteil des Koalitionsvertrags der Bundesregierung – eine langfristige Lösung zu finden. Aktuell bietet noch ein Versicherungskonsortium die Haftpflicht für Hebammen an, nach dem 1. Juli 2016 ist die Lage ungewiss. „Ich habe in den Achtziger Jahren angefangen, als Hebamme zu arbeiten. Damals kamen Hebammentätigkeiten als Kassenleistung gerade erst auf“, erzählt Christiane Hof und fügt besorgt hinzu: „Wenn die Politik an der Versicherungssituation nichts ändert, könnte diese Errungenschaft von heute auf morgen wegbrechen.“
Fest steht: Seit 2009 hat sich bereits mehr als ein Viertel aller 21000 Hebammen, die in Deutschland praktizieren, aus der freiberuflichen Geburtshilfe zurückgezogen. Viele konzentrieren sich auf andere Hebammenleistungen wie Geburtsvorbereitung, Wochenbettbetreuung und Rückbildungsgymnastik. Oft tun sich Hebammen in Praxen zusammen, bieten ihre eigenen Kompetenzen an, aber auch allerlei weitere Kurse und Veranstaltungen rund um Schwangerschaft und Babyzeit.
Christiane Hof ist Hebamme im Forum Natal auf der Schönen Aussicht. Hier bietet sie Geburtsvorbereitungskurse und Akupunktur für Schwangere sowie ein Stillseminar an. Für die Massage mit Babybauch ist eine medizinische Masseurin zuständig. Klassische Rückbildungsgymnastik hat das Forum Natal nicht mehr im Repertoire, dafür gehören zwei Lehrerinnen für postnatales Yoga zum Team. Ein beliebter Kurs, den sowohl werdende Eltern als auch junge Familien wahrnehmen, ist die Erste Hilfe am Kleinkind, geleitet von einem Ausbilder für Rettungssanitäter. Eine Kinderkrankenschwester veranstaltet Babymassagen, Säuglingspflegekurse inklusive Trageberatung und Bewegungsgruppen für Säuglinge. Wer Interesse an musikalischer Frühförderung hat, ist hier ebenfalls gut aufgehoben.
Fernöstliche Methoden im Trend
„Es ist spannend zu sehen, wie sich eine Familie im Laufe der Zeit entwickelt“, findet Andrea Vierlinger. Sie ist Inhaberin und Gründerin der Hebammerei in der Parkstraße, in der noch vier weitere Hebammen sowie zahlreiche andere Spezialistinnen vernetzt sind. Im Bereich Geburtsvorbereitung gibt es hier Kurse sowohl für Erstgebärende als auch für Frauen, die das zweite oder dritte Kind erwarten. Zudem vermittelt sie über ihr Netzwerk eine Reiki-Lehrerin, die Schwangere nach japanischer Tradition für die Entbindung fit macht. Fernöstliche Behandlungsmethoden greift die Hebammerei generell gerne auf. Ist das Baby da, stehen neben klassischer Rückbildung Pilates für die Mutter und Pekip für das Kind sowie verschiedene Infoseminare über Impfen, Tragen, Füttern und Co auf dem Programm. Einmal in der Woche trifft sich Andrea Vierlinger mit ihren Mamas im Café Lalaland, dann heißt das Motto „Mutter & Kuchen“. I
Streng genommen ist Sirona keine Hebammenpraxis, sondern ein Verein für Frauengesundheit. Da das Zentrum in der Schiersteiner Straße aber so gut wie alle üblichen Angebote für Schwangere und junge Familien im Programm hat, ist es für werdende Eltern durchaus eine Anlaufstelle. Klassische Geburtsvorbereitungskurse gibt es hier zwar nicht. Dafür Akupunktur und Hatha-Yoga für Schwangere, Massage und Yoga für Babys, Rückbildung und Pilates für Mütter. Entdeckerseminare im Grünen oder Bewegungskurse sollen auch Familien mit älteren Kindern ansprechen. „Eigentlich wollten wir ein Geburtshaus gründen“, erzählt Sigrid Schellhaas, die Sirona vor 20 Jahren mit ins Leben gerufen hat. Das sei aber schon damals finanziell nicht zu stemmen gewesen. Eine ehrbare Besonderheit an Sirona ist, dass hier auch schwierige Themen rund um Schwangerschaft und Geburt nicht ausgeblendet werden. Für Eltern, die ein behindertes Kind erwarten, eine Fehlgeburt erlitten haben oder um verstorbenes Baby trauern, gibt es hier professionelle Beratung und Begleitung.
Väter werden komplett eingebunden
Bisher bekannt als Bauch & Baby, heißt die Anlaufstelle für Schwangere und junge Eltern auf dem Freudenberg künftig Hebammenpraxis Wiesbaden. Die beiden Hebammen Rita Ender-Brandner und Diana Krettek-Awater haben die Praxis im Mai übernommen und betreuen hier Frauen vor und nach der Geburt. Vorbereitungskurse finden am Wochenende statt und binden werdende Väter komplett mit ein. Weitere Angebote sind Yoga, Gymnastik und die Behandlung bei Beschwerden durch Akupunktur, Homöopathie und K-Taping, eine Schmerzbehandlungsmethode mit Klebebändern. Außerdem gibt es Säuglingspflege- und Rückbildungskurse, ein Stillcafé und Strampeltreffs für aktive Babys. „Wir wollen jungen Familien helfen, sich kennen zu lernen und Kontakte zu knüpfen“, sagt Rita Ender-Brandner. Konsequenterweise soll daher das Angebot für ältere Kinder ausgebaut werden. Schon jetzt gibt es einen Märchentanzkurs, vorstellen können sich die Kolleginnen Programme, die Kinder für die Einschulung fit machen sowie die Zusammenarbeit mit einem Logopäden, einem Osteopathen und einem Erziehungsberater.
www.forum-natal.de, www.hebammerei-wiesbaden.de, www.fgz-sirona.de, www.hebammenpraxis-wiesbaden.de
Richtig so. Freie Geburtshilfe ist verantwortunsglos. Wer sein Kind ohne die Möglichkeit sofortiger kinderärztlicher Versorgung zur Welt bringt, handelt grob fahrlässig. Grobe Fahrlässigkeit lässt sich nun mal nicht versichern.