Interview Dirk Fellinghauer. Foto Arne Landwehr.
BERUF
Du bist eine von zwei hauptamtlichen Beschäftigten der „Jugendinitiative Spiegelbild“. Was macht ihr da? Was machst du da?
Wir gehören zum Aktiven Museum Spiegelgasse für deutsch-jüdische Geschichte und machen rassismuskritische Bildungsarbeit in der Einwanderungsgesellschaft: Seminare, Workshops mit Jugendlichen, Fortbildungen, aber auch Netzwerkarbeit, das Projekt „Wir in Wiesbaden“, viel Koordinieren und Organisieren. Der deutsch-israelische Jugendaustausch ist eines meiner besonderen Herzensprojekte. Und ich verantworte „X-Dream“, ein großes Präventionsprojekt im Bereich Extremismus.
Wie erreicht ihr mit vielleicht „uncool“ klingenden Themen die Jugendlichen?
Alle Jugendlichen, und überhaupt alle Menschen, können sehr schnell etwas damit anfangen, wenn man versucht, den persönlichen Anknüpfungspunkt zu finden und sich selbst als Handelnden im gesellschaftlichen Kontext begreifen zu können: Was ist meine Rolle? Welche Möglichkeiten habe ich und welche vielleicht nicht? Und warum? Sind es meine Grenzen oder Grenzen, die von anderen aufgezogen werden?
Euer thematisches Spektrum geht weit über das des „Mutterhauses“ hinaus.
Die Basis liegt in den Themen des Aktiven Museums. Für uns gründet es auf einer Geschichte von Ausgrenzung. Alle Themen, die heute daran anschließen, basieren immer noch auf genau diesem Thema – Ungleichwertigkeit, Herrschaft, die Frage, wer bestimmt, wer dazu gehören darf und wer nicht? Die Basis ist also geblieben, das Spektrum geht aber weiter auf. Manchmal sind es auch Themen, die erst mal weit weg scheinen, aber doch sehr nah dran sind.
Dieser Tage ziehen manche Parallelen zum Aufkommen des Nationalsozialismus und sagen „Es ist wie damals“. Siehst du da auch so?
Es war ja nie weg. Rassismus innerhalb der Gesellschaft gab es schon immer. Viele Studien zeigen seit Jahren, wie sehr gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und das Abwerten von Menschen verankert sind. Ich glaube, dass jetzt ein Ventil geschaffen wurde. Wir sehen und hören mehr, was bisher versteckt war. Dieses „Man darf viele Dinge wieder sagen“ nimmt zu. Die AfD ist nicht ungefährlich, weil es viele Anknüpfungspunkte gibt und die Menschen gerne leichte Antworten haben auf unsere komplizierten schweren Fragen. Es ist einfach schwieriger, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen und das eigene Handeln auch mal in Frage zu stellen.
Sind die Jugendlichen, mit denen ihr arbeitet, empfänglich dafür?
Ich glaube nicht, dass die Jugendlichen das Problem sind. Die wünschen sich und brauchen Raum von Begleitung und die Möglichkeit, sich offen auszutauschen mit Menschen, denen sie vertrauen können. Das ist für sie manchmal schwierig zu finden, auch in Schulen, weil die Zeit dafür fehlt. Es gibt aber den Bedarf. Und die Gefahr, dass sie dann irgendwo anders suchen, wo sie schnelle Antworten bekommen. Problematischer sehe ich die Erwachsenen, die mit Jugendlichen arbeiten und denen auch Raum und Zeit fehlen, zu hinterfragen, wie produziere und reproduziere auch ich Ausschluss? Das verstetigt sich dann bei den Jugendlichen. Je mehr Aberkennungserfahrungen sie machen, desto eher kann sich die Wahrscheinlichkeit erhöhen, sich menschenverachtenderen Gruppen anzuschließen, um einen Aufwertungsmoment zu bekommen. Da gibt es eine Schieflage in unserer Gesellschaft, auch in Wiesbaden. Bei den Erwachsenen müsste viel mehr gemacht werden, auch verordnet. Sagt die Schulleitung, wir stehen hinter diesen Themen, dann wird mitgemacht.
MENSCH
Du bist ehrenamtliche Vorsitzende des „Kulturpalast e.V.“. Wie kamst du dazu?
Als ich 2003 aus Bremen zum Studium hier angekommen bin, hatte ich lange rote Haare, wurde komisch angeschaut, bin durch die Stadt gelaufen und habe gedacht, oh mein Gott, wo bist du denn hier gelandet? Dann bin ich auf ein Konzert in den Kulturpalast gegangen, irgendein abgerotztes Punkrockkonzert. Es war wunderschön. Die Halle war noch blau und rot, das sah aus wie ein Zirkuszelt. Ab dann war ich dabei. Und ich liebe es bis heute. Wiesbaden braucht diese Konträrpunkte, an denen man sich aufreiben kann. Man ist aufgefordert, wenn man Dinge anders haben möchte, sie selbst zu tun. Wiesbaden braucht Menschen, die aktiv sind und etwas gestalten. Das kann man hier dann aber auch sehr gut. Es gibt Räume, die man sich selbst nehmen und selbst gestalten muss. So war es auch mit dem Kulturpalast
Ende letzten Jahres gab es den großen Einschnitt, als euch nach 13 Jahren Ulf Glasenhardt, der so etwas wie der „Kopf“ des Kupa war, abhanden gekommen ist. Was hat dieser Einschnitt für den Kulturpalast ausgelöst?
Eine positive Umstrukturierung. Was der Kulturpalast sehr gut kann, ist in schwierigen Situationen, davon hatten wir schon einige, an die Strukturen zu gehen und ein neues Aufbäumen zu schaffen. Ulf hat im Kulturpalast sehr viel getragen als einziger Angestellter im Tagesgeschäft. Wir sind immer auch Lernende gewesen, haben uns alles selbst beigebracht, Strukturen selbst geschaffen und immer wieder verändert und hinterfragt, was ist möglich? Als Ulf das großartige Angebot vom KUZ in Mainz hatte, haben alle gesagt – keine Frage, das musst du machen. Natürlich ist es ein trauriger Moment. Aber der Stolz und die Freude überragen maßlos. Wir haben dann einen genauen Blick auf die Verantwortungs- und Aufgabenbereiche geworfen und versucht, diese neu aufzuteilen. Dieses nun vierköpfige Team hat sich gefunden und ist sich noch am finden. Die ersten Rückmeldungen sind, dass es sich sehr gut anlässt. Keiner ist alleine. Sie schaffen sich ihre Strukturen, wie sie arbeiten können und den Kulturpalast nochmal voranbringen. Drumherum gibt es ein großes Backup an Ehrenamtlichen, die sich engagieren.
Wo außer in Wiesbaden würdest du gerne leben?
In Israel! Da muss man auch sehr viel selber machen, es gibt eine wunderschöne, total spannende Subkultur. Und das Licht ist ein anderes und die Wärme und die Menschen drumherum. Und du hast so viel auf einen Fleck: ein Land so groß wie Hessen, und du kannst alles an einem Tag haben – morgens im Norden Skifahren und abends im Toten Meer baden. Da würde ich leben wollen. Oder in einer Hütte an der Nordsee, mit Kamin.
Wie kriegst du deine vielen ehren- und hauptamtlichen Baustellen unter einen Hut?
Gar nicht. Ganz schwierig. Ich habe einen Terminplaner und versuche, mich an meine Termine zu halten. Oft fällt etwas hinten runter, daran arbeite ich. Dass ich selbst nicht hinten runter falle, das ist vielleicht meine größte Baustelle. Man muss ja auch schauen, wo man seine Kraft rauszieht. Was ich tue, sind alles Sachen, die mit Kopfarbeit und Herzarbeit zu tun haben. Das ist auch anstrengende Arbeit. Das Denken daran hört nicht auf, wenn ich die Orte verlasse. Das ist immer überall.
Wenn du private Zeit findest, was gönnst du dir dann?
Ich gehe gerne aus, treffe mich mit Freunden, trinke unglaublich gerne Bier. Ich bin mit Betty, meiner Hündin draußen, mache viel Sport, reise mit meinem Bully. Ich versuche gerade, meine Wohnung einzurichten. Ich bin seit Mai in meiner neuen Wohnung und habe jetzt angefangen, Bilder aufzuhängen.