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Die Entgegensetzer – „Jugendinitiative Spiegelbild“ feiert ihr Zehnjähriges

Von Anja Baumgart-Pietsch. Fotos Samira Schulz.

„Jung sein, Geschichte haben, Gerechtigkeit wollen, Diskriminierung kennen, Lust auf Veränderung haben“ – verbindende Elemente vieler Wiesbadener Jugendlicher. Sie sind die Zielgruppe der „Jugendinitiative Spiegelbild“, die an diesem Wochenende ihr Zehnjähriges feiert.

Sie werden alle gebraucht und haben genug zu tun, die über die Jahre stetig gewachsene Schar der Aktiven der „Jugendinitiative Spiegelbild“ – der „Werkstatt und Dienstleister einer Erinnerungskultur, die ganz bewusst Migration und Bedingungen der Einwanderungsgesellschaft mit einschließt“: Die Aktualität ihres Themas, oder besser ihrer Themen, lässt nicht nach, ganz im Gegenteil. Die Gesellschaft spaltet sich immer mehr, die Demokratie gerät immer weiter in Gefahr. Den bedenklichen Entwicklungen kann man aber schon etwas entgegensetzen, ist Hendrik Harteman überzeugt: Bildung! Und zwar nicht auf die „Frontalunterricht“-Art, sondern mit spannenden Projekten, die zum Mitmachen konzipiert sind.

Der „Spiegelbild“-Startpunkt lässt sich festmachen an der Einstellung des ersten hauptamtlichen Jugendbildungsreferenten, Hendrik Harteman. 2008 war der Sozialarbeiter zum „Aktiven Museum Spiegelgasse“, dessen Teil „Spiegelbild“ ist, gestoßen. Mittlerweile sind weitere hauptamtliche Kolleginnen und Kollegen dazugekommen, dazu jede Menge Praktikanten, FSJ’ler, Honorarkräfte und Ehrenamtliche.

Neue Horizonte – erlebnisorientiert und preisgekrönt

Für seine erlebnisorientierten Konzepte hat „Spiegelbild“ schon diverse Preise erhalten. Den Hessischen Integrationspreis zum Beispiel gab es 2014 für „Task Force Migration“, ursprünglich „Spurensuche Migrationsgeschichte in Nachkriegsdeutschland“. Aber schon dieser sperrige Titel wurde von den beteiligten Jugendlichen kurzerhand geändert. Schülerinnen und Schüler der Kleist-Schule setzten sich mit ihrer Lebenssituation auseinander, die keineswegs nur den Migrationshintergrund mancher in den Vordergrund stellte. „Pass“, Identität, Gastarbeitergeschichte, Migration, Zugehörigkeit, Rassismus und Mitbestimmung waren Beispiele, über die die 15- bis 17-Jährigen diskutierten und aus denen sie eine Ausstellung machten.

Ein Beispiel von vielen, das zeigt: Der „Spiegelbild“-Horizont hat sich längst vom ursprünglichen Thema Antisemitismus und Drittes Reich erweitert: „Es geht letztendlich um Dazugehören oder nicht Dazugehören“, sagt Hendrik Harteman, der mit seinem Team ständig überprüft, ob die Konzepte ankommen – bei der jungen Zielgruppe ebenso wie bei den „Multiplikatoren“, also Lehrkräften, die ebenfalls sehr gerne das Knowhow von „Spiegelbild“ in Anspruch nehmen. Dass solche Themen heute in der Schule oft zu kurz kommen, weiß auch FSJ’lerin Lisa, die aus eigenem Interesse genau diese Stelle für ihr freiwilliges Jahr haben wollte.

Nicht mehr wegzudenken

Dass „Spiegelbild“ überhaupt ins Rollen kommen konnte, verdanke man nicht nur dem „Aktiven Museum“, sondern auch der verstorbenen Stadtverordnetenvorsteherin Angelika Thiels, sagt Harteman. Mittlerweile ist die Initiative mit ihrer so notwendigen Bildungsarbeit aus der Stadt nicht mehr wegzudenken – und wichtiger denn je, in Zeiten, in denen Rechtspopulisten den Weg in die Parlamente finden und Demos neurechter Gruppen Schlagzeilen machen.  Das thematisiert beispielsweise auch das jährliche Programm „Wir in Wiesbaden“, zu dessen Veranstalternetzwerk „Spiegelbild“ gehört. In diesem Jahr, verrät Harteman, soll es speziell um Streitkultur gehen, im zunehmend verrohenden öffentlichen Diskurs sehr wichtig.

Themenspektrum reicht von Anne Frank bis zum Fußball

Bei aller Vielfalt gerät das ursprüngliche Thema der Einrichtung nicht in Vergessenheit, verspricht der Bildungsreferent, der hocherfreut über die neuen Räume im „Jungbrunnen“ in der Saalgasse ist. „Im nächsten Jahr wird es wieder eine große Anne-Frank-Ausstellung geben.“ Sie trägt den Titel „Deine Anne“ und kommt aus Berlin. Wie schon 2008, bei „Anne Frank – eine Geschichte für heute“, werden Jugendliche das Rahmenprogramm und die Führungen selbst übernehmen und ihren Altersgenossen das Thema auf Augenhöhe präsentieren. Es gibt noch so viel mehr von „Spiegelbild“ (wer übrigens im Rathaus-Erdgeschoss den Gedenkraum für die Opfer des NS-Terrors besucht, sieht das namensgebende „Spiegelbild“): Die preisgekrönte Ausstellung „Kicker, Kämpfer, Legenden – Juden im deutschen Fußball“ zum Beispiel, die 2010 ebenfalls mit einem von Jugendlichen erarbeiteten Rahmenprogramm bis hin zu einem Film präsentiert wurde und für Spiegelbild den renommierten Julius-Hirsch-Preis des DFB gewann. Oder „Mail@more“, die deutsch-israelische Jugendbegegnung. „Love Speech“, das Projekt gegen Hass im Internet, quasi #ichbinhier auf lokaler Ebene. Die Jugendgruppe „Transform your City“. Das Extremismus-Präventionsprojekt „XDream“. Und und und.

www.spiegelbild.de