Für viele ein Grund zum Feiern, für andere zumindest mit Blick auf Teile des Vorhabens Anlass zur Sorge und Verärgerung. Seit heute stehen die Pläne zur weiteren Nutzung des Alten Landgerichts in der Moritzstraße fest: Das Land Hessen hat zusammen mit der Stadt Wiesbaden und der Hochschule Fresenius die Einzelheiten zur zukünftigen Verwendung der ehemaligen Gerichtsliegenschaften in der Moritzstraße vereinbart. Die Hochschule Fresenius will sich dort ansiedeln. Ende 2017 ist der Einzug mit rund 1000 Studenten geplant. Parallel sollen mithilfe eines Investors Wohnungen entstehen. Studenten mitten in der Stadt, das kann Wiesbaden nur gut tun. Welche Art von Wohnungen entstehen und welche Auswirkungen diese haben werden, bleibt abzuwarten. Die weitreichende Entscheidung für ein wichtiges Quartier der Stadt wurde heute per Pressemitteilung verkündet und nicht etwa bei einer Pressekonferenz. Die Möglichkeit, nachzufragen und sich offene Fragen genauer erklären zu lassen, wurde Journalisten also zunächst nicht gegeben. (Nachtrag: Seitens der Hochschule Fresenius wurde uns als Reaktion auf diese Anmerkung mitgeteilt, dass in Kürze eine Ortsbegehung geplant ist, bei der auch der Presse Planungsdetails vorgestellt werden.)
Finanzminister: Studierende bringen frischen Wind nach Wiesbaden-Mitte
Hessens Finanzminister Dr. Thomas Schäfer, Wiesbadens Oberbürgermeister Sven Gerich, Hochschulpräsident Botho von Portatius und der Geschäftsführer der Hochschule Fresenius, Hermann Kögler, haben die Details in einer gemeinsamen Absichtserklärung festgehalten. „Wir als Land Hessen möchten selbstverständlich zu einer positiven Entwicklung des Stadtquartiers beitragen. Durch die Unterzeichnung der Absichtserklärung erreichen wir ein Stück weit Planungssicherheit für alle Beteiligten. Somit ist die heutige Vereinbarung ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Neunutzung des Areals“, erklärte Finanzminister Schäfer. Durch die anstehenden Veränderungen werde dem Quartier neues Leben eingehaucht, zeigte sich Schäfer überzeugt. „Gemeinsam mit der Hochschule Fresenius und der Stadt Wiesbaden stellen wir eine sinnvolle Nutzung des Grundstücks und der bestehenden Bauten sicher. Ich denke, die Studierenden werden dem Viertel gut tun und frischen Wind nach Wiesbaden-Mitte bringen“, so der Minister.
Fast-Leerstand seit 2009 – Künstler-Ateliers mit 48 Stunden Kündigungsfrist
Die ehemaligen Gerichtsliegenschaften in der Moritz- und Gerichtsstraße in Wiesbaden stehen nach dem Auszug der Gerichte im Jahr 2009 weitgehend offiziell leer. Aktuell wird das Hauptgebäude von Künstlern genutzt, die in den ehemaligen Gerichtsräumen Ateliers eingerichtet haben. Sie arbeiten unter dem Dach von „Projekt 48“, wobei sich der Name auf die Kündigungsfrist von 48 Stunden bezieht. In der Vergangenheit haben hier vereinzelt viel beachtete Ausstellungen und Kunstaktionen stattgefunden.
Neubau für 1000 Studierende: Design, Wirtschaft und Medien
Nach derzeitigem Planungsstand wird das Land als Eigentümer des Areals der Hochschule Fresenius eine Teilfläche des Grundstücks an der Moritzstraße und der Albrechtstraße im Wege des Erbbaurechts überlassen. Dort wird die Hochschule Fresenius einen Hochschulneubau mit Hörsaal und Cafeteria für rund 1.000 Studierende der Fachbereiche Design, sowie Wirtschaft & Medien errichten. Über diese Aussicht dürfte sich auch die in der Gegend ansässige Gastronomie freuen.
Auf den übrigen Teilflächen befinden sich der denkmalgeschützte Gerichtsaltbau und das sogenannte Beamtenwohnhaus: In dem denkmalgeschützten Gerichtsaltbau sollen mithilfe eines Investors Wohnungen entstehen. Genau dies ist der Punkt, der bei manchen Wiesbadenern Befürchtungen auslöst. Gemunkelt wird von Edelwohnungen, die entstehen sollen. Ist dieses der tatsächliche Plan, stellt sich die Frage, ob die Schaffung von teurem Wohnraum dem Viertel wirklich gut tun und dem tatsächlichen Bedarf in der Stadt entsprechen würde.
Keine Spekulation, sondern heute verkündetes Vorhaben: An der Ecke Albrechtstraße/Oranienstraße ist unter Einbeziehung des ehemaligen Beamtenwohnhauses der Bau eines Wohnheims für circa 120 Studierende durch einen Investor geplant. Zur Deckung des Stellplatzbedarfs der Hochschule Fresenius, des Studentenwohnheims und der Wohnungsnutzer ist zudem der Bau von Tiefgaragenstellplätzen vorgesehen.
OB: „Junges, quirliges Quartier kann entstehen“
„Mit der heutigen Unterzeichnung der Absichtserklärung stehen die Chancen sehr gut, den Bereich Moritzstraße/Gerichtsstraße wieder zu einem attraktiven Gebiet mit unmittelbarer Innenstadt-Anbindung zu entwickeln. Mit der Hochschule Fresenius und einer möglichen Wohnnutzung kann ein junges, quirliges Quartier entstehen, das auch für die bereits dort ansässigen Geschäfte und Bewohner eine enorme Bereicherung darstellt“, so Oberbürgermeister Gerich, der allen an der Absichtserklärung Beteiligten herzlich dankte.
Fresenius kehrt zurück zu den Wurzeln
Wird aus dem heute unterzeichneten „Letter of Intent“ (Absichtserklärung) Wirklichkeit, kehrt die Hochschule Fresenius auch an ihren Wiesbadener Ursprung zurück. In der Kapellenstraße hatte Carl Remigius Fresenius 1848 sein Chemisches Laboratorium mit einer Ausbildungsstätte gegründet, aus der später die Hochschule Fresenius hervorging.
„Tradition und Zukunft unseres Hauses liegen nun viel näher zusammen. Mit innovativen Studiengängen wollen wir die Bildungslandschaft der Landeshauptstadt bereichern“, beschrieb Hochschulpräsident Botho von Portatius die Intentionen der Hochschule. Dabei bezog er sich auch auf den Fachbereich Design. Hier sah der Hochschulpräsident Anknüpfungspunkte an die Tradition der Landeshauptstadt, die mit der früheren Werkkunstschule viele bedeutende Designer hervorgebracht hatte. Zu den Bekanntesten gehört der 1932 in Wiesbaden geborene Dieter Rams, der als Chefdesigner der Firma Braun einige Klassiker schuf.
Hochschule will Ende 2017 einziehen
Hermann Kögler, Geschäftsführer der Hochschule Fresenius gemeinnützige GmbH, betonte die Wichtigkeit einer zügigen Umsetzung. „Unabhängig von den anderen Teilprojekten muss die Hochschule nun umgehend mit ihrem Vorhaben starten können“, so Hermann Kögler. Zum Zeitplan präzisierte OB Gerich auf seiner persönlichen Facebook-Seite: „Erstmal müssen wir Planungs- und Baurecht schaffen. Die Hochschule will Ende 2017 einziehen. Die Sache läuft jetzt mit Hochdruck los.“
Der Finanzminister betonte, dass sich das Land auf vielfältige Weise bei den bevorstehenden Arbeiten einbringen werde: „Wir werden durch fachliche und finanzielle Unterstützung zur Erstellung des Planungsrechtes beitragen. Außerdem werden wir den Bau der erforderlichen Tiefgarage mit einer Zuwendung von bis zu fünf Millionen Euro unterstützen.“ Die Stadt Wiesbaden wird dem Land zur Finanzierung des Baus der Tiefgarage sowie für anfallende Abbruchkosten Mittel in Höhe von 2,5 Millionen Euro zur Verfügung stellen. „Darüber hinaus leistet das Land einen entscheidenden Beitrag zur Finanzierung des Neubaus der Hochschule Fresenius, indem es das Bauprojekt mit einer Landesbürgschaft unterstützt“, sagte Schäfer abschließend.
War´s das für das Stadtmuseum?
Mit den heute bekannt gegebenen Plänen dürfte sich auch die Idee erübrigt haben, ein Stadtmuseum Wiesbaden im Alten Gericht anzusiedeln. Diese Option war zuletzt ins Spiel gebracht und von manch maßgeblichen Stimmen auch vehement gefordert worden, nachdem der ursprüngliche Plan eines Stadtmuseum-Neubaus an der Wilhelmstraße zumindest vorerst gescheitert ist. Noch Anfang dieser Woche hatten Staatsminister a.D. Jörg Jordan, OB a.D. Achim Exner und der Designprofessor Franz Kluge in einem offenen Brief gefordert, dass „das Land Hessen von der geplanten Umwandlung des Gerichts in Luxuswohnungen mit entsprechend tiefen Eingriffen in die historische Substanz Abstand nehmen“ und stattdessen die Realisierung eines Stadtmuseums angestrebt werden solle. Eine gemeinsame Begehung habe sie zu der Erkenntnis gebracht, dass die Bausubstanz sich in einem Zustand befinde, der die Einrichtung eines Museums „ohne nenneswerte Eingriffe in das denkmalgeschützte Bauwerk“ möglich mache.
Ausdrücklich schlossen sie in ihre Überlegungen die Ansiedlung von Hochschule Fresenius, Studentenwohnheim und Tiefgarage ein, ebenso die Ermöglichung weiterer Nutzungen auf dem Areal: „Zu diesen gehören: ein gastronomisches Angebot im Erdgeschoss, Ateliers für Künstler in den Dachgeschossen und ein Bürger- und Veranstaltungssaal für das Innenstadtviertel“, schrieben sie und ergänzten: „Es muss nicht alles auf einmal gemacht werden, eine abschnittsweise Ingebrauchnahme ist möglich.“ Falls ein von ihnen gewünschter „konstruktiver Dialog mit den Verantwortlichen im Rathaus“ nicht möglich sei, brachten die Unterzeichner sogar die Prüfung eines Bürgerbegehrens ins Gespräch: „Diesmal nicht gegen einen Beschluss des Parlaments, sondern für die Nutzung des Alten Gerichts als Stadtmuseum.“
– Dirk Fellinghauer / Fotos Alexander Kurz (Unterzeichung) / Dirk Fellinghauer (Archivfotos Altes Gericht) –