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„Die Leute berühren, wo sie sonst nicht berührt werden“: Yello im sensor-Interview – und erstmals auf Tournee

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Interview: Dirk Fellinghauer. Fotos: Michael Wilfling (live), Dirk Fellinghauer.

Wenn ein Konzert mit Yello nur halb so unterhaltsam, kurzweilig und vergnüglich wird wie das exklusive Gespräch, das wir mit den Herren Dieter Meier (72) und Boris Blank (65) im Foyer des Frankfurter Grand Hotels Hessischer Hof geführt haben, dann lohnt sich am 29. November auf jeden Fall der Weg in die Frankfurter Festhalle. Dort starten die beiden Schweizer, die der Welt große Hits und neue Klang- und Sounderlebnisse beschert haben und weit über Yello hinaus vielfältigst aktiv sind, ihre allererste gemeinsame Konzerttournee überhaupt. Vorneweg haben wir uns mit dem Mastermind-Duo unterhalten. Ein Gespräch über Apps und Schreibmaschinen, Würste und Geschäftsmodelle, Freiheit und Exzess, über Zukunft der Musikindustrie – und immer wieder über Glückgefühle. 

Einer kommt entspannter als der andere daher, beide strahlen Stil und Charme und Coolness aus und sind dabei die Freundlichkeiten in Person. Ihrem Gegenüber gegenüber, aber auch im herzlichen, fast liebevollen Umgang miteinander.  Sie loben sich gegenseitig über den grünen Klee und vermitteln dabei das Gefühl, dass sie all das Schöne, was sie übereinander sagen,  nicht nur sagen, weil es werbewirksam ist, sondern dass sie es auch wirklich so meinen. Als absolute Profis erzählen sie auch immer gleiche Geschichten immer wieder so, als würden sie ihnen gerade im Moment erst einfallen. Sie sind gewitzt, charmant, interessiert und: richtig nett. Sie strahlen kindliche Freude aus, die unverkrampfte und immer wieder neugierige Verspieltheit – ihr aktuelles Album heißt „Toy“ – ist sicher auch ein Geheimnis des Yello-Sounds und der Yello-Geschichte.

Am Ende des Gesprächs, das streckenweise philosophische Züge annimmt, erzählt Dieter Meier, der unter anderem auch Maler, Zeichner, Fotograf, Gastronom und Unternehmer ist, einen Witz nach dem anderen, noch einen und noch einen, bis die begleitenden Pressedamen nicht nur nervös, sondern resolut werden: Wir müssen jetzt wirklich weiter! Schade für den Interviewer und schön für die Gesprächspartner, die als nächstes das Vergnügen haben dürfen mit diesem herrlich anarchischen genialen und erfrischenden Duo, das Musikgeschichte schrieb und Musikgeschichten erzählt wie wenige andere. Nachdem man sich dann doch endgültig verabschiedet hat, kommt Dieter Meier noch einmal zurück. Er hat seine „New York Times“ auf dem Tisch liegen lassen. Auf die Lektüre will er nicht verzichten. „Man muss ja nachlesen, was Trump & Co sich wieder für einen Unsinn ausgedacht haben.“

Wie kommt eine Band im fast 40. Jahr ihres Bestehens auf die Idee, zum ersten Mal auf Tournee zu gehen?

Dieter Meier (DM): Das hat mit verschiedenen Faktoren zu tun. Einerseits wollten wir nie auf die Bühne gehen und dann einen Knopf drücken, und ein Computer spielt das Programm ab, und ich singe dazu. Wir wollten, dass es auch wirklich live ist. Genau das schien uns sehr schwierig –  bis Boris Blank die geniale Idee hatte, sich ein Taschenstudio sich bauen zu lassen.

Was ist denn, bitteschön, ein Taschenstudio?

DM: Schwedische Produzenten haben für uns den „Yellofier“ entwickelt. Mit dieser App kannst du sampeln und in kurzer Zeit ein Musikstück kreieren. Das hat Boris dann auch gemacht und ist damit aufgetreten, zum Beispiel bei der Echo-Verleihung. Da haben wir auf der Bühne live ein Stück gemacht. Der Boris mit seinem Yellofier, mit verschiedenen Lauten, die er mit seiner Stimme hergestellt hat, und mit mir als Improvisationssänger live dazu. Instant music, instant composition. Nicht nur unplugged, sondern unrehearsed. Wunderbare Musik!

Wunderbar auch für Livekonzerte? Wie kam es zum Sinneswandel?

DM: Die guten Erfahrungen haben Boris auf den Geschmack gebracht, dass es absolut geht, dass wir auf der Bühne live singen. Und: Er hat die Hemmung verloren, auf die Bühne zu gehen und so zu tun, als würde man etwas live veranstalten, und dabei kommt alles nur vom Band. Also haben wir entschieden:  Jawohl, wir treten live auf, unter anderem auch mit diesem Yellofier. Und eben auch mit Musikern. Boris hat ganze Arrangements für die Musiker gemacht, die zum Teil sehr präzise diese signifikanten Stücke von Yello spielen, die aber auch einen Livespielraum haben, so dass das Ganze mit bis zu zwölf Musikern auf der Bühne einen echten Livecharakter bekommt.

Als erste Feuerprobe gab es vier ausverkaufte Konzerte in Berlin. Wie war es für Boris, tatsächlich auf der Bühne zu stehen, nachdem die Hemmungen gefallen waren?

Boris Blank (BB): Einerseits haben mir die Musiker die Hemmungen genommen, die als Stütze fungiert haben. Klar war ich sicher nervös und angespannt, wie es letztlich klingen und rauskommen würde. Ich war aber überrascht, dass ich das relativ locker über die Bühne brachte.

DM: Das Publikum war sehr begeistert, darf man sagen. Das waren wirklich Applausstürme. Das ist ein unglaublich einmaliges Gefühl, wenn man vom Publikum getragen wird, wenn man spürt, dass der Funke überspringt. Dieses Glücksgefühl erlebt wahrscheinlich ein Surfer in Hawaii, wenn er auf der Welle steht, und die Welle ihn kraftlos ans Ufer bringt. Das ist eines der größten Glücksgefühle dieses Lebens.

Bei den Konzerten in Berlin  ging es ja irgendwie auch im wahrsten Sinne des Wortes um die Wurst.

DM: Nach den Konzerten in Berlin durften wir sehr zufrieden sein mit dem Resultat. Die ersten beiden Konzerte waren etwas holprig. Das hat dann auch ein paar Journalisten zu bissiger Kritik geführt, vor allem auch, weil der Veranstalter im ersten Stock dieses Kraftwerks im großen Stil Würste gebraten hat und Buletten. Da hatten wir nichts mit zu tun, das hat uns auch überhaupt nicht gepasst. Aber das war nicht mehr zu stoppen an dem Abend. Der Spiegel-Journalist kam mit dem Wurstgeschmack in der Nase in den Konzertsaal und war schon ziemlich sauer und hat dann eine Kritik geschrieben unter dem Motto: Die sind jetzt auch noch ins Wurstgeschäft eingestiegen, die wollen im Alter ihre Musik optimieren, in dem sie da noch Würste dranhängen. Das stimmt natürlich überhaupt nichts, weil wir mit der Wurstbraterei nichts zu tun haben. Wir waren auch entsetzt über diesen Wurstgeschmack, der sich da im ganzen Kraftwerk ausgebreitet hat.

Mit oder ohne Wurst – Erleben die Fans auf Ihrer Tour das Gleiche wie in Berlin, oder basteln Sie ein ganz neues Programm?

BB: Es gibt zusätzliche Stücke, die hinzukommen auf vielseitigen Wunsch von Fans. Die wünschen sich „The Rhythm Divine“ oder eben die plakativsten Yello-Stücke wie „Vicious Games“. Da haben wir ein paar zusätzliche Stücke mit dabei und zusätzliches Videomaterial, das Dieter erstellt.

DM: Wir spielen nicht einfach die Videos ab, aber es gibt Reminiszenzen an die alten Yello-Videos. Die Experimentalfilmtechnik, ich nenne das „Moving Frescos“, also bewegte Fresken, das sind unsere Bühnenbilder. Das kommt unglaublich gut, diese Versatzstücke aus den Videos, die aber eben nicht die Videos sind. Zum Teil tauchen auch unsere jungen Köpfe auf.

Im Publikum in Berlin waren, so war zu lesen, überwiegend ältere Köpfe. Sind Sie eine Band für Nostalgiker?

BB: Lustigerweise nicht nur. Wenn man jetzt das Videomaterial anschaut, da sieht man durchaus auch sehr viele junge Leute. Aber sicher waren da viele Fans aus der Zeit von „Oh Yeah“ oder „The Race“, eben aus den Achtziger Jahren, die uns in dieser Zeit begleitet haben und gespannt auf diese Konzerte waren.

DM: Für viele junge Leute ist Yello eine Überraschung. Wir haben eine sehr eigenartige Releasepolitik. Wir machen nur alle sechs, sieben Jahre eine CD. Die letzten drei CDs liegen 21 Jahre auseinander. So sind junge Leute eigentlich nie wirklich mit Yello in Kontakt gekommen, die wissen gar nicht, was das ist. Aber wenn sie es sehen oder hören, dann sind die überrascht über eben die Frische und Originalität der Sounds von Boris Blank. Der bleibt ja nach wie vor ein Klangerfinder, ein Klangmaler. Er geht eben nicht verloren in diesen neuen Technologien, die ja, von diesen DJs angewandt, im Grunde genommen doch weitgehend einen Einheitsbrei produzieren, der zeitlich auch gar nicht festmachbar ist. Das könnte auch fünfzehn Jahre alt sein, was da die Guettas dieser Welt auf die Bühne bringen.

Haben CD-Veröffentlichungen überhaupt noch eine Zukunft?

DM: Im Grunde genommen haben wir eine falsche Releasepolitik gehabt, indem man immer auf diese CD hingearbeitet hat. Das war gestern! Heute bringt man einfach Stücke raus. Meine vier Kinder würden nie in ihrem Leben eine CD kaufen – die älteste Tochter ist 32, die hat, obwohl sie sehr musikaffin ist, noch nie in ihrem Leben eine CD gekauft, auch der jüngste Sohn nicht. Die laden dann herunter oder kaufen im Internet ein Stück und dann nochmal ein anderes Stück, aber dieses CD-Hören ist bei jungen Leuten inexistent. Das spiegelt sich ja auch in den CD-Verkäufen. Das ist auch ein Grund, warum wir in den Charts so hoch eingestiegen sind. Wir waren in der ersten Woche in Deutschland mit der neuen CD direkt auf Platz 2, das waren wir noch nie. Das hat seinen Grund ganz klar darin, dass die Leute, die Yello kennen, noch CDs kaufen. Das ist ein bisschen ein verzerrtes Bild. Die junge Generation kauft schlicht keine CD mehr. 

Bedauern Sie das?

DM: Überhaupt nicht. Ich verkünde seit vielen Jahren, dass der perfekte Transport von Musik eine, wie ich es genannt habe, Space Juke Box ist, wo du gegen geringes Entgelt Zugang hast zur World Music Library. Das ist sinnvoll auch unter Umweltschutzgründen – du stellst keine CDs mehr her, du hast keine Retouren mehr, sondern in dieser Space Juke Box schlummert sozusagen der ganze Weltmusikschatz. Für vielleicht 10 Euro im Monat hast du Zugang zu diesem Weltmusikschatz, das ist das Fantastische.

Auch für die Künstler?

DM: Den Plattenfirmen geht es im Augenblick wieder sehr gut: Weil sie ein Modell gefunden haben zum Kassieren, nämlich Spotify muss ja den Plattenfirmen sehr viel Geld bezahlen für diese Kataloge. Aber er Verteilschlüssel ist einfach im Augenblick noch sehr anonym, die großen Plattenfirmen sind ja alle an Spotify beteiligt, und Spotify muss angeblich große Beträge zahlen für diese Kataloge. Aber der Musiker bekommt nur per Stream bezahlt, das ist natürlich der falsche Approach. Spotify verdient ja sehr viel Geld mit Werbung, das wird nicht geteilt, und das verdienen sie nur auf dem Rücken der Musik. Eigentlich müsste der gesamte Pott von Spotify beziffert sein – Spotify nimmt für seine Anstrengungen, das zu verbreiten, 20 Prozent, und der Rest geht an die Plattenfirmen und an die Musiker. Das ist natürlich ein Unglück im Augenblick, dass ein Musiker für eine Million Downloads .. da bekommst du irgendwie 80 Mark oder sowas, das ist natürlich schade.

Wie würden Sie als Unternehmer das Geschäftsmodell Yello beschreiben?

DM: Yello ist eigentlich überhaupt kein Geschäftsmodell. Wir haben ja begonnen in einem winzigen Studio in einer Fabrik in Zürich. Boris hat seine Klangbilder hergestellt, seine Sounds erfunden jenseits von irgendeiner Geschäftsidee. Boris ist ein Urmusiker, der schon als kleiner Junge in der Küche seiner Mutter mit Löffeln und Tellern und Pfannen Sounds hervorgebracht hat. Sounds mit Sounderfindung und Klangbildern, das ist sein Leben. Dass wir dann erfolgreich wurden, das ist sozusagen ein Nebenprodukt, ein sehr angenehmes Nebenprodukt. Aber Yello hat nie funktioniert auf der Basis eines Geschäftsmodells. Das Geschäftsmodell war allenfalls, dass man sich eben nicht opportunistisch verhält und etwas macht, was gerade im Trend ist, was wir auch gar nicht gekonnt hätten, weil wir ja keine Instrumente spielen und ich auch nicht ein Sänger bin, der anderer Leute Songs singen will. Das waren eigentlich immer so wie Bergdisteln, auf der eigenen Scholle gewachsene Dinge, die uns da entstanden sind.

Hat die Musik von Yello eine Botschaft?

DM: Wie alles, was mit der sogenannten Kunst zu tun hat, ist natürlich die Botschaft nicht etwas Übersetzbares, wo man sagen kann, das ist die Botschaft. Es ist eigentlich, wie soll ich sagen, eine Grundhaltung, dass die Originalität und die Erfindung ein Prozess ist des Findens einer eigenen Identität, des Werdens wie die Kinder. Nicht etwa bleiben wie die Kinder, sondern werden wie die Kinder. Und dieser Prozess und das Resultat davon führt hoffentlich dazu, dass du mit deinem Hervorbringungen, die dann unter dem Titel Kunst oder Musik segeln, eben die Leute, die das hören, berührst und aufstöberst, wo sie sonst nicht berührt und aufgestöbert werden. Wo sie so auch etwas über sich Neues lernen, wo für sie neue Türen aufgehen eines Vorhandenseins auf dieser Welt als Musikhörer oder Bilderbetrachter oder Leser. Dass eben etwas in ihnen drin auch entsteht, was letztlich auch mit Freiheit zu tun hat – mit Entdeckung seiner selbst, mit sich hingeben einem Gebilde, sei das jetzt geschrieben oder komponiert oder gemalt, das Ausdruck ist des Suchens dieses Kindes, das ja in jedem von uns schlummert.

Ist der Yello-Song „You Got To Say Yes to Another Excess“ auch ein Motto für Ihr Tourleben?

DM: Nein. Mit Exzess ist ja nicht gemeint „Sex and Drugs and Rock ́n ́Roll“. Jedes sich wahre Ausliefern an ein Kunstprodukt, sei es Schreiberei, Malerei oder Musik, ist ja ein Exzess auch des Verlorenseins, des ein-Idiot-seins, aus dem heraus dann wieder etwas Neues entstehen kann.

Genau das führte und führt ja bei vielen Künstlern auch zum „Sex and Drugs and Rock´n´Roll“-Exzess.

DM: Sehr viele Leute sind ja bei diesem Prozess des sich radikalen Selbstausbeutens auch gestorben. Ich glaube, dass dieser Exzess damit zu tun hat, dass man – weil man es eben anders nicht mehr schafft – mit Hilfsmitteln die Tore und Türen, die in diesen Raum der Kreativität führen sollen, verzweifelt versucht aufzuschlagen. Das führt dann dazu, dass man sich mit irgendwelchen Mitteln – sei das Alkohol oder Kokain oder Heroin – in andere Zustände bringt, um in einer Form von bewusstlosem Exzess diese Tür wieder aufzuknallen.

„It’s better to burn out than to fade away“ – die verhängnisvolle Rock´n´Roll-Romantik ..

Das ist die ultimative Selbstausbeutung, die dann auch zum Verbrennen führt. Das sind ja Prozesse, die man nicht allzulange durchhält. Das hat dann auch etwas Tragisches, dass es dann nur mehr so geht.

Gab es bei Ihnen Versuche oder Versuchungen in diese Richtung?

DM: Nein. Gut, ich bin ein regelmäßiger Weintrinker, aber das war ich schon mit 21. Ich habe zum Glück keinerlei Suchtdisposition. Ich habe auch mal Zigaretten geraucht, aber – pff – ich konnte mal zehn Zigaretten an einem Abend rauchen, und dann hat es mich wieder zwei Wochen gar nicht interessiert. Das hat mich nie in diesem Sinne gefährdet, dass ich mich eben mit Drogen in einen anderen Zustand bringen musste, um überhaupt irgendeine Form von Kreativität an den Tag zu legen.

Ein Hilfsmittel für Ihren kreativen Exzess ist die gute alte Schreibmaschine.

DM: Die Schreibmaschine ist für mich ein sentimentales Instrument. Als ich ein junger Kerl war und nicht wusste, was ich mit mir anfangen soll, da waren die ersten Hervorbringungen kleine Texte mit der Schreibmaschine. Das war für mich ein absolutes Glücksgefühl, dass diese Hämmerchen aufs Papier sausen und einen Buchstaben liegen lassen dort. Das gab mir das Gefühl, wenigstens irgendwie irgendetwas hervorgebracht zu haben, auch wenn die Texte gar nicht so wichtig waren für mich. So bin ich dann der Schreibmaschine treu geblieben bis auf den heutigen Tag. Das ist heute noch das gleiche Glücksgefühl, irgendeinen Text da zustande gebracht zu haben. Das ist ein für mich sehr bedeutsames Instrument, fast wie für einen Pianisten das Klavier.

Yello starten ihre allererste Konzerttournee am 29. November in der Festhalle Frankfurt. Karten gibt es an allen bekannten Vorverkaufsstellen (www.yello.com) – Wir verlosen 3×2 Freikarten: Mail mit Nennung des Lieblings-Yello-Songs an losi@sensor-wiesbaden.de