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Die rechte Blase festigt sich: Was will #WirSindVielMehr? Demo-Redner heute wegen Volksverhetzung verurteilt

Von Falk Sinß. Illustration Christian Weiß. Foto Falk Sinß.

Mit #WirSindVielMehr hat sich eine neue Gruppe in Wiesbaden gegründet, die rechte Politik auf die Straße bringen will. Wer und was steckt dahinter?

Für den 25. Mai war erneut eine Demonstration der Wiesbadener Gruppierung „Wir sind viel mehr“ durch die Wiesbadener Innenstadt angekündigt – die mittlerweile vierte Demonstration der Gruppe, die seit Anfang des Jahres öffentlich auftritt und in Anlehnung an die Proteste der französischen „Gilets jaunes“ bei ihren Demonstrationen gelbe Schutzwesten trägt. Seit dem ersten Auftreten ist die Gruppe mit Vorwürfen konfrontiert, sie sei rechts oder rechtspopulistisch. Die Anmelderin der Demonstrationen, Sandra Scheld, bestreitet dies vehement. Was ist also dran an den Vorwürfen?

Als ein Anhaltspunkt für den Verdacht gilt der Name der Gruppe: #WirSindVielMehr. Dieser wirkt wie eine Ablehnung des antirassistischen Hashtags „Wir sind mehr“, der nach den rechtsextremen Aufmärschen in Chemnitz zeigen sollte, dass Rechtsextremisten in Deutschland in der Minderheit sind. Doch Scheld widerspricht. Der Name habe nichts mit rechtem Gedankengut zu tun, sagte sie in einem ihrer Redebeiträge während der Demonstration am 9. Februar.

Die Anmelderin: „Es geht um unten gegen oben“

Die Gruppe sei überparteilich und wolle den sozial-schwachen Menschen in Deutschland eine Stimme geben, die unter der verfehlten Sozialpolitik der Bundesregierung zu leiden hätten. Der Name beziehe sich auf die Zahl der Bundestagsmitglieder. „Wie kann es sein, das 709 [Bundestagsabgeordnete] unser Sozialsystem so an die Wand fahren, ohne dass die Bürger aufstehen und laut werden. […] Wir sind doch viel mehr!“, rief sie damals den rund 80 Demonstrierenden zu. Es gehe nicht um links gegen rechts, nicht um rechts gegen links, sondern um unten gegen oben. Mit anderen Worten: Den Organisatoren ist es weitgehend egal, wer bei ihnen mitmacht, solange die Teilnehmer gegen „die da oben“ sind.

Der Szenekenner: „Politisch diffus bis rechts“

Auf Aufklebern zum Beispiel an Wiesbadener Laternenmasten warnen Unbekannte vor den „Gelbwesten“.

„Auf die Selbstverortung kann man nicht viel geben“, sagt Fabian Jellonnek. Der Politikwissenschaftler und Fachjournalist ist ein Kenner der rechten Szene. An den bisherigen Demonstrationen hätten Menschen teilgenommen, die man als rechtsoffen oder gar als rechtsextrem bezeichnen müsse, aber auch Leute, die bisher nicht in rechten Zusammenhängen aufgetaucht seien. „Ich würde die Gruppe deshalb nicht in Gänze als rechtsextrem bezeichnen, sondern als politisch diffus bis rechts“, so Jellonnek im Gespräch mit dem sensor. Das zeigten die behandelten Themen, die neben sozialpolitischen Forderungen, wie bezahlbare Mieten und einen höheren Mindestlohn, auch AfD-nahe Punkte umfassen wie die Ablehnung des Migrationspakts, gegen „von oben verordneten Journalismus“ und für „Meinungsfreiheit und eigene Meinungsbildung“ sowie die Ablehnung von aktuell diskutierten Maßnahmen zum Klimaschutz.

Der gemeinsame Nenner: Politikerbashing

Der gemeinsame Nenner sei die totale Ablehnung der aktuellen Bundesregierung. Dazu gehöre auch plumpes Politikerbashing, so Jellonnek. Hinzu käme, dass auf den Demonstrationen Leute geduldet würden, von denen bekannt ist, dass sie in der rechten oder rechtsextremen Szene aktiv sind. Zu diesen geduldeten Personen gehört zum Beispiel Hendryk Stöckl, der auf seinem Videokanal rechte Fakenews verbreitet. Oder Nicole Sandelbaum von der rechten Gruppe „Beweg was Mainz“, die unter anderem 2018 ein Festival der Identitären Bewegung (IB) in Chemnitz besuchte und dort ein Selfie mit Martin Sellner machte, dem führenden Kopf der IB. Oder Thomas Gauer, ebenfalls von „Beweg was Mainz“, der im vorigen Jahr unter anderem bei einer Kundgebung der als rassistisch geltenden Gruppe „Hand-in-Hand“ aus Erbenheim auf dem Dernschen Gelände eine Rede hielt, in der von einem drohenden Bürgerkrieg fantasierte und die Bundesrepublik Deutschland als eine Diktatur bezeichnete.

Ernst Cran wegen Volksverhetzung verurteilt

Oder Personen der besagten Gruppe „Hand-in-Hand“, auf deren Kundgebungen regelmäßig flüchtlings- und islamfeindlichen Lügen verbreitet wurden. Einer dieser Redner, Ernst Cran, musste sich heute vor dem Wiesbadener Amtsgericht wegen des Vorwurfs der Volksverhetzung verantworten – und wurde verurteilt: wegen Volksverhetzung zu sechs Monaten Freiheitsstrafe und einer Geldstrafe von 2000 Euro verurteilt. Die Freiheitsstrafe wird zur Bewährung ausgesetzt. Anlass war sein Auftritt bei „ Hand in Hand“ im Juli 2018.

Die genannten Personen sind keine Mitläufer, sondern sie nehmen aktiv am Geschehen teil – indem sie die Demonstration filmen und live streamen, „offizielle Gelbwesten“-Banner tragen oder in Redebeiträgen begrüßt werden. Man dürfe die Gruppe deshalb nicht zu isoliert betrachten, so Jellonnek. „Sie sind Teil einer rechten Blase, die sich im Rhein-Main-Gebiet verfestigt hat.“

Fabian Jellonnek hält am 13. Juni um 19.30 Uhr an der Hochschule RheinMain im Rahmen der Reihe „Moment Mal“ einen Vortrag mit dem Titel „Die `seltsame´ Rechte – Rechtspopulistische Mobilisierungen in Wiesbaden und Mainz“.