Von Dirk Fellinghauer. Fotos privat, Veranstalter.
Wer Olga Zaitseva-Herz kennt, kennt ihr Strahlen. Ihr fröhliches, ansteckendes, charismatisches, temperamentgeladenes Strahlen. Beim digitalen Pressegespräch zum großen „WIstandwithUkraine“-Festival, das an diesem Sonntag auf dem Dern´schen Gelände Dutzende Musiker:inen auf die Bühne und Tausende Wiesbadener:innen auf den Platz bringen soll, um ein starkes Signal für den Frieden und gegen den Krieg zu senden, blickt eine ernste und müde Olga Zaitseva-Herz „aus“ dem Bildschirm.
Die aus der Ukraine stammende Musikerin, die 2008 für ihr Studium nach Wiesbaden kam, lange hier lebte und auch 2011 ihr international bekanntes Bandprojekt Zaitsa in Wiesbaden gründete, ist traurig, besorgt, wütend. Die 35-Jährige, die wenig schläft in diesen Tagen, will „die Wahrheit schreien“ – auch mit ihrem Auftritt am Sonntag auf dem Dern´schen Gelände.
Carsten „Strubbel“ Schack vom Schlachthof erklärt, wie es zu der Idee kam, gemeinsam mit Palast Promotion sehr spontan und sehr schnell die Großkundgebung zu organisieren, gestaltet von und getragen von der Wiesbadener Kulturszene: „Die Situation ist so unerträglich, wie fühlen uns alle so ohnmächtig. Die Veranstaltung ist der Versuch, die Unerträglichkeit gemeinsam aushalten zu können.“ Über vierzig Kulturschaffende – Musiker unterschiedlichster Genres, von Klassik über Pop, Rock, Rap bis zu einem DJ – und einige wenige Redebeiträge unter anderem von OB Gert-Uwe Mende, und Stadtverordnetenvorsteher Gerhard Obermayr sollen mit unterschiedlichen Hintergründen, Erfahrungen, Perspektiven eine „Vielfalt an Stimmen“ zeigen – mit freilich einer gemeinsamen Botschaft: „Stop the War“. „Wir werden mit dieser Kundgebung diesen Krieg nicht stoppen können“, weiß auch Michael Stein von Palast Promotion: „Aber wir müssen etwas tun.“
Botschaften aus Wiesbaden auch nach Russland tragen
Und dass jedes etwas etwas bewirkt, darin bestärkt auch Olga Zaitseva-Herz alle Beteiligten: „Alles, was man tun kann gegen die starke russische Propaganda, hilft und bedeutet sehr sehr viel. Putins größte Angst ist es, dass die Menschen seinem Land erfahren, was wirklich gerade wirklich geschieht – Verbrechen, Totalitarismus, Krieg – und wenn seine Menschen auf die Straßen gehen. Auch in Wiesbaden leben viele Russen. Sie können die Botschaften in das Land, wo immer mehr Informationskanäle abgeschnitten werden, tragen.“ Die Menschen in Russland seien auch Opfer: „Wir müssen auf allen Kanälen schreien, wo es nur geht: Das ist die Wahrheit!“
Mentale Unterstützung bedeutet die Welt
Ebenso wichtig wie Versuche der Aufklärung einer Bevölkerung hinter einem eisernen Desinformations-Vorhang sind all die vielen Zeichen, Aktionen und Aktivitäten der Solidarität natürlich auch für die Ukrainer:innen – jenen im Kriegsgebiet und allen, die hierher kommen. Olga Zaitseva-Herz ist es gelungen, ihre Eltern zu evakuieren. Die beiden Universitäts-Professoren sind nach mühevoller und gefährlicher, von Beschüssen begleiteter Zugreise quer durch das ganze Land vor wenigen Tagen in Frankfurt angekommen. „Als ich meiner Mutter die Bilder von all den Solidaritätsbekundungen gezeigt habe, hat sie so geheult. Diese mentale Unterstützung hat die Welt für sie bedeutet.“
„Überleben wir die nächste Stunde?“
Ihre Eltern konnte Olga Zaitseva-Herz in Sicherheit bringen, um viele Freunde bangt sie. „Gestern wurde meine Stadt beschossen, auch ein Kinderkrankenhaus – warum hat Putin nur so große Angst vor Kindern?“, fragt die Künstlerin, die aus der Millionenstadt Dnipro, früher Dnipropetrowsk, stammt. Sie verfolgt die Nachrichten über unterschiedlichste Kanäle, ist mit ihren Freunden in permanentem Kontakt: „Es ist immer eine Erleichterung, wenn sie einen Angriff überstanden haben. Aber sie wissen nie: Schaffen wir es bis morgen? Überleben wir die nächste Stunde?“. Die Musikerin schildert eine humanitäre Katastrophe – „die Menschen sind in Kellern, Bunkern, ohne Wasser, Heizung, Lebensmittel, ohne Empfang“ und mahnt, dieser Krieg, in dem auch Nuklearobjekte gezielt attackiert würden, sei „sehr bedrohlich für ganz Europa“. Sie fühle sich dieser Tage an den populären Film „Don´t Look Up“ erinnert und fordert: „Macht den Himmel zu!“.
Auch Zeichen der Hoffnung
All die Grausamkeiten und Unfassbarkeiten sind Grund für die große #WIstandwithUkraine-Kundgebung, die aber auch Hoffnung vermitteln soll: „Wir wollen nicht nur weinen, sondern auch nach vorne schauen und Mut machen“, sagt Organisator Michael Stein und erwartet ein Gefühlsspektrum „zwischen Trauer, Wut, Aufbruchstimmung und Zusammenhalt.“ Natürlich will man das Zusammenkommen so vieler Menschen auch nutzen, um zu Spenden aufzurufen. Man hat sich für Unicef entschieden, weil auch so viele Kinder vom Krieg betroffen sind – „ein Wiesbadener Unternehmer wird die Erlöse der kommenden zwei Wochen verdoppeln“, berichtet Michael Stein.
Ukrainische und russische Gerichte
Die Hofköche werden auf dem Dern´schen Gelände russische und ukrainische Gerichte zum Verkauf anbieten, die Erlöse werden ebenfalls gespendet. Olga Zaitseva-Herz ermutigt zu jeder erdenklichen Hilfe. Dringend benötigt werde diese auch für die ukrainische Armee: „Die meisten machen sich auf, um ihre eigene Stadt zu verteidigen.“ Aber längst nicht für alle gebe es Schutzwesten, Helme usw. Auch medizinische Hilfe werde immer dringend benötigt. Und: „Hilfe und Lebensmittel für die abgelegenen Orte, vieles konzentriert sich auf die großen Städte.“
Nationalhymne mit „Heiler der Seele“ auf dem Kopf
Gemeinsam mit Musikern des Hessischen Staatsorchesters wird Olga Zaitseva-Herz an diesem Sonntag die ukrainische Nationalhymne singen – zum Auftakt eines dreistündigen Programms für den Frieden und gegen den Krieg. Singen, spielen, rappen, auflegen werden, allesamt ohne Gage, unter anderem Kenneth Minor solo, DJ Janeck, Absinto Orkestra und viele weitere, siehe unten. Olga wird mit typischer ukrainischer Kopfbedeckung auftreten: „In der Ukraine wird der Kranz auch „Heiler der Seele“ genannt, weil geglaubt wird, dass ein Kranz aus Blumen oder duftenden Kräutern Schmerzen lindern, Kraft geben, beruhigen aber auch wecken kann.“
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#WIstandwithUkraine-Kundgebung, Sonntag, 13. März, 15 bis 18 Uhr, Dern´sches Gelände – auf dem Gelände besteht Maskenpflicht.
Zum „Testen für den Frieden“ für einen gerade angesicht wieder steigenden Infektionszahlen besonders sicheren Kundgebungsbesuch laden sensor und Tag.Werk am Sonntag, 13. März, von 10 bis 15 Uhr in das Testzentrum am Bismarckring in den Tag.Werk-Räumen bei Ines und David – Infos und Terminbuchung hier.
Geplantes Kulturprogramm und Redebeiträge :
WIESBADEN ALLSTAR BAND • ABSINTO ORKESTRA • BOSCA • RAMI HATTAB • YOULOOSIE • BIRDY / KENNETH MINOR • DJ JANECK • OLGA ZAITSEVA • PETER “OSTI” OSTERWOLD (Rodgau Monotones) • EVI und MR. LEU (Evi und das Tier) • ENSEMBLE AUS DEN STAATSORCHESTER des Staatstheaters Wiesbadener • RAQUEL GOMEZ REY (Couch Potatoes) • ANDRÉ COLUCCELLI • MENNA MULUGETA • DOMINIK THOMAS • JANET TAYLOR mit Uli Lauterbach • JÜRGEN REHBERG (Mallet) u.v.a. •
OBERBÜRGERMEISTER GERT-UWE MENDE • STADTVERORDNETENVORSTEHER DR. GERHARD OBERMAYER • MATHIAS PÄßLER (Wiesbadener Hilfsaktion) • ALIAKSEI PALUYAN
Unterzeichner*innen des Aufrufs:
PALAST PROMOTION • KULTURZENTRUM SCHLACHTHOF WIESBADEN • DIE KUNST-KOFFER KOMMEN • THEATER 3D • MUSIKLEHRERNETZWERK 2.0 • LITERATURWERKSTATT E.V. • STUDIO ZR6 • BERUFSVERBAND BILDENDER KÜNSTLERINNEN UND KÜNSTLER • JAZZARCHITEKT • FRAUEN MUSEUM WIESBADEN • THEATER IM PARISER HOF • DIE KUNSTWERKER – WIESBADENER KINDER- UND JUGENDKUNSTSCHULE • KULTURCLUB BIEBRICH • NASSAUISCHER KUNSTVEREIN • FRIEDRICH-WILHELM-MURNAU-STIFTUNG • KUENSTLERHAUS43 • SOMMERTHEATER IM NEROTAL E.V. • KULTUR DSCHUNGEL • GOJ T-A-TR • SCHLOSS FREUDENBERG • MUSEUM WIESBADEN • KÜNSTLERVEREIN WALKMÜHLE E.V. • EXGROUND FILMFEST • FREIES THEATER WIESBADEN • KULTURBEIRAT WIESBADEN • CALIBAN LITERATURWERKSTATT E.V. • RADIO RHEINWELLE • WIESBADENER SINFONIEORCHESTER • KREATIVFABRIK WIESBADEN
Aufruf zur Kundgebung:
#WIstandwithukraine
KUNDGEBUNG UND KULTUR FÜR FRIEDEN UND GEGEN DEN KRIEG IN DER UKRAINE
Wir, Wiesbadener Kulturschaffende, wollen mit dieser Kundgebung ein gemeinsames Zeichen für Frieden und gegen Krieg setzen.
Jeder Mensch hat ein Recht auf ein selbstbestimmtes Leben in Frieden, Sicherheit und Freiheit. Putins Regime unterdrückt dieses Recht in der Ukraine mit Waffengewalt.
Dieser Angriffskrieg bringt unsägliches Leid, Tod, Gewalt und Zerstörung. Solidarität mit den Menschen in der Ukraine!
STOP THE WAR!
Super Bericht. Es ist alles wichtige gesagt. In diesen Tagen sollten wir besonders auf die Menschen aus der Ukraine hören was sie wünschen und brauchen. Und nicht was wir in DE meinen wäre das richtige. Die Solidarität der Menschen für Ihr Land ist vorbildlich.
Dieser Text war gestern (13.03.2022) bei der Demonstration auf einer Beamer-Leinwand zu sehen:
Spendenaufruf
Stichwort: Ukraine
UNICEF Wiesbaden
IBAN: DE09 3702 0500 3034 8607 95
Bank für Sozialwirtschaft
Jede Spende, die bis zum 27.03.22 eingeht, wird bis zu 5.000€ verdoppelt