„Die Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner führt ins Mittelmaß und bringt uns nicht zu den besten Konzepten.” (Dr. Christian Gastl, IHK-Präsident, 18. Januar 2017, IHK Wiesbaden, Ansprache IHK-Neujahrsempfang)
“I’m still asking you to believe – not in my ability to bring about change, but in yours.” (Barack Obama,10. Januar 2017, Convention Center Chicago, Farewell Address)
Das Jahr der Entscheidungen,
liebe sensor-Leserinnen und –Leser, liegt hinter uns, könnte man meinen. Die Briten haben sich für den Brexit entschieden, die Amerikaner für Trump, die Entscheidungen sind getroffen, die Folgen offen. In Wiesbaden liegt das Jahr der Entscheidungen vor uns, möchte ich meinen. Altes Gericht, Walhalla, Wilhelmstraße 1, Koalition, Besetzung von Dezernentenstellen, Rad(schnell)wege, Stadtbahn … – wir haben einige Baustellen, die ganz entscheidend sind für diese Stadt, für eine Stadt am Scheideweg.
Schafft Wiesbaden ein Update? Oder wählt Wiesbaden den Verbleib im Staub von gestern, in der Belanglosigkeit und im Mittelmaß? Entscheidet sich Wiesbaden für Uniqueness oder für Austauschbarkeit, für aufregend oder für öde? Schafft Wiesbaden den Sprung zu einer Stadt mit Profil und Charakter, mit Ausstrahlung und Anziehungskraft auf Besucher wie auf Zuziehende? Oder riskiert Wiesbaden das Fernbleiben, und verheerender noch, den Exodus jener, die die Stadt voranbringen können – und wollen! Derjenigen, die viel, aber nicht unendlich Geduld haben, auf dass diese Stadt endlich mal aufwacht. Und dass eine hemmende Kultur der Unmöglichkeiten und der Kostenfixiertheit von einer mutigen Kultur der Möglichkeiten und der Ideenfixiertheit abgelöst oder zumindest mal flankiert wird. Lässt Wiesbaden sich von der Begeisterung, der Energie, der Lust, die an ganz vielen Stellen spürbar ist, anstecken, oder wartet Wiesbaden, bis dieser Elan – und dieses Potenzial! – wieder verpufft? Im Frust!
„Wiesbaden steht für nichts – weder nach innen noch nach außen“ – ein Satz wie eine Klatsche in einem ganzseitigen Städteporträt des renommierten Kulturreporters Peter Grabowski, vor wenigen Tagen veröffentlicht in der bundesweit beachteten Zeitung „Politik & Kultur“ des Deutschen Kulturrats. Ein Satz, der Weckruf sein sollte für eine Stadt, die fast zeitgleich stolz ihre „Tourismusstrategie 2021plus“ vorgelegt hat und darin explizit Wiesbaden als Städtereiseziel pushen will, und zwar für „Städtegenießer“, „anspruchsvolle kulturorientierte Städtereisende“, „qualitätsorientierte Entschleuniger“ und „eventorientierte Städtereisende“. All diese, und noch viele mehr, ließen sich, glauben Sie mir, für „Walhalla Studios“ (wie sie am 5. Februar um 12 Uhr beim Visionären Frühschoppen präsentiert werden) begeistern und von einem „heimathafen & Co im Alten Gericht“ beeindrucken.
Und: Eine Stadt, die nach innen und nach außen für etwas stehen will, eine Landeshauptstadt zumal, braucht, verdammt nochmal, zwingend eine/n eigenständige/n – und möglichst per Kompetenz und nicht per Koalitionskrampf – berufene/n Kulturdezernent/in. Alles andere wäre ein Armutszeugnis.
Will Wiesbaden sich in Zukunft, und für die Zukunft, mit erstbesten oder, gerne nach intensiven Diskussionen und konstruktivem Streiten, erst mit den besten Lösungen zufrieden geben? Wenn Sie mich ein wenig kennen, ahnen Sie, auf welche Entscheidungen ich hoffe und setze. Weil Wiesbaden es kann – wenn man es nur lässt. 2017 liegt so mancher Ball auf dem Elfmeterpunkt bereit. Alles Gute für dieses Jahr und viel Freude mit dieser – 50.- sensor-Ausgabe.
Dirk Fellinghauer, sensor-Mediokrophober
(Foto Sven Krowas)
PS: Wollen Sie sich die Zukunft von Wiesbaden selbst ausmalen? Das Cover von Peter Ederer lädt Sie dazu ein. Und wir laden Sie zum gemeinsamen geselligen sensor-Cover-Ausmalabend am 7. Februar um 19 Uhr ins Lokal am Sedanplatz ein. „Ausmalen ist das neue Yoga“, las ich neulich im Schaufenster der Buchhandlung Angermann. Ommm…malen Sie mit!?