„Für einige ist es noch nicht selbstverständlich, zur Kultur zurückzukehren.“ (Karin Wolff, Geschäftsführerin Kulturfonds Frankfurt RheinMain, während der Pressekonferenz zum Wiesbaden Coron-Arts Festival)
Gönnt eurem Sofa eine Sommerpause,
liebe sensor-Leser:innen! Habt ihr euch auch so schön darauf eingerichtet, finden ihr es auch so wunderbar bequem, fällt es euch auch so schwer, sich von ihm loszureißen? Das Sofa ist zu einem Sinnbild geworden für eine fatale Trägheit.
Eine Trägheit, die zunächst in gewisser Weise verordnet wurde durch Lockdown & Co. Ich muss zugeben, was das anging, habe ich seinerzeit den ersten Lockdown sehr genossen. Endlich nichts verpassen, endlich runterfahren und mal wirklich zur Ruhe kommen. Herrlich war das, was das anging. Weil sowieso nichts abging. Nun ist aber der Lockdown längst vorbei und damit auch die Sofazeit. Sollte man meinen.
Hört man sich um, ist man unterwegs, so stellt man fest: Das Sofa hat offenbar auch in Post-Lockdown-Zeiten für viele nichts von seiner Attraktivität verloren. Zumindest „die Kultur“ hat es augenscheinlich schwer, es mit dem Sofa aufzunehmen – nicht nur, aber ganz besonders die „kleine“ Kultur, die vielfältige, einzigartige, eigenartige Kultur. Coldplay spielt/e dieser Tage an drei ausverkauften Abenden vor jeweils 50.000 Fans im Frankfurter Stadion, zu Mega-Festivals wie Rock am Ring strömen die Massen. Das ist großartig. Es gibt aber Kultur – vor der Haustür, um die Ecke, in der Stadt – auch abseits der Großereignisse. Noch!
Es wird wieder sehr vieles geboten im Wiesbadener Kulturleben. Reguläres, Nachgeholtes, auch ganz neue Formate, Akteure, Orte. Es fehlt nicht an Angeboten, an Ideen, an Auswahl. Es fehlt oft an Publikum. Genau, ihr seid gemeint. Und ihr seid gefragt!
Ich höre nämlich zunehmend manches, das besorgniserregend klingt in Sachen Kultur. Ich höre, dass einigen, die Kultur machen, zunehmend die Lust ausgeht – und wenn das so weiter (nicht) geht, im schlimmsten Fall auch die Luft.
Wenn zu wenige kommen, fehlt nicht nur das „Brot des Künstlers“ in Form von Resonanz, Wahrnehmung, Anerkennung, Applaus. Wenn zu wenige kommen, fehlt auch die finanzielle Basis, um Einrichtungen und Formate am Leben zu halten und auch, um sich selbst im Beruf – ja, darum handelt es sich! – des Künstlers oder der Künstlerin zu halten.
Und wenn uns, den Menschen, dem Publikum, der Stadt, der Gesellschaft die Kunst und die Kultur fehlt, dann fehlt uns: alles! Und was einmal fehlt, kommt so schnell nicht wieder. Oder auch nie. „Kunst und Kultur sind die sinnenfrohen Zukunfts-Labore zum Umgang der Stadtgesellschaft mit aktuellen Herausforderungen“, schrieb mir kürzlich der Künstler Titus Grab. Wir sollten sie tunlichst (be)schützen.
Überlegt euch also gut, was ihr (nicht) tun. Mein Appell: Schickt euer Sofa in die Sommerpause – und geht r/aus! Wie prall gefüllt der Veranstaltungskalender unserer Stadt allein in diesem Sommer ist, vermittelt euch unsere Juli/August-Doppelausgabe. Es gibt Hochkarätiges und Hochpreisiges, das Besuche wert ist für alle, die es sich leisten können – und sollten. Es gibt aber auch Günstiges Gutes und erfreulich viel „umsonst und draußen“ – also umsonst der Eintritt, aber gewiss nicht das Hingehen. Es gibt viele Gründe, Kultur wahrzunehmen, und nur wenige Ausreden, dies nicht zu tun.
Wir sollten uns nicht nur schleunigst das Kultur erleben und genießen wieder angewöhnen. Wir sollten uns dabei auch eine Ausprobieren-Kultur, eine sich einfach mal auf etwas einlassen-Kultur wieder angewöhnen. Also nicht nur das besuchen, wo wir genau wissen, was uns wohl erwartet – dies natürlich gerne auch –, aber auch unbedingt wieder das besuchen, wo wir nicht unbedingt wissen, was da gespielt wird – und von wem. Ich prophezeihe euch: Ihr werdet überrascht sein, und zwar in den meisten Fällen positiv. Ihr werdet es nicht bereuen.
Es gibt wieder vieles zu verpassen. Nutzt diese Chancen. Sonst gibt es irgendwann auch ohne Lockdown nichts mehr zu verpassen. Und das würden wir, das würdet ihr, dann bestimmt bereuen.
Dirk Fellinghauer, sensor-Eintrittskarte
Sofas in die Sommerpause schicken ist eine Idee. Die Sofas im Freien aufzustellen und zu neuen Kontakten und Gesprächen anregen eine andere. Menschen sollen wieder zusammenkommen bei Kultur, Kunst, Musik, Ausstellungen und bei Veranstaltungen. Dennoch Umsicht und Vorsicht sind weiterhin geboten…