Ich gebe zu, ich bin befangen,
liebe sensor-Leserinnen und –Leser, wenn es um das Walhalla geht. Es ist der Ort, wo ich 2008 meine Hochzeit gefeiert habe. Und ich meine gefeiert! Nun ist es, das kann ich Ihnen versichern, gewiss nicht die persönliche Nostalgie und Erinnerung an den aufregendsten, emotionalsten, schönsten, wildesten Tag meines Lebens, die mich heute mit Entschiedenheit sagen lässt: Die Zukunft des Walhalla muss eine Zukunft mit den derzeitigen Betreibern sein.
Nein, es ist die Sorge um einen der wichtigsten, weil anregendsten, herausforderndsten und im besten Sinne unbequemen Orte dieser Stadt. Und damit die Sorge um die Stadt selbst. Mag pathetisch klingen. Warum auch nicht an einem Ort, den auch SEG-Chef Andreas Guntrum als „emotional“ bezeichnet? Hält aber auch ganz rationalen Überlegungen stand.
„Stadtentwicklung – Geld ist nicht alles“, war kürzlich ein Artikel der „Süddeutschen“ überschrieben und verkündete, mit Verweis auf den erstmals vorgelegten Unesco-Weltbericht „Kultur: Urbane Zukunft“, der vor wenigen Tagen auf der Habitat III-Konferenz in Quito, Ecuador, vorgestellt wurde: „Zu den Standortvorteilen gehören auch Theater, Museen und kreativer Untergrund“. Richtig gelesen: kreativer Untergrund als Standortvorteil! Vielleicht nicht der einzige, aber einer der ganz ganz wenigen Orte unserer Stadt, der diesen Anspruch erfüllt, ist das Walhalla. Und sollte es bleiben.
Nein, das heißt nicht, das alles hier so weiterlaufen soll wie bisher, im Gegenteil. Natürlich muss etwas geschehen. Natürlich muss auch eine Lösung für den Gesamtkomplex gefunden werden, der – wenn auch nicht in dem Ausmaß, der nun plötzlich in Jetzt-oder-nie-Schreckensszenarien ins Feld geführt wird – mehr und mehr zerfällt. Muss dies die Übernahme durch eine bundesweit an diversen Standorten tätige „Entertainment Group“ bedeuten? Ich denke nicht. Zumindest nicht unbedingt. Und schon gar nicht ausschließlich und ohne Rücksicht auf Verluste – konkret den Verlust eines der, ich wiederhole mich gerne, wichtigsten Kulturanbieters unserer Stadt.
Jawohl, die große GOP-Varieté-Lösung mag EINE Chance sein. Aber ist es die EINZIGE Chance? Ganz sicher nicht. Das Gebäude ist, nicht nur als Immobilie, zu wertvoll, um nun ungeprüft den Verlockungen der erstbesten Lösung zu erliegen. Das Gebäude, der Standort, und die Stadt, haben es verdient, dass hier erst die beste Lösung realisiert wird! Dass alle nochmal genauer hinschauen und miteinander (!) reden. „Der visionäre Frühschoppen Spezial“ war ein Anfang. Nach einer so hitzigen wie wichtigen und konstruktiven Diskussion hat sich schon wieder einiges getan, tun sich neue Perspektiven auf. Diese gilt es nun zu prüfen und zu besprechen. Unaufgeregt, ehrlich, transparent, (ergebnis-)offen und öffentlich. Gerne auch emotional. Aber bestimmt nicht auf dem Niveau derer, die mit gehässigem Geschwätz in sozialen Medien ausschließlich sich selbst diskreditieren.
Die Verantwortlichen der Wiesbadener Politik mag man (bei diesem, aber natürlich auch anderen Themen wie aktuell etwa Wilhelmstraße 1, Altes Gericht, Ball des Sports, Nachtleben …) ermutigen, dass sie mehr Fantasie wagen, mehr Mühe wagen und ja, letztlich auch mehr Demokratie wagen. Den Wiesbadenern möchte man, in Anlehnung an Stéphane Hessel, zurufen: „Engagiert euch!“, „Empört euch!“ und – überfälliger erster Schritt – „Interessiert euch!“. Wer heute ignorant und gleichgültig ist, darf sich morgen nicht über die möglichen Folgen beschweren.
Dirk Fellinghauer, sensor-Aufrüttler
(Foto Offert Albers)