Von Hannah Weiner. Fotos Kai Pelka.
Auf Wiesbadens Friedhöfen ruhen viele Nazis. Einer sogar in einem Ehrengrab. Klingt nach Skandal. Regt aber in der Stadt, die sonst für ihre Gedankkultur gelobt wird, kaum jemanden so richtig auf.
Der Name, der in den grau melierten Stein eingraviert ist, wird schon halb von einem Friedhofsgewächs verdeckt. Fast ein Sinnbild für die Diskussion um den Mann, der hier auf dem Südfriedhof begraben liegt. Nicht irgendwo, sondern in einem Ehrengrab. Dr. Erich Mix (1898-1971) war nicht nur zweimal Wiesbadener Oberbürgermeister und Vizepräsident des hessischen Landtags. Es gibt einen Teil seiner Vita, über den so manch einer lieber Gras wachsen lassen würde. Er war NSDAP-Mitglied von hohem Rang, SS-Mann und an einer „ganzen Reihe verbrecherischer Tätigkeiten beteiligt, darunter Enteignungen und Zwangsarbeit“. Das weiß Albrecht Kirschner, der 2012 eine Studie zur NS-Vergangenheit hessischer Landtagsabgeordneter durchführte.
„150 Prozent Nazi“
Erich Mix sei „einer der Meistbelasteten – zu 150 Prozent Nazi“. Trotzdem bezahlt und pflegt die Stadt seit 1971 die letzte Ruhestätte des zweimaligen OBs (1937 bis 1945 und 1954 bis 1960). Verantwortlich für Vergabe und Auflösung der Ehrengräber sind Magistrat und Ältestenausschuss. „In eiligen Fällen“, so steht es in den Richtlinien, kann der Oberbürgermeister „im Benehmen mit dem Stadtverordnetenvorsteher“ vorab eine Entscheidung treffen. Doch mit einem Entschluss tut man sich bislang schwer.
Dabei zeichnen die historischen Fakten ein tiefbraunes Bild: 1932 trat Mix der NSDAP bei, für die er ab 1937 OB in Wiesbaden war. 1933 wurde er SS-Mitglied. 1939 zog man ihn zur Luftwaffe ein, wo er als Kommandeur eines Jagdfliegergeschwaders mehrfach ausgezeichnet wurde. 1944 erhielt er den zweithöchsten Offiziersrang eines SS-Standartenführers. Zeitweise handelte Joseph Goebbles Mix sogar als Bürgermeister für Berlin. „Daran sieht man, dass er ein strammer Nazi war“, ist auch der Wiesbadener Historiker Philipp Kratz überzeugt. Nach dem Ende des Krieges wurden ihm alle Merkmale eines „Hauptschuldigen“ zugesprochen. Doch dank guter Kontakte wurde er innerhalb kurzer Zeit zum „Mitläufer“ runtergestuft. Bald nahm Mix seine politische Karriere wieder auf – jetzt bei der FDP. 1954 wurde er erneut Oberbürgermeister. Seine Vergangenheit war lange kein Thema. „In den Fünfziger Jahren hat jeder geschwiegen“, erklärt Kratz. Und Anfang der 70er, als das Ehrengrab vom damaligen SPD-OB Rudi Schmitt veranlasst wurde? „Ich habe den Antrag unterschrieben – dazu stehe ich“, erklärt dieser im Gespräch mit sensor. Diskussionen habe es damals nicht gegeben, denn Mix sei vor seinem Tod 1971 „in führender politischer Position“ gewesen. Der heute 86-Jährige gibt allerdings zu: „Ich hatte keine Ahnung, dass er einen SS-Rang innehatte.“
Ein Ehrengrab bekommt, wer „hervorragende Verdienste um die Landeshauptstadt Wiesbaden erworben hat“. Es gibt aktuell 24 davon, jeweils mit einer Dauer von 50 Jahren. Mix’ Ehrengrab würde 2021 auslaufen. 23 000 Euro kosten Pflege und Erhalt pro Grab jährlich. Doch es geht nicht in erster Linie um Geld, sondern um moralische Verantwortung. Wiesbaden sei eigentlich um die Aufarbeitung der Nazi-Zeit sehr bemüht, sagt Kratz und lobt die „rege, institutionell gestützte Gedenkkultur von heute“.
Uneinigkeit im Rathaus
Auch OB Sven Gerich bezeichnet die Vergangenheitsaufarbeitung als „offen, transparent und beispielhaft.“ Bei der nächsten Sitzung des Ältestenausschusses am 10. Juli steht das Thema auf der Tagesordnung. Im Rathaus herrscht bisher Uneinigkeit. Die Grünen fordern eine sofortige Aberkennung des Ehrengrabes, erklärt Sabine Gaedeke. Die Linke/Piraten-Fraktion schließt sich dem an. Klar positioniert sich auch die SPD. Vorsitzender Christoph Manjura sagt: „Wir werden dafür stimmen, dass das Ehrengrab aufgegeben wird.“ Er hofft, dass OB und Koalitionspartner CDU „in eine ähnliche Richtung gehen“. Diese halten sich bisher bedeckt. Aus dem Dezernat des Oberbürgermeisters möchte man sich nicht konkret äußern. Sven-Uwe Schmitz, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion, vertritt gar eine andere Meinung: „Das Grab einfach aufzulösen ist keine Lösung und macht die NSDAP-Zeit auch nicht schöner.“ Aus der FDP hört man ähnliche Stimmen. Während in der Politik diskutiert wird, beobachtet die Jüdische Gemeinde Wiesbaden die Debatte als „betroffener Zaungast“. Man wolle zwar niemandem durch eine Empfehlung die Verantwortung abnehmen, so Vorstandsmitglied Jacob Gutmark. Aber im Hintergrund stehe für sie immer eine Frage: „Ist das für uns ein lebenswerter Raum?“
Anmerkung: Nach dem Druck der aktuellen sensor-Ausgabe beschloss der Magistrat der Stadt Wiesbaden auf Initiative von OB Sven Gerich, das Ehrengrab abzuerkennen. Die endgültige Entscheidung trifft der Ältestenrat am 10. Juli. Die Zustimmung auch dieses Gremiums gilt als sicher.