Direkt zum Inhalt wechseln
|

Falk Fatal zwischen urbanem Trott und Provinz-Marotten

Wer diese Kolumne regelmäßig liest, weiß, dass ich eigentlich ein Trottel vom Land bin, der irgendwann nach Wiesbaden gezogen ist. Das ist fast achtzehn Jahre her. Nicht mehr lange, und ich habe die eine Hälfte meines Lebens in Wiesbaden verbracht und die andere Hälfte dort, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Man kann also sagen, ich kenne die Unterschiede zwischen Stadt und Land.

Der offensichtlichste Unterschied: In Wiesbaden würde niemand auf die Idee kommen, mich einen Zugezogenen zu nennen. Die ersten Monate war ich vielleicht noch ein Neu-Wiesbadener, doch mit jedem Monat länger in der Stadt, verschwand das “Neu” immer mehr. In dem Dorf, in dem ich aufwuchs, wäre das undenkbar. Da wäre ich auch nach zwanzig Jahren noch ein Zugezogener. Ich erinnere mich noch gut an einen alten Schulfreund, mit dem ich erst den Kindergarten und dann die Grundschule besuchte. Kurz nach seiner Geburt waren seine Eltern in das Dorf gezogen. Dort leben sie immer noch – seit 38 Jahren! Doch für die „Eingeborenen“ sind sie immer noch die Zugezogenen. Erst nach fünfzig Jahren dauerhaftem Wohnsitz, wird man sie als „Einheimische auf Probe“ anerkennen. Zu Einheimischen auf Lebenszeit werden sie nach 75 Jahren ernannt. Außer man ist dort aufgewachsen. Dann kann man wie ich fortziehen und trotzdem „Einheimischer ehrenhalber“ bleiben.

Dafür musste ich erst all diese urbanen Skills lernen, die man zum Überleben im Großstadtdschungel braucht,  als ich nach dem Abitur in die große Stadt zog. Und mir gleichzeitig so manche Provinz-Marotte, die ich mir in meiner Kindheit und Jugend angeeignet hatte, wieder abtrainieren. Das Grüßen war zum Beispiel solch eine Marotte. Meine Mutter brachte mir bei, Menschen auf der Straße zu grüßen – ganz gleich, ob ich sie kenne oder mag. Also grüßte ich jeden, der an mir vorbeilief. Selbst wenn sich die Person auf der anderen Straßenseite befand.

Kaum in der Stadt angekommen, machte ich so weiter. Doch statt einem freundlichen „Grüß Gott“ erntete ich böse Blicke aus Augen, die sagten: „Warum grüßt mich dieses dürre Arschloch und lächelt dabei so dumm? Will mich der provozieren? Wenn der noch einmal sein scheiß Maul aufreißt, sprühe ich ihm eine Ladung Pfefferspray in seine dreckige Visage.“ Zum Glück habe ich mich schnell angepasst. Von schlimmeren bin ich verschont geblieben.

Treffe ich dieselbe Person allerdings ein paar Stunden später im Wald oder im Rabengrund, ist von der Aversion nichts mehr zu spüren. Stattdessen wird freundlich „Guten Tag“ gesagt. Warum das so ist? Keine Ahnung. Vielleicht saugt der Beton der Großstadt uns Menschen die Freundlichkeit aus den Knochen. Vielleicht ist es auch einfach die Masse an Leuten, denen man unterwegs begegnet, die einen verstummen lässt. Nur meiner Hündin ist das alles egal. Die grüßt jeden – egal, ob in der Stadt oder auf dem Land.

Mehr Falk Fatal: http://fatalerror.biz