Von Anja Baumgart-Pietsch. Fotos Kai Pelka.
Das geflügelte Wort vom „Tante-Emma-Laden“ bekommt in Igstadt eine andere Wendung: Hier ist „Onkel Ammar“ derjenige, der mit seiner freundlichen Art und seinem durchdachten Sortiment den Ort „zusammenhält“. Und das, obwohl er Igstadt eigentlich erst vor gut vier Jahren kennen lernte.
„Philosoph“ als Kioskbetreiber
Ammar Boutaoui, Franzose mit algerischen Wurzeln, ist der nette Mann, der „etwas mit Menschen“ machen wollte und genau das hier erreicht hat. Er fühle sich hier sehr wohl, sagt der 62-Jährige. „Ich war vorher kein Händler.“ Ganz im Gegenteil, Boutaoui hat Anglistik und Romanistik studiert. „Er ist nicht der klassische Geschäftsmann und Kioskbetreiber, er ist ein Philosoph!“, sagt beispielsweise Ingrid Dahl vom Igstadter Scheunentheater, für das die Karten im Vorverkauf natürlich auch hier zu kaufen sind. Die Kiosktür hängt voll mit Plakaten für kommende Veranstaltungen. Was in Igstadt los ist, weiß Ammar.
Leider auch Zigaretten, keinesfalls Schnaps
Immer wieder kommen Leute zur Tür herein. Sie kaufen ein Päckchen Kartoffelbrei, eine Flasche Granini-Obstsaft oder ein Kürbiskernbrötchen. Waren des täglichen Bedarfs hat Ammar im Angebot, aber auch klassische Kioskware wie Zigaretten – „leider“, sagt er, aber da komme man nicht drum herum. Was er nicht hat: Alkohol, zumindest keine kleinen Schnapsfläschchen. „Ich wollte hier nicht so eine Trinkhalle schaffen“, sagt er. Bier und Wein habe er, aber auch nicht prominent platziert.
Anfangs wurde er genau nach den kleinen Schnäpsen gefragt. Das habe dann nachgelassen, als die entsprechende Kundschaft merkte, dass es das hier nicht gibt. Stattdessen ist ein ganzes Schaufenster voll mit Zeitschriften und Bilderbüchern für Kinder. Die gehen auf dem Weg zur Grundschule hier vorbei und finden eine nette Anlaufstelle bei „Onkel Ammar“.
„Vor einiger Zeit ist ein Mädchen mit Inline-Skates hier direkt vor dem Laden schwer gestürzt“, berichtet er. „Ich schloss das Geschäft, rannte hin, rief den Krankenwagen und habe die Kleine beruhigt. Es war ein komplizierter Bruch. Nach Monaten kam sie und hatte mir einen Kuchen gebacken.“ Für solche Momente lebt der optimistische und belesene Ammar Boutaoui, der stolz darauf ist, dass man ihn im Ort schon gar nicht mehr wegdenken möchte.
Einkauf mit Schwätzchen
„Ich komme jeden Tag“, sagt die Kundin, die den Kartoffelbrei kauft. Und der Inhaber weiß auch, dass sie nicht nur um des Einkaufs willen kommt, sondern auch, um ein nettes Schwätzchen zu halten. Boutaoui, bekennender Eintracht-Frankfurt-Fan, was man seinem Laden auch ansieht, kann über alles reden, von Fußball bis Politik. Dabei gibt er sich Mühe, nie zu polarisieren. Vor allem kann er auch zuhören und das Gefühl vermitteln, man kenne sich schon ewig. Auf dem Stuhl, den er unauffällig in einer Ladenecke platziert hat, „sitzen dauernd Leute.“
Wichtig für den Vorort ist auch seine Rolle als Anbieter der nahezu einzigen Einkaufsmöglichkeit, die fußläufig zu erreichen ist. Jeden Morgen kommt er aus Mörfelden, wo er mit seiner Familie wohnt, nachdem er bei einem Bäcker in Wicker die täglichen Backwaren abgeholt hat. Da kann man auch Sonderwünsche äußern: „Wenn jemand eine Torte haben möchte, besorge ich die“, sagt Ammar, während er einem Kunden mit langen Rastazöpfen einen Cappuccino zubereitet. Er verkauft Busfahrkarten, Postdienstleistungen, nimmt Textilien für die Reinigung an – alles wichtig für den Ort, wo man sonst nur in die Stadt oder ins angrenzende Nordenstadt zum Einkaufen fahren kann.
Höchste Auszeichnung
Als der Kiosk 2018 geschlossen werden sollte, waren die Igstadter:innen sehr unglücklich, berichtet Ingrid Dahl, und umso angetaner, als sich auf die Zeitungsanzeige Ammar Boutaoui meldete. Für seine Verdienste, zum Beispiel auch dafür, dass er älteren Leuten die Brötchen gerne ins Haus bringt, wurde er in diesem Jahr mit der höchsten Auszeichnung des Vororts bedacht, dem Igstadter Gerichtssiegel. Darüber freut er sich sehr. Aber wenn sein Kiosk schließt, meist bereits um 15 Uhr, „dann bin ich weg.“ Er habe sich mehr Zeit für seine Familie gewünscht, sagt der vierfache Vater. Das könne er mit dem Kiosk prima verwirklichen. Deswegen aber hat er auch noch nie eine der empfehlenswerten Vorstellungen des Igstadter Scheunentheaters besucht, für das er die Karten verkauft. „Mache ich aber ganz bestimmt auch noch mal“, verspricht er.