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Geschäft des Monats: Parfümerie Jeanette, Ellenbogengasse 7

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Von Anja Baumgart-Pietsch. Fotos Arne Landwehr.

Sie bekommt höchstes Lob von ihren Kunden – auch im Internet. „Beim Rausgehen hab ich Sie vor lauter Rührung und Ehrfurcht geküsst, meine Frau genauso. Wir sind draußen gestanden und haben uns einfach umarmt, so schön war der Moment!“, schreibt etwa ein Christoph in einem Parfümblog über seinen Besuch in der „Parfümerie Jeanette“, den er so schnell nicht vergessen wird. Wahrscheinlich hat sie das selbst noch gar nicht gelesen. Gisela Gerhardt wirkt nicht wie jemand, der viel Zeit am Bildschirm verbringt. Für sie ist der direkte zwischenmenschliche Kontakt wichtig. Das ist ihr Motor, der noch immer jeden Tag anspringt, auch wenn die Geschäftsinhaberin mittlerweile die Achtzig überschritten hat.

Das sieht man nicht und das spürt man auch nicht, wenn sie dynamisch ins Regal greift, ihre Traumdüfte auspackt und die Besucher mal ausgiebig schnuppern lässt. Für jeden Typ das Richtige, ob als Geschenk für die Mutter oder die Tochter, den Freund, die Nachbarin oder für sich selbst.
 

Erst ein Duft macht den Tag richtig schön

Mit traumwandlerischer Sicherheit findet die Dame, die nicht nur Düfte sondern auch Herzlichkeit großzügig versprüht, in ihren gut sortierten Regalen den richtigen Duftklassiker für jeden heraus. Dass ein Duft den Tag erst richtig schön macht, ist für sie selbstverständlich. Und dass es ein französischer oder italienischer sein muss, auch. „Deutsche können Technik, keine Düfte – und Amerikaner können’s auch nicht“, sagt die Inhaberin der Parfümerie mit fester Stimme, die keinen Widerspruch duldet. Die aktuellen Modedüfte sucht man bei ihr vergeblich. Dafür gibt es feine Klassiker von Chanel und Guerlain, auch solche, denen man nicht mehr an jeder Ecke begegnet. Und Gisela Gerhardt nimmt sich Zeit für alle Kunden, die bei ihr hereinschneien, ob sie nun etwas kaufen oder nicht.

Sie liebt es, sich ausgiebig mit ihnen zu unterhalten. Das macht sie zur Idealbesetzung für so einen Laden, für den sie seit Jahrzehnten lebt. Umso trauriger ist es, dass sie ihn wohl Ende des Jahres aufgeben muss, denn das Haus soll abgerissen werden. Das Leben danach kann sich die agile Chefin noch gar nicht vorstellen, will aber auf jeden Fall aktiv bleiben. Der Name ihres Ladens ist übrigens ein reines Fantasieprodukt. Den hatten sich zwei alte Ladies ausgedacht, damals noch gegenüber, in deren Kiosk „Jeanette“ Gisela Gerhardt als junge Frau einfach mal fragte, ob sie mitarbeiten könne. Denn als ihre Tochter in den Kindergarten kam, fühlte sie sich unterfordert. Gelernt hatte sie bereits in der Branche, war bei der „Parfümerie Dette“ am Michelsberg ausgebildet worden. Ihre anfängliche Schüchternheit legte sie dort bald ab und entdeckte ihre Leidenschaft für die Kundenberatung.

Als die beiden Schwestern der ursprünglichen „Jeanette“ aus Altersgründen abdankten, schlug die Stunde von Gisela Gerhardt, die das Geschäft kurzerhand übernahm und ins neu gebaute „Weinand-Haus“ gegenüber verlegte.

Riesige „Facticen“, also Großraumflaschen, stehen dort bis heute überall, doch dort ist nur gefärbtes Wasser drin. „Nur Deko“, sagt Gisela Gerhardt. Nicht alle Düfte sind noch auf dem Markt.  Aber die Expertin hat tatsächlich viele, die man sonst vergeblich sucht. Und wenn es eine Marke wirklich nicht mehr gibt, weiß sie zumindest, was ähnlich duftet. Sie  ist stolz darauf, mit viel Menschenkenntnis ihre Kunden  einschätzen zu können und ihm oder ihr das passende Duftwasser zum Job, zur Stimmung oder zum Typ zu „verordnen“. Das verblüfft viele, die dann auch gerne wiederkommen und mit Gisela Gerhardt einen ausführlichen Plausch halten. Schnell wieder rauskommen – das geht hier nicht. Mit Karten bezahlen auch nicht. Eine nostalgische Registrierkasse tut hier ihren Dienst, zuverlässig  seit Jahrzehnten wie die Inhaberin selbst. Geschichten aus dem Wiesbaden früherer Jahrzehnte, Fotos ihrer Tochter, die in Florida lebt, Stories von Kunden, die sie sogar in Romanhandlungen einbauten: Dafür sollte man schon Zeit mitbringen, wenn man bei der „Parfümerie Jeanette“ einzukaufen gedenkt. Es ist wie ein duftendes Wohnzimmer, das sich hier täglich von 10 bis 18 Uhr öffnet und eine olfaktorische Anlaufstelle für Parfum-Gourmets bietet. Wenn Gisela Gerhardt ihr Geschäft dann doch irgendwann endgültig ausräumen muss, dann wird nicht nur die Ellenbogengasse ein ganzes Stück ärmer sein.