Von Marta Moneva. Fotos Marvin Schäfer.
„Spiegelbild“ versteht sich als Betreiber historisch-politischer Bildung in der Migrationsgesellschaft und erreicht mit seinen diversen Angeboten – Workshops, Schulungen, Veranstaltungen – jährlich etwa 1000 Jugendliche und 500 Erwachsene. Die Aufgaben der Einrichtung, die in der Bärenstraße ein großzügiges Domizil gefunden hat, wachsen stetig.
Historisch verwurzelt, zeitgemäß aktiv
Der Verein arbeitet tief in einer historischen Verantwortung verwurzelt, den heutigen gesellschaftlichen Bedingungen und Entwicklungen angepasst. „Spiegelbild“ ist zwar als Verein erst Anfang 2022 gegründet worden, als Jugendinitiative aber schon 2007 unter dem Dach des „Aktiven Museums Spiegelgasse für deutsch-jüdische Geschichte Wiesbadens“ entstanden. Die einvernehmliche Ausgründung bezeichnete Geschäftsführer Hendrik Harteman als „Meilenstein in der Weiterentwicklung von `Spiegelbild – Politische Bildung aus Wiesbaden´”.
Gabi Reiter hat den Verein mit aufgebaut. Jetzt ist sie als „alte Hasin“, wie sie sich selbst scherzhaft bezeichnet, im Vorstand und hat diesen Prozess begleitet. Auf die Frage, warum ausgerechnet diese Art von politischer Bildung wichtig ist, erläutert Reiter – beim Gespräch kurz vor dem Abflug zum Bildungsurlaub nach Israel – die unterschiedlichen Perspektiven auf die deutsche Geschichte. Aus dieser Multiperspektivität heraus sei es in einer Einwanderungsgesellschaft wichtig, deutsche Geschichte so aufzubereiten, dass sie für viele verständlich wird. Auch Haltung und Werte sollen für junge Menschen mit unterschiedlicher Herkunft verständlich sein.
Raus aus dem „die Guten/die Bösen“-Denken
Man möchte sie mitnehmen, deswegen leiste man die besondere Erinnerungsarbeit. Dies sei nur mit neuen Formaten und Ansätzen machbar – insgesamt eine Herausforderung, der man sich stellen müsse, so Reiter. Gerade beim Antisemitismus gebe es nicht nur den in der deutschen Gesellschaft verankerten, sondern auch den durch Geopolitik im Nahen Osten geprägten Antisemitismus. Komplexe Themen könne man nicht in „schwarz und weiß“ beantworten. Man müsse jungen Menschen zeigen, dass es nicht „die Guten“ oder „die Bösen“ gibt.
Der Verein sucht nach Wegen, wie das gemeinsame Leben in Deutschland gestaltet werden kann, auf der Grundlage des Grundgesetzes, mit einer möglichst breiten Zustimmung. Da einzelne Geschichtslehrer an den Schulen mit einzelnen Themen überfordert sein könnten, kann man Spiegelbild dazu holen, um an der Schule non-formale Erfahrungen aus der Jugendarbeit einzusetzen.
Verein als geistiges Zuhause
Welche Belohnung könnte es für die intensive ehrenamtliche Arbeit im sechsköpfigen Vereinsvorstand – außer ihr und Hendrik Harteman gehören diesem Jörn Bollinger, Leah Heymann, Hatice Canba und Markus Wessolowski an – geben? Gabi Reiter ist stolz darauf, dass „Spiegelbild“ so gut und mit mittlerweile zehn Hauptamtlichen groß aufgestellt ist. Persönlich habe sie bislang Spaß und einen großen Mehrwert an dem Lernfeld gefunden. „Spiegelbild“ sei ein „geistiges Zuhause“, eine „inhaltliche Heimat“. Das Themenspektrum in Wiesbaden umfasse gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus, manches davon tiefverwurzelt.
Neues Ambiente für wertvolle Arbeit
Ein neues Zuhause hat „Spiegelbild“ in der Bärenstraße gefunden. In der neuen Geschäftsstelle bin ich mit den Bildungsreferenten Paola Widmaier (30) und Benny Momper (32) verabredet. In einer hellen und sehr freundlichen Atmosphäre werden hier Inhalte erarbeitet, nach Lösungen gesucht, Schulungen durchgeführt und Multiplikatoren ausgebildet. Das Ambiente ist besonders schön und einladend, der 200-Quadratmeter-Altbau ist hell gestrichen, manche Fenster mit wunderschöner Originalglasmalerei besetzt. Die Holzgarderobe im Flur, die wie ein Original aus der Hausbauzeit wirkt, entpuppt sich als das extrem gelungene Werk einer Bildungsreferentin, die im „früheren Leben Schreinerin“ war, wie sie lachend erklärt.
Über die Geschäfte wacht der freundliche Leiter Hendrik Harteman, der schon seit 2008 dabei ist.
Fake-News-Schulung und Identitätsblume
Benny Momper, zuständig für „Jugend ermöglichen mit Akzeptanz“, zeigt die Räume und den Schulungssaal mit Blick auf die Fußgängerzone. Paola Widmaier ist für das Projekt „Worldwideantisemitism“ zuständig und packt gleich zwei eigens erarbeitete Methoden aus- „Zeitstrahl Israel“ und „Was gehört zu Deutschland?“. Jugendliche können anhand Bildkarten innerhalb einer Stunde in die Materie eingeführt werden. Die Kurse werden in Modulen aufgebaut, die Arbeit mit einer Schulklasse kann auch eine Projektwoche andauern und in fünf Modulen aufgebaut sein. Die Modulübersicht ist von beeindruckender Fülle, darunter Filmanalyse, Karikaturenanalyse, Speech countern, Fake News erkennen, Identitätsblume und vieles mehr.
Nicht nur Schulklassen, sondern auch Lehrkräfte zählen zu den Adressaten. Letztes Jahr im November hat man zum ersten Mal eine Weiterbildung für Lehrkräfte aller weiterführenden Schulen in Hessen angeboten, so Widmaier. Vierzehn Lehrkräfte aus ganz Hessen hatten sich angemeldet. Auch Wiesbadener Schulen nutzen „Spiegelbild“ als Anlaufstelle. Im September wird „Spiegelbild“ mit dem Workshop-Angebot „Antisemitismus, Rassismus, Sexismus und ICH“ im Staatstheater-Studio zur diesjährigen Wiesbaden Biennale beitragen.
Anlaufstelle für Betroffene
Nach Unterstützern gefragt, nennt Momper als erstes die Stadt Wiesbaden. Hier gebe es eine große Bereitschaft und Verständnis – und auch Gelder – für die Inhalte und die Arbeit. Seit 2019 ist „Spiegelbild“ offizielle „Anlaufstelle Antisemitismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ für die Landeshauptstadt. Zuletzt wurde eine Betroffenen-Beratungsstelle in den Verein integriert. Bislang berate der Verein Institutionen oder mache Workshops mit Jugendlichen, aber die Auseinandersetzung mit Betroffenen müsse noch ausgebaut werden, so Widmaier. Derzeit wird die Antidiskriminierungsberatung ausgebaut und nach qualifiziertem Personal gesucht. Und: Die Türen von „Spiegelbild“ sind auch im Alltag weit geöffnet.
Noch ein Stichwort: Gründung des „Aktiven Museums Spiegelgasse“ 1988!
Also sollte hier das kleine alte Haus mit Jüdischer Geschichte abgerissen werden:
ohne den Verein gäbe es das n i c h t mehr und auch nicht viele andere sehens-
würdige und vor allem auch lesenwerte Texte, Filme, Gedenkstätten, Aktivitäten –
– also auch SPIEGELBILD – nicht!