Von Anja Baumgart-Pietsch. Fotos Tim Dechent.
Not good, but laut“ – das ist das Motto der ersten und bisher einzigen Wiesbadener Guggemusik. „Die Räubers“ sorgen seit fast zwanzig Jahren für den dezibelmäßigen Höhepunkt mancher Fastnachtveranstaltungen.
„Räuberhauptmann“ Mario Kolodzeike hat seinen ersten Hörsturz schon hinter sich – lässt sich davon den Spaß an der schrägen Mucke aber nicht verderben: „Ich trag halt jetzt Stöpsel.“ Als Mann am Schlagwerk sorgte er für das Wichtigste bei einer Guggemusiktruppe: Den Rhythmus. Die Melodien sind zwar erkennbar, aber werden absichtlich nicht sinfonisch-sauber intoniert. Gerade das ist das Alleinstellungsmerkmal einer Guggemusik: Schräg bis zur Schmerzgrenze werden Karneval-, Apres-Ski- und andere Schlager durch den Wolf gedreht, aufgeführt von wild kostümierten Gestalten, die mit zackigen Musikzug- oder Gardeauftritten nichts gemeinsam haben.
Anarchisch-Abgefahren
Guggemusik spricht ein anderes Publikum an, das an der fünften Jahreszeit eher das Anarchisch-Abgefahrene liebt. So wie „Räubers“-Gründungsmitglied Guntram Eisenmann, der auch als Büttenredner für sich reklamiert, zurück zu den Wurzeln der echten Fastnacht zu wollen. Schließlich war man ja einstmals angetreten, der Obrigkeit mit Humor und Witz Paroli zu bieten. „Das ist in der heutigen, organisierten Fastnacht weit in den Hintergrund gerückt“, sagt Eisenmann und schwärmt von der Zeit des „Bappkappe-Clubs“, die durch das Aufsetzen von Pappdeckel-Hüten den opulenten Narrenkappen etablierter Vereine in den frühen 80ern den närrischen Spiegel vorhalten wollten. Auch der legendäre alternative Fastnachtsumzug „LaLü“ sei so ein Beispiel gewesen.
Damals, 1982, kam die alternative Straßenfastnacht sogar zu „Spiegel“-Ehren: „Ein `Notkomitee Wiesbadener Narren´, junge Leute aus der Kunst-Szene des Rhein-Main-Gebiets, hat `Freizeit-Revoluzzer, Bürger-Initiativler und Anhänger der Spaß-Guerilla´ aufgerufen, sich an der linken Lustbarkeit zu beteiligen. Etwa 3000 Teilnehmer haben zugesagt – Umweltschützer und Hinterhof-Kabarettisten, Landkommunen und Grüne aus der gesamten Bundesrepublik“, schrieb das Blatt. „Mit `Geheul und bissiger Satire´, aber ohne `Polizeikapellen, US-Army und Reklamegaukler´, soll der Provinz-Klamauk in ein `radikaldemokratisches Volksfest von unten gegen oben´ umgekrempelt werden.“
Genau so denkt auch Guntram Eisenmann, der mit seiner Kunstfigur „Mann vom Altpapier“ seit Jahren den Finger in so manche kommunal – wie bundespolitische Wunde legt. „Ich wünschte mir, dass mehr Büttenredner politisch und provokant zur Sache gehen“, sagt Eisenmann, der selbst kein Blatt vor den Mund nimmt, mit dieser Art konsequent bleibt und es daher auch kaum auf Kurhaus– und ähnliche Bühnen schafft und auch gar nicht schaffen will. „Bei den ganz kleinen Vereinen kommt das sowieso besser an“. Genauso denken die „Räubers“: „Bei Veranstaltungen wie im Pius-Haus, wo alles aus eigener Kraft gestemmt wird, treten wir gerne sogar umsonst auf“, so Mario Kolodzeike. Wie es mit dem Nachwuchs bestellt ist? „Da könnten gerne noch mehr mitmachen“, sagt der Ober-Räuber. Ein bisschen Musikerfahrung ist erwünscht. „Unterricht geben wir natürlich nicht“, so Kolodzeike. Aber in der Regel merke man schnell, ob man in die Guggemusiktruppe passt. „Wir sind ja in der Musik sowas wie die Graffiti-Sprüher für die etablierte Kunstszene“, sagt Kolodzeike – schräg, rauh und ursprünglich, mit Getöse und Selbstbewusstsein. Und Büttenredner-Nachwuchs? „Das wäre toll“, sagt Guntram Eisenmann.
Wo bleibt die Stunksitzung?
Er vermisse auch die politische, unbequeme, querdenkerische „Fastnacht von unten“, das Engagement Jüngerer, auch abseits von Vereinen: „Wo ist denn hier etwas wie die Kölner Stunksitzung? Wieso engagiert sich denn da zum Beispiel der Schlachthof gar nicht? Selber machen, statt nur unterhalten lassen!“ wünscht sich der „Mann vom Altpapier“, der sich übrigens diese Saison kommunalpolitisch etwas zurückhält: Schließlich ist Wahlkampf, „und ich will mich ja keineswegs auf irgendeine Seite schlagen“.
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