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„Klar hatte ich auch Schiss“: Wie eine Abiturientin über Nacht die Wiesbadener „Silent Demo“ organisierte

Von Dirk Fellinghauer (Interview und Fotos).

Am Donnerstag schrieb sie ihre letzte Abiprüfung am Gutenberg-Gymnasium, am Freitag nahm sie zum ersten Mal im Leben auf einer Demo teil, am Samstag organisierte sie selber eine. Die 18-jährige Yana Vilgelmi kam unverhofft und quasi über Nacht zu der Aufgabe, die „Silent Demo“ gegen Rassismus in Wiesbaden auf die Beine zu stellen – innerhalb von knapp 48 Stunden. Etwa 1000 Wiesbadener*innen folgten dem äußerst kurzfristig über die sozialen Medien verbreiteten Aufruf zum „Silent Protest“ im Gedenken an George Floyd und als Zeichen gegen Rassismus und für ein friedliches Miteinander. Als es geschafft war, nach Abschluss der Demo am frühen Samstagabend, erzählte Yana uns, wie sie die Aufgabe gemeistert hat und wie es nun weitergeht.

Die „Silent Demo“ in Wiesbaden, die du organisiert hast, ist vorbei. Wie fühlst du dich jetzt?

Ich bin positiv überwältigt. Es waren so viel mehr Menschen da als erwartet, und alles rief reibungslos. Ich bin stolz, dass in Wiesbaden so etwas möglich war, dass Wiesbaden so etwas möglich gemacht hat.

Die Polizei , für die du erste Ansprechpartnerin und mit der du im engen Austausch warst, spricht von 500 bis 600 Teilnehmer*innen.

Das waren erste Zahlen, es waren wohl tatsächlich über 1000. Angemeldet hatte ich 300, und das war schon das absolute Maximum, das ich für möglich gehalten hätte.

Wie kamst du dazu, diese Demo zu organisieren?

Sehr kurzfristig, ich habe die Aufgabe erst am Donnerstag übernommen. Die Initiative zu den Silent Protest-Demos ging von Perla Londole und Nadia Asiamah aus. Ich habe die beiden unterstützt, eigentlich war eine gemeinsame Demo für Mainz und Wiesbaden in Mainz geplant. Dann hieß es, lasst uns eine eigene Demo in Wiesbaden machen, und da habe ich gesagt – gut, dann übernehme ich das – und dann hatte ich plötzlich die Verantwortung. Ab Donnerstag ging es volle Kanne ab, direkt nachdem ich meine letzte Abiprüfung hinter mir hatte.

Wie ging es weiter in der kurzen Zeit, nachdem du entschieden hattest, das alles in die Hand zu nehmen?

Erstmal war es beängstigend. Am Freitag war ich dann noch als Teilnehmerin auf der Demo in Frankfurt – die erste Demo meines Lebens. Dann ging es darum, die wichtigsten Sachen zu regeln. Es gab auch gleich viel Unterstützung, über die Sozialen Medien, von der offiziellen Instagram-Seite der bundesweit stattfindenden Demo wurde ich mit meinem privaten Profil als Ansprechpartnerin für Wiesbaden verlinkt. Viel Support kam auch über eine Telegram-Gruppe, die ich schnell eingerichtet habe. Da ging es dann auch darum, eine Anlage zu beschaffen, und solche Sachen.

Du selbst hast die Demo dann angemeldet?

Ja, beim Ordnungsamt, auf die allerletzte Minute. Eine Demo muss 48 Stunden vorher angemeldet werden. Dort wurde ich dann aufgeklärt, was alles zu beachten ist, die ganzen Regeln und so weiter.

Hattest du keine Schiss, welche Verantwortung du da übernimmst?

Doch, klar hatte ich auch Schiss. Man weiß ja nie, wie sich so eine Demo entwickelt. Und ich hatte wirklich null komma null Erfahrung. Und dann gibt es gerade noch die strengen Covid-19-Auflagen. Beim Ordnungsamt haben sie mich gefragt – wissen Sie denn, auf was Sie sich da einlassen, was da alles auf Sie zukommen kann? Und dass ich für alles haftbar gemacht werden kann. Das war es mir aber wert, weil mir das Thema extrem wichtig ist. Ich wollte schon die ganze Zeit etwas machen und mich engagieren, da dachte ich, das kann ich jetzt nicht aus Angst davor, was alles passieren könnte, wieder absagen.

Und dann standest du plötzlich auf dem bis an alle Ränder gefüllten Luisenplatz vor einer riesigen Menschenmenge.

Ja, da war mir auch erst mulmig. Bei der Abiprüfung war ich schon nervös, vor drei Prüfern zu sprechen – und jetzt so viele Leute! Aber als ich oben stand, war die Nervosität sofort weg und alles war super.

Der eindrucksvollste und bewegenste Moment der Demo waren natürlich die 8 Minuten und 46 Sekunden Schweigen – die komplette Stille im Gedenken an den durch brutale Polizeigewalt ums Leben gekommenen George Floyd. Im Anschluss gab es noch etliche Redebeiträge.

Ja, das war großartig. Am Freitagabend war ich noch verzweifelt, weil sich erst zwei Rednerinnen gemeldet hatten. Schließlich wurden es 17! Ganz unterschiedliche Menschen, junge, alte, schwarze, weiße, mit kurzen oder längeren Redebeiträgen, zu ganz unterschiedlichen Aspekten – von eigenen Rassismuserfahrungen oder über „White Privilege“, was man als Weißer gegen Rassismus tun kann oder auch darüber, wie Kinder in den USA Rassismus beigebracht bekommen.

Warum liegt dir das Thema so am Herzen?

Ich habe Rassismus einfach noch nie verstanden. Warum man überhaupt einen Unterschied macht zwischen Menschen, das macht für mich einfach keinen Sinn. Ich wollte schon immer was tun, fand es aber schwierig, alleine etwas zu starten und fand nicht so recht den „Einstieg“. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, um die Chance zu ergreifen, endlich aktiv zu werden.

War die Demo eine einmalige Sache, oder geht es nun weiter?

Auf jeden Fall, es soll weitere Aktionen geben in den nächsten Wochen. Und vielleicht wird jetzt wirklich eine große Sache draus. Ich träume davon, dass auch hier eine richtige Organisation daraus wird. Bisher lief ja alles sehr spontan, und es gibt nur eine Instagram-Präsenz. Sicher wäre es toll, wenn es auch eine Facebookseite, Webseite und so weiter gibt. Auf jeden Fall wurde ich auf der Demo von ganz vielen Leuten angesprochen, die mitmachen wollen und mithelfen bei künftigen Aktionen.

Und was hast du persönlich vor jetzt nach deinem Abi?

Eigentlich wollte ich erstmal in die USA reisen. Ich war dort in der 10. Klasse in Pennsylvania und wollten nun meine ganzen Freunde dort besuchen. Und dann ein Freiwilligenprojekt in Äthiopien machen. Das fällt jetzt aber alles erst mal wegen Corona flach. Mal schauen. Mein Traum ist es, Psychologie zu studieren, dazu reicht mein Abischnitt – 1,7 – aber noch nicht ganz, da muss man 1,0 haben. Aber mit Wartesemestern und der richtigen Uni wird es schon klappen.

Und heute – nach der „gemeisterten“ Demo – was machst du mit diesem Samstagabend?

Ich gehe mit meinen Eltern essen, um das Abi zu feiern. Wobei – jetzt haben wir ja eigentlich zwei Dinge zu feiern, das Abi und die erfolgreiche Demo. (lacht)

Infos und Updates zu Aktionen in Wiesbaden:  www.instagram.com/silent_demo_wiesbaden/

Das sensor-Fotoalbum mit Impressionen von der „Silent Demo“ gegen Rassismus findet ihr hier.

 

2 responses to “„Klar hatte ich auch Schiss“: Wie eine Abiturientin über Nacht die Wiesbadener „Silent Demo“ organisierte

  1. sie sollte sich schämen während einer pandemie eine demo zu organisieren. wie man auf instagram und co sieht liebt sie es aber im mittelpunkt zu stehen und sich zu „präsentieren“

  2. Super Yana Vilgelmi,
    mache den Menschen klar, dass sich niemand auf der Welt aussuchen konnte wer seine Eltern sind, wo er geboren wurde und welche Hautfarbe er hat, welches sein Heimatland ist. Vielleicht denken die Menschen drüber nach, dass niemand auf seine Herkunft Einfluß hat.

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