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Kuriosität des Augenblicks: Fotograf Stefanos Paikos ergründet Leben in Pandemie – Vernissage im Abklatsch

Der Verlauf der Pandemie seit März 2020 bis Mai 2021 war und ist eng gekoppelt mit der persönlichen Entwicklung, der eigenen Gefühlslage und schließlich auch mit der Idee sowie dem Ergebnis des Fotoprojektes „AND WHEN YOU SEE ME YOU FALL APART“ von Stefanos Paikos. Der aus Wiesbaden stammende, in Hamburg lebende Fotograf zeigt seine Werke, die außer in Hamburg auch im Flüchtlingslager Moria entstanden, nun im Abklatsch in der Eltville Straße 9. Vernissage der bemerkenswerten Ausstellung ist am 12. November um 18 Uhr im Abklatsch.

Dominierten anfangs vor allem zwei Gefühlswelten – die Angst vor dem Ungewissen, vor einer möglichen eigenen Erkrankung oder der von Freunden und Familie auf der einen Seite, und der Aufregung und Neugier vor einer so noch nie erlebten Situation und deren Einfluss auf unser aller Leben auf der anderen, schlich sich sehr bald eine dritte Komponente ein, die sich schnell zur Dominanten entwickelte: ein grauer Einheitsbrei aus Leere, Langeweile und fehlenden Gegensätzen.

Neugier und Spannung 

Bereits Mitte März 2020, einhergehend mit den ersten Empfehlungen zur Einhaltung von sozialer Distanz und der wachsenden gesamtgesellschaftlichen Angst, entstanden die ersten Fotografien – getrieben von Neugier und der Spannung, welche unmittelbar sichtbare Auswirkungen all dies auf das Leben auf den Straßen Hamburgs haben sollte. Sonst belebte, innerstädtische Orte und Plätze wurden zu menschenleeren Beton- und Asphaltwüsten.

Diese Spannung des Neuen, die Skizze der absoluten Leere war jedoch schnell auserzählt und sollte der Dokumentation vom persönlichen Umgang, dem individuellen Narrativ der Pandemie weichen. Wie geht es den Mitmenschen, was treibt sie, was hemmt sie im Angesicht des Ungewissen.

Kein Austausch

Das ernüchternde Ergebnis: es kam kein nennenswerter, persönlicher Austausch zu Stande. Jedweder gewünschten Dokumentation stand das zunehmende Bedürfnis zur Wahrung der Distanz im Weg, wurde die Straßenseite gewechselt, der Kontakt vermieden. Aus diesem Umstand heraus entsprang Stefanos Paikos die Idee, ein Fotoprojekt zur Dokumentation der eigenen Gefühlswelt zu schaffen.

Geprägt von der fortwährenden Isolierung, einhergehend mit der fehlenden Perspektive auf Veränderung, entwickelten sich die täglichen Spaziergänge zu einer selbstreferentiellen Erfahrung. Die Motive spiegeln den tristen, lieblosen und monotonen Alltag aus den Augen des Fotografen und geben einen tiefen Einblick in sein Innenleben. Routinen, sich wiederholende Verhaltensweisen, Wege und Orte, bildeten einen Rahmen für den Alltag – lediglich manipuliert von Faktoren wie dem Wetter oder einem besonderen Licht.

Unwissend gemeinschaftlich

Gleichsam sind die Motive Ausdruck von Ereignissen, die zwar nicht zusammen gelebt, jedoch vermeintlich unwissend gemeinschaftlich erlebt wurden. Etwa ein Besuch in der Heimatstadt, ohne jemanden zu treffen, aus Angst vor der Weitergabe einer tödlichen Krankheit oder ein Urlaub unter erschwerten Bedingungen.

Diese oder ähnliche emotionale Grenzerfahrungen fanden punktuell Ausdruck in Form einer unmittelbaren Aneinanderreihung von Extremen. Der erste gemeinsame Ausflug in eine faszinierende, farbenfrohe Parkwelt, ein einträchtiger Streifzug durch fabelhafte Naturszenarien etwa, mündete in einer irrationalen Entladung, als wäre man kurzerhand überfordert von der Diversität der Reize, die auf einen einprasseln.

Der Fokus verschiebt sich

Ebenso war es unmöglich, die Kuriosität des Augenblicks unter veränderten Vorzeichen zu ignorieren: Ein riesiges, vermeintlich verlassenes Containerschiff, dort wo sonst Kreuzfahrtschiffe für reges Treiben sorgen, die Verschiebung des Fokus auf neue Details oder die Reise zum Stadion, trotz fehlender Aussicht auf Teilhabe. Sogenannte Geisterspiele hielten den Spielbetrieb aufrecht, während Kunst und Kultur ihre physische Daseinsberechtigung untersagt wurde.

Ein wiederkehrendes Element des Projektes ist die Darstellung der Isolation. Die fehlende Möglichkeit, neue Kontakte zu knüpfen, Beziehungen einzugehen. Im weiteren Verlauf der Pandemie boten Tests und Impfungen die Basis für die faktische, allerdings nicht unmittelbar uneingeschränkte Wiederaufnahme eines Soziallebens. Der neue Blick, die scheinbar unbekannte Perspektive auf tatsächlich lange Vorhandenes, legte ebenso den Grundstein für Geschichten menschlicher Nähe, wie lange, gemeinschaftliche Spaziergänge und nicht zuletzt die (Wieder-) Öffnung vermisster Vergnügungsdestinationen, und wenn es dafür auch notwendig war, „durch die Mauer zu brechen“ und in ein anderes Bundesland zu fahren.

Reise nach Lesbos

Aus dem ursprünglichen Ansatz dieses Projektes, Menschen in ihrem veränderten Alltag darzustellen entstand in Stefanos Paikos bald das Bedürfnis, jene Menschen in den Fokus seiner Arbeit zu rücken, deren Schicksale nicht nur von der Pandemie geprägt, sondern existentiell bedroht sind. So entschloss er sich im Mai 2021 auf die Insel Lesbos in Griechenland zu reisen und dort den Alltag in einem Flüchtlingslager zu dokumentieren, um den dort Ausharrenden eine Stimme zu geben. Im persönlichen Austausch mit sich auf der Flucht befindenden Frauen, Männern, Jugendlichen, erwuchs der Eindruck, als habe Corona hier gänzlich an Bedeutung verloren oder nie eine Bedeutung gehabt.

Das alte Flüchtlingslager Moria. Ursprünglich eine Kaserne des griechischen Militärs, wurde es 2013 zum Erstaufnahmezentrum. Konzipiert für knapp 3.000, lebten hier zeitweilig bis zu 20.000 Menschen. Durch das offene Tor ebnete sich Stefanos Paikos der Weg in ein terrassenartig gestaltetes Tal, dessen Ausmaß er kaum zu fassen im Stande war, vorbei an schwarzen Baumleichen und über Dämmstoff, Flaschen, Zelte, Matratzen, Kleidung und persönliche Notizen, die seit dem verheerenden Feuer von 2020, nach welchem das Camp geräumt wurde, sich selbst überlassen waren. „Es fühlte sich an wie auf einem Friedhof, bedrückend als würde man auf den Menschen selbst laufen“ – eine durch und durch menschenverachtende Umgebung.

Ein nicht minder schauderhaftes Gefühl stellte sich auf „Lifejacket Graveyard“ ein – ein Ort, eine Müllhalde mitten auf der Insel, an dem genutzte Rettungswesten „entsorgt“ werden. Jede Weste steht für eine Neuankunft, für ein persönliches Schicksal, für eine eigene Fluchtgeschichte.

Einer Kontaktaufnahme via social media, folgte die persönliche Einladung von Mo und Layla in ihr Zelt im neuen Lager. Mo floh zwei Mal aus Afghanistan. Beim ersten Versuch verbrachte er vier Jahre in Moria, bevor ihm der Aufenthalt in Deutschland gewährt wurde. Layla sollte folgen, jedoch wurde ihr der Pass entzogen. Mo reiste zurück, verlor dabei seinen eigenen Pass, samt Aufenthaltstitel, was zu diesem, zweiten Zwangsaufenthalt auf Lesbos führte.

Flüchtlingscamp aus den Augen eines Kindes

Unter einem Vorwand gelang es Stefanos Paikos auf Einladung der beiden mit ihnen bis in ihr Zelt zu kommen, welches aufgebockt auf Paletten stand, um die Nässe draußen zu halten. Auf dem Weg zurück erlebte er für einen Moment das Camp aus den Augen eines Kindes. Die pure Freude des Mädchens auf dem Weg zur Kleider- und Spielzeugausgabe, ließen die widrigen Lebensbedingungen für einen Moment wie vergessen erscheinen.

Auch in den Ortschaften der Insel waren und sind Flüchtende untergebracht. In einem Park der Inselhauptstadt Mytilini lernte Stefanos Paikos drei Jugendliche aus Afghanistan kennen, feierte mit ihnen Geburtstag und sorgte mit seiner Anwesenheit dafür, dass die drei nicht, wie so oft, von offizieller Seite des Platzes verwiesen wurden. Die Strapazen der Flucht, die Lebensumstände, das ständige Gefühl, nicht willkommen zu sein, hinterlassen Narben, die bei einigen schon auf den Ersten Blick sichtbar werden.

In persönlichen Gesprächen wurde ebenso deutlich, dass die Pandemie und die sog. „Flüchtlingskrise“ auch einen unmittelbaren Einfluss auf das Leben der Einheimischen der Insel haben. Fehlender Tourismus bedroht ihre Existenzen, wie die einer Keramikverkäuferin. Auch die Omnipräsenz von Militär macht die Insel trotz ihrer malerischen Ortschaften und pittoresken Sonnenuntergänge nicht (mehr) zu einem bevorzugten Reiseziel, was sich teilweise in offener Abneigung gegenüber des Lagers und deren Bewohner*innen äußerte.

(sun/Foto: Stefanos Paikos)