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Leben mit Wow-Effekt: Der weltweit berühmte Wiesbadener Volker Kriegel bleibt unvergessen

Von Shirin Sojitrawalla. Fotos: Heinrichs Klaffs, Jürgen Röhrscheid, Archiv Volker Kriegel.

Er war auf der ganzen Welt berühmt und in Wiesbaden zuhause. Volker Kriegel verstarb vor 15 Jahren, an Heiligabend wäre er 75 geworden. Weder die Welt noch Wiesbaden hat den Ausnahmekünstler vergessen.

Immer wieder trifft man in Wiesbaden Leute, die davon schwärmen, wie sie früher regelrecht nach Frankfurt pilgerten, um Volker Kriegels Musik live zu erleben. Nicht verwunderlich, zählt er doch zu den herausragenden Wegbereitern des europäischen Jazzrock. „Er spielte Jazzgitarre wie ein Gott, sogar Michael Jackson war ein Fan“, erfuhr das Fernsehpublikum kürzlich in dem Beitrag „Der Weltgitarrist, der aus Hessen kam“ in der Sendung „Hauptsache Kultur“. Etliche Jahre hat der von seinen Fans bis heute Hochverehrte in Wiesbaden gelebt, doch zu seinem Geburtstag am 24. Dezember gab es hier keine Veranstaltung. Dabei wäre Volker Kriegel dieses Jahr 75 Jahre alt geworden. Zu diesem Anlass und weil sein Todestag sich zum 15. Mal jährt, ehrte die hr-Bigband ihn und seine Musik unlängst mit einem Doppelkonzert im Frankfurter Sendesaal. Eine Hommage, dargeboten von Gitarristen der nachfolgenden Generation, die Kriegels Kompositionen neu interpretierten.

Der Jazz war wichtiger als Adorno

Seine Studienzeit bringt den gebürtigen Darmstädter in den 60-er Jahren nach Frankfurt, wo er unter anderen bei Theodor W. Adorno Soziologie und Philosophie studiert, wenn auch nicht bis zum examinierten Ende. Wichtiger ist, dass er dort mit der Jazzszene um Albert und Emil Mangelsdorff in Kontakt kam; das Gitarre spielen hatte Kriegel sich als 13-Jähriger selbst beigebracht. Bald wird er Mitglied im Dave Pike Set, gründet später eigene Bands wie „Spectrum“ oder das Mild Maniac Orchestra und gehört zu den Gründungsmitgliedern des United Jazz + Rock Ensembles, in dem auch der Pianist Wolfgang Dauner und der Bassist Eberhard Weber spielten. Es folgen Konzerttourneen rund um den Globus. Ein Ort, an dem er gern mal gespielt hätte, blieb ihm indes verwehrt: Die Konzertmuschel im Wiesbadener Kurpark. Für einen Fernsehbeitrag jedoch erfüllte er sich auch diesen Traum.

Zu sehen ist das in der aktuellen Einzelausstellung im Frankfurter Caricatura Museum, die den vielfältigen Begabungen Kriegels nachspürt. Denn zeitgleich mit dem Musikmachen verfeinerte er seinen Zeichenstil (auch das Zeichnen hat er sich selbst beigebracht), veröffentlichte erste Cartoons: „Männchen malen, Jazz spielen, und sogar noch davon leben können – wer hätte das gedacht?! Wow“, wunderte er sich später. Dass er auch noch als Essayist, Übersetzer, Illustrator und Dokumentarfilmer wirkte, sei hier aus Platzgründen verschwiegen.

Altbauwohnung im Dichterviertel als Kreativ-Refugium

Geboren wurde Volker Kriegel am 24. Dezember 1943 in Darmstadt, mit den Eltern zieht er bald nach Wiesbaden, wo er an der Gutenbergschule sein Abitur macht und wo er auch – bei der ersten Begegnung ist er 18, sie 14 – seine spätere Ehefrau Evelyn, genannt Ev, kennenlernt. Frisch verheiratet ziehen die Kriegels, Tochter Anja wird 1966 geboren, nach Darmstadt, von dort dann nach Frankfurt.

Zufällig stießen sie später auf eine günstige Wohnung in der Wiesbadener Schenkendorfstraße, wohin sie 1972 ziehen. In eben jener Altbauwohnung, in der  seine Frau bis heute wohnt, hat er, wenn er nicht wie so oft unterwegs war, am liebsten gearbeitet. Am 14. Juni 2003 erlag Volker Kriegel dann, bereits an Krebs erkrankt, in San Sebastian mit 59 Jahren einem Herzinfarkt.

Enge Freundschaft mit Roger Willemsen

Wo in Wiesbaden man Volker Kriegel wohl heute treffen würde? Joggend im Wald jedenfalls nicht, eher schon spazierend im Park. Das Nerotal habe seit Kindertagen eine große Bedeutung für ihn gehabt, erzählt seine Frau, weswegen es folgerichtig sei, dass ihm dort ein Platz gewidmet wurde. 2015, an der Endhaltestelle der Linie 1: Volker-Kriegel-Platz. Früher konnte man ihn auch im „Rheingold“ in der Saalgasse treffen oder im „Bäckerbrunnen“ in der Altstadt. Zum Hochzeitstag durfte es auch das noble Restaurant „Ente“ im Hotel „Nassauer Hof“ sein. „Gute Kleidung, gutes Essen, gute Weine“. Darauf habe ihr Mann stets Wert gelegt, erzählt Ev Kriegel. Das verband ihn neben dem ebenso feinsinnigen wie fachmännischen Humor mit Roger Willemsen, der einmal sagte, er habe keine „unbelebte Minute“ mit Volker Kriegel verbracht: „Er war auf so vielen Feldern gleichzeitig feinfühlig und klug und führte ein Leben ganz auf der Höhe seiner Einsichten.“

2013 widmete das Wiesbadener Kunsthaus ihm zum 70. Geburtstag eine Einzelausstellung. Wer sie durchstreifte, begegnete immer wieder fröhlich vor sich hin glucksenden oder gedankenversponnen lächelnden Besuchern. Ganz ähnlich das Stimmungsbild derzeit im Caricatura Museum für komische Kunst  in Frankfurt, das Kriegel eine Ausstellung widmet. Einige der Exponate waren auch in Wiesbaden zu sehen, zudem gibt es eine sechs Meter lange Cartoon-Rolle von ihm, die man kaufen kann, dazu einen Konzertfilm, viele Buchcover, die er für den legendären Haffmans Verlag entworfen hat sowie auch den animierten Kurzfilm „Der Falschspieler“ von Joachim Kreck („Filme im Schloss“) und Volker Kriegel aus dem Jahr 1980. In diesem verbinden sich seine musikalische und seine zeichnerische Begabung, wie auch später in Büchern wie „Der Rock’n’Roll-König“ und „Erwin mit der Tröte“, beide Erfolgstitel sind derzeit nur antiquarisch zu erwerben. Ein Jammer, doch Ev Kriegel verrät, dass ein großer Verlag Interesse zeigt, das Werk Kriegels neu zu verlegen.

Neues Leben für einzigartiges Werk

Auch weitere CDs werden erscheinen, Live-Mitschnitte seiner Afrika-Tour etwa. „Der Freundeskreis um Ev hat  einen unglaublichen Schatz an alten Tonbandaufnahmen aus seinen verschiedenen Schaffensphasen wieder hörbar gemacht“, berichtet uns schwärmend Felix Wolter vom Plattenlabel M.i.G: „Es wurden bislang unveröffentlichte Liveaufnahmen sowie bekanntes Material von seinen Alben digitalisiert und liebevoll remastered“ Diese audiophilen Perlen bilden das „Volker Kriegel Archive“, das nun auf dem M.i.G.-Sublabel  Moosicus  veröffentlicht wird. Den Auftakt machen am 25. Januar 2019 die drei Veröffentlichungen „Mild Maniac“ (plus Bonustracks), „Schöne Aussichten“ (plus Bonustracks) und die Doppel-CD „Biton Grooves“, kündigt Wolter an.

Auf mehr als 50 CDs hat Kriegel mitgewirkt, seine Bilder und Geschichten in Dutzenden Büchern festgehalten, darunter sein Bestseller „Olaf, der Elch“, der auch ins Chinesische übersetzt wurde. Für eine solche Masse an Veröffentlichungen bleibt es erstaunlich, dass Kriegel nur wenige Auszeichnungen erhielt. Seit 2005 liegt sein zeichnerischer Nachlass im „Wilhelm Busch – Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst“ in Hannover.

Der liebe Gott in Geberlaune – an Heiligabend

Seine letzte Ruhestätte hat er in Wiesbaden gefunden. Ein schöner weißer Stein begrenzt sein im Frühling mit Vergissmeinnicht bepflanztes Grab auf dem Nordfriedhof. Weiterleben wird Volker Kriegel natürlich durch seine CDs, Bücher und sonstigen Verlautbarungen – auch über die sehr liebevoll gepflegte und äußerst umfangreiche Webseite volker-kriegel.de, auf der man die unerschöpflichen Volker-Kriegel-Welten eintauchen kann – am ehesten aber durch die Menschen, die ihn kannten, mochten und liebten. In Wiesbaden kann man vielen von ihnen begegnen. Die bildende Künstlerin und Leiterin der Artothek, Heidi Bastian, die von Kriegel auf kunstsinnigen Zeichnungen verewigt wurde, gehört ebenso dazu wie die Besitzerin der Buchhandlung Vaternahm, Jutta Leimbert. Letztere sprach anlässlich einer Kriegel-Ausstellung im Blauen Salon in Biebrich treffend davon, dass der liebe Gott in Geberlaune gewesen sei, als er Volker Kriegel schuf. An einem Heiligabend, wohlgemerkt.

Ausstellung Volker Kriegel, Caricatura Museum Frankfurt, verlängert bis zum 27. Januar 2019.  www.caricatura-museum.de

Das „Mild Maniac“-Hommage-Konzert der hr Bigband in voller Länge ist hier zu sehen und zu hören.

Üppige Webpräsenz: www.volker-kriegel.de