Von Marta Moneva. Fotos Samira Schulz.
Schwester Mirjam hat ihre Berufung im Kloster gefunden. Und geht, nach Business-Studium mit Bestnote, parallel einem sehr weltlichen Beruf nach.
Die Abtei St. Hildegard liegt malerisch über den Weinbergen von Eibingen oberhalb von Rüdesheim. Das eiserne Tor zum Kloster geht auf, und Schwester Mirjam tritt freundlich und energisch mit wehendem Gewand und offenen Armen entgegen. Herzlicher Empfang.
Aus dem Norden in den Rheingau
In einer idyllischen Gartenecke nehmen wir Platz. Als Neele Kämpf in Bremerhaven geboren, ist sie glücklich mit ihren Geschwistern in einer protestantisch geprägten Gegend im Norden Niedersachsens aufgewachsen. Die erste Begegnung mit der Benediktinnerinnenabtei im Rheingau kam, als sie noch mittelalterliche Geschichte an der Universität in Göttingen studiert hat, über den Gesang der Schola der Abtei. Besonders faszinierend fand sie „die Liturgie und die benediktinische Tradition“. Es folgte ein erster Besuch 2004.
Dem Ruf ist sie nach reiflicher Überlegung gefolgt. 2009 trat sie als Novizin ein und ist seit 2011 Benediktinerin in der Abtei Sankt Hildegard. Zu der der Zeit als Novizin sagt sie deutlich, dass es eine Trennung von der Familie ist: „Es bringt nichts, das dann schönzureden“. Mit der Familie – die Schwester ist Lehrerin und der Bruder Landschaftsökologe – und den Freunden hat sie Kontakt. Einmal jährlich traf man sich für ein längeres Wochenende, bis zur Pandemie.
„Ich dachte immer, da muss noch mehr sein“
Sie sei früher gerne gereist, aber eine spirituelle Suche hat sie endgültig nach Eibingen gebracht, „weil ich immer dachte, dass da noch mehr sein muss.“ Während sie redet, leuchten ihre blauen Augen. Sie betont, dass das Leben in der Abtei keineswegs abgehoben sei, sondern in der benediktinischen Tradition zu verorten. Ein kleiner Traktor fährt vorbei und übertönt ihre schöne ruhige Stimme. Der Fahrer winkt uns freundlich zu und wird zurückgegrüßt. „Es ist bei uns immer so, es wird hier viel gearbeitet“, erklärt sie mit einem entschuldigenden Lächeln für die Störung.
Der Reichtum der Hildegard von Bingen
An der Patronin der Abtei, der Kirchenlehrerin Hildegard von Bingen (1098-1179), fasziniert Schwester Mirjam der „Reichtum“, der in ihren Schriften bis heute überliefert ist und „wie wenig eindimensional die Perspektive auf den Menschen durch die Heilige war“ – eben sehr stark in der benediktinischen Tradition, in der nichts ausgeschlossen wird, was die Menschen ausmacht.
Business-Dress statt Nonnenkluft
Besonders spannend ist aber etwas ganz anderes: Schwester Mirjam ist nicht nur Benediktinerin. An drei Wochentagen tauscht sie ihren Nonnen-Habit gegen Business-Kleidung. Montags bis mittwochs arbeitet sie ganz weltlich – bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG in Frankfurt im Bereich Corporate Tax Services. 2017 hat sie ein Zweitstudium „Business and Law“ an der Wiesbaden Business School der Hochschule Rhein-Main abgeschlossen, mit der Bestnote aller Zeiten – 1,0. Darauf angesprochen, lächelt sie bescheiden. Sie lerne gerne, aber sie sei selbst überrascht gewesen, als sie die Note auf dem Handy abrief. Wesentlich schlechter war auch die Abschlussnote ihres ersten Studiums an der Universität in Göttingen nicht:1,2. Fast im Scherz gefragt, ob es bald Zeit für ein drittes Studium wäre, antwortet sie lachend, gerade im Februar habe sie die Prüfung zur Steuerberaterin abgelegt.
Das Gehalt bekommt die Abtei
Zu KPMG kam sie schon im Studium, nach einer Empfehlung ihres Professors. Sie hatte ein sinnvolles Praktikum gesucht, das die Arbeit mit gemeinnützigen Organisationen beinhaltet, auch weil das Kloster eine solche ist. Zu ihren Mandaten zählen vor allem Körperschaften, einige mit internationalem Bezug, auch Mittelstand ist dabei. Der Chef sei super und das Team toll, lobt sie das Arbeitsklima. Auf die besondere Stellung als auswärts tätige Ordensschwester angesprochen, erklärt sie, dass sie natürlich kein Eigentum besitzt. Das Erwirtschaftete kommt der Abtei zugute, was aber keinen höheren Wert hat als das, was jede andere Schwester erarbeitet. Das Kloster funktioniert als Gemeinschaft, die übliche Differenzen über die Wertigkeiten von Arbeit in der Gesellschaft fallen durch den gemeinsamen Haushalt weg. Es gefällt Schwester Mirjam auch sehr gut, wie man in der Ordensgemeinschaft alt werde. Solange das irgendwie geht, sind alle dabei. „Man ist gesegnet mit der Gemeinschaft um sich herum. Es ist immer eine helfende Hand da.“
Über die Klostermauern hinaus
Über die Grenzen der Klostermauern hinausschauend, interessant, multikonfessionell und international ist der humanitäre Einsatz der Abtei. Einige Jahre lang waren zwei muslimische Flüchtlingsfamilien dort zu Hause, bis sie die Sprache gelernt hatten und Anschluss an die Gesellschaft hier finden konnten. Diese Erfahrung beschreibt Schwester Mirjam als sehr bereichernd.
In der Abtei ist Schwester Mirjam für die Homepage und den Online-Shop zuständig. Dafür fotografiert sie viel und lernt Bildbearbeitung, sowie mit den Lichtverhältnissen umzugehen. Wir reden über Gerechtigkeit, und die Augen strahlen wieder. Ob sie die Diskussionen um Gleichberechtigung verfolgt? Bei KPMG spiele das Geschlecht absolut keine Rolle, insgesamt wünsche sie sich, dass das nirgends eine Rolle spielt, sondern Kompetenz und Eignung für das Amt wichtig sind. „Maria 2.0“ nimmt sie als eine relativ breite Bewegung wahr und findet es toll, dass sich die Frauen äußern. Schwester Mirjam hofft, dass nicht doch wieder Machtstrukturen diese Diskussion prägen. „Ich bin sicher, dass ein Dialog der einzige Weg ist, der tatsächlich weiterführt.“, sagt sie noch, bevor sie für das Mittagsgebet in die Klausur zurückeilt.