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Letzter Schritt ins Glück – Lydia Lu Schweighardts langer Weg vom Mann zur Frau

 LydiaLuSchweighardt

Von Sebastian Wenzel. Foto Katharina Dubno.

In der Wohnung von Lydia Lu Schweighardt steht seit einem Jahr ein gepackter Koffer. In dem schwarzen Trolley liegen ein Bademantel, Bücher und Hausschuhe. Anfang Oktober wird Schweighardt nach dem Koffer greifen und damit ins Krankenhaus fahren. Endlich. Auf diesen Moment freut sich die 54-Jährige schon ihr ganzes Leben. Auch wenn es eine Zeit gab, in der sie das nicht wahrhaben wollte. Frau Schweighardt ist krank, zumindest offiziell. Im Oktober wird sie operiert. Chrirurgen verwandeln ihren Penis in eine Vagina.

Schweighardt ist transsexuell. Sie wurde als Frau im Körper eines Mannes geboren. Laut den deutschen Ärzten leidet sie unter „ICD-10-F64.0“. ICD-10 ist die Abkürzung für das aktuelle Diagnosesystem der Weltgesundheitsorganisation (WHO). F steht für „Psychische und Verhaltensstörungen“, 64 für „Störungen der Geschlechtsidentität“ und 0 für „den Wunsch, als Angehöriger des anderen Geschlechtes zu leben und anerkannt zu werden“.

Transsexuelle kämpfen dafür, dass die WHO ihre so genannte Krankheit aus dem Diagnosekatalog streicht. So wie das Kürzel „ICD-9-302.0“. Das stand bis 1992 für Homosexualität. Auch deshalb demonstrierte Schweighardt auf dem Christopher Street Day (CSD), den der Verein „Warmes Wiesbaden“ organisierte. Zusammen mit anderen Aktivisten lief sie am Wochenende durch die Wiesbadener Innenstadt, zwei Monate vor ihrem Krankenhausbesuch. Seit 2006 arbeitet sie offen auf diesen Termin hin. Davor versteckte sie sich – vor ihren Eltern, vor Freunden, vor der Gesellschaft und vor sich selbst.

Als Kind heimlich auf den Highheels der Mutter durch die Wohnung

Als Kind stöckelte sie heimlich durch die Wohnung, auf den Highheels der Mutter. Nur an Karneval lebte sie ihre Leidenschaft offen aus. Sie schlüpfte in Röcke und stopfte sich Papier in den Büstenhalter. In der fünften Jahreszeit irritierte das niemanden. Schon damals spürte Schweighardt, dass in ihrem Leben etwas nicht stimmt. Sie fühlte, dass sie im falschen Körper lebte. Doch die Wiesbadenerin ignorierte ihre Gefühle. Sie war sich unsicher. Was, wenn es sich bei ihrer Faszination für Frauenkleider und –schuhe nur um einen Fetisch handelte? Schweighardt lebte in einer Scheinwelt. Sie wollte sich und anderen beweisen, dass sie ein echter Mann ist. Sie arbeitete als Türsteher in Frankfurt und hatte eine Freundin. Doch mit 45 Jahren wollte sie sich nicht mehr verstecken. Sie erzählte Freunden, Verwandten und Arbeitskollegen, was sie bedrückte. Fast alle reagierten positiv. Nur eine Kollegin meckerte, weil Schweighardt ab sofort auf die Damentoilette ging. Schweighardts öffentliches Bekenntnis war der erste Schritt. Doch sie wollte mehr.

Sie wollte als Frau leben und anerkannt werden. In Deutschland geht das für einen Menschen im falschen Körper nur, wenn er eine Personenstands- und Vornamensänderung beantragt. Bevor das Gericht die bewilligt, müssen sich die Betroffenen mit Psychologen unterhalten. Sie müssen beweisen, dass sie es ernst meinen mit ihrem Wunsch. Für Schweighardt war das kein Problem. Im Februar 2012 überreichten ihr die Behörden einen neuen Ausweis. Seitdem heißt sie offiziell Lydia Lu. Den Namen hat sie sich selbst ausgesucht. Er erinnert sie an die Schauspielerin Lucy Liu. Die spielte unter anderem in der Komödie „Das sonderbare Liebesleben der Erdlinge“ mit, aber auch in den Actionfilm „Drei Engel für Charlie“.

Bis Schweighardt nicht nur auf dem Papier, sondern auch im wirklichen Leben eine Frau wie Lucy Liu ist, muss sie nur noch wenige Wochen warten. Als Vorbereitung auf ihre Operation schluckt Schweighardt täglich Testosteronblocker. Außerdem reibt sie ihren Körper mit einem Östrogengel ein. Durch die Hormonbehandlung wachsen ihre Brüste, ihre Rundungen werden weiblicher, ihr Gesicht sanfter. Schweighardt ist zufrieden mit den Veränderungen, ihr neuer Freund auch. Zum vollkommenen Glück fehlt ihr jetzt nur noch eine Vagina. Die modellieren die Ärzte aus dem Penis. Sie schälen ihn mit den Blutgefäßen und Nerven auseinander und nähen ihn an der entsprechenden Stelle wieder ein. In weniger als 60 Tagen wird es endlich soweit sein. Den Koffer fürs Krankenhaus hat Frau Schweighardt schon gepackt.

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