Von Mayte Garcia/Dirk Fellinghauer. Fotos Randee St. Nicholas, Patrick Demarchelier, Steve Parke.
Eine Geschichte wie ein Märchen, aber auch voller Tragik. Als 16-Jährige lernt Mayte Garcia, die damals in der Wiesbadener Siedlung Hainerberg lebt, 1990 den Megastar Prince – der heute 60 geworden wäre – kennen. Nach einer denkwürdigen, für sie fast unwirklichen Nacht in seiner Frankfurter Hotelsuite – in der sie sich nur über das Tanzen unterhalten und Prince sich zahlreiche Videos von Maytes Auftritten als gefragte Bauchtänzerin in Wiesbaden anschaut – entwickelt sich eine jahrelange Beziehung voller Höhen und Tiefen. Nach einer Brief- und Telefonfreundschaft wird Mayte Garcia Princes Tänzerin, dann seine Geliebte und schließlich seine erste Ehefrau. 1996 heiratet das Paar – sie 22, er 37. Das Glück zerbricht, nachdem auf den dramatischen Tod ihres gemeinsamen Sohnes, der nur sechs Tage nach der Geburt starb, eine Fehlgeburt folgt. In „The Most Beautiful Girl“ schildert die Tänzerin, Schauspielerin, Choreographin und Sängerin offen, warmherzig und nicht etwa reißerisch, wie sie die Zeit mit dem künstlerischen Genie erlebte. Und wie sie sich davor als Bauchtänzerin in Wiesbaden etabliert hatte.
sensor veröffentlicht exklusiv Auszüge aus dem Buch mit Fokus auf die Wiesbadener Zeit und Fotos aus dem Buch „The Most Beautiful Girl“:
„Das Leben auf einem Militärstützpunkt außerhalb der USA brachte einen kleinen Kulturschock mit sich. (…) Obwohl sich die Bewohner der Siedlung nach Belieben von der Anlage entfernen konnten, wagte es kaum jemand, Ausflüge in die Umgebung zu machen. Ich war aber nicht dazu bereit, meine Zeit nur zu Hause zu verbringen. Unbeeindruckt von der Sprachbarriere, die viele meiner Mitschülerinnen lieber auf dem Stützpunkt bleiben ließ, studierte ich die Busfahrpläne und erkundete die lebhafte Stadt, die für ihre historischen Bauwerke und die Thermalquellen berühmt war.
In Deutschland besitzen die Künste einen hohen Stellenwert und werden durch öffentliche Gelder subventioniert. Fast jede Stadt hat ein großes Theater. Ich trat einem Ensemble bei und lernte ein paar Brocken Deutsch. Bald schon konnte ich mich gut verständigen und war auf dem besten Weg, die Fremdsprache fließend zu beherrschen. Meine Mutter brachte mich in einer hervorragenden Ballettschule unter. Anschließend klapperte sie alle türkischen und marokkanischen Restaurants in der Umgebung ab und erkundigte sich: `Möchten Sie eine Bauchtänzerin in Ihrem Lokal auftreten lassen?´ Völlig unerwartet stieß sie auf reges Interesse. (…) Ich tanzte auf Geburtstagen, Hochzeiten und Betriebsfeiern. Ich trat in Hotels, Restaurants und Kongresszentren auf. (…) Üblicherweise bezahlten die Veranstalter das Honorar für meine Auftritte bar. Weil ich es nicht besser wusste, verwahrte ich die Scheine in einer kleinen metallenen Geldkassette. Wenn ich mir ein Buch, eine Schallplatte oder Tampons kaufen wollte, entnahm ich die erforderliche Summe und verstaute die Scheine wieder. Ich war zu jung, um finanzielle Belange zu durchschauen, und war an dem Geld nicht interessiert. Für mich war nur das Tanzen von Bedeutung. Mein Vater kümmerte sich um die Buchführung. Als sich in der Geldkassette mehrere Tausend Dollar befanden, ging er mit mir zur Bank und eröffnete für mich ein Konto. (…)
Da ich Professionalität ausstrahlte und regelmäßig in Restaurants und bei Festlichkeiten bis zehn oder elf Uhr abends auf der Bühne stand, kauften die Veranstalter meiner Mutter die Aussage, dass ich 16 Jahre alt wäre, von Anfang an bereitwillig ab. (…) Ich hielt mich stets hinter den Kulissen auf, bis meine Musik erklang. Meiner Mutter – und auch Prince – war es eiserne Regel, sich vor dem Auftritt nicht beim Publikum blicken zu lassen. Es empörte sie zutiefst, wenn eine Tänzerin im Kostüm durch den Saal flanierte und mit den Gästen plauderte. „Dann gibt es nichts Geheimnisvolles mehr“, schnaubte sie. „Die ganze Illusion ist zerstört.“ (…)
Als ich an die Wiesbaden Highschool übergetreten war, war die Summe, mit der ich mein Konto eröffnet hatte, auf über 100 000 Dollar angewachsen. Ich gab nicht viel Geld aus – nicht zuletzt, weil ich neben der Schule und dem Tanzen wenig unternahm. (…) Als ich 15 Jahre alt war, erwarb ich den Lernführerschein und kaufte mir ein eigenes Auto. (…) Mein letztes Jahr an der Highschool verbrachte ich damit, abends aufzutreten und morgens zum Unterricht zu eilen. In der Aula hing ein großes Bild von Priscilla Presley. Ich erinnere mich daran, wie sehr es mich beeindruckte, dass sie auf ebendiese Schule gegangen war, als sie Elvis kennenlernte. Selbstverständlich war mir in keiner Weise bewusst, dass sich mein Leben bald auf ähnliche Weise verändern würde.
Auf Einladung des Vaters fährt die Familie von Wiesbaden aus mit dem Auto nach Barcelona zu einem Konzert der Prince „Nude“-Tour am 25. Juli 1990 – ein Familienausflug mit weitreichenden Folgen.
Bei den ersten Takten von „Thieves in Temple“ packte mich mein Vater am Arm. „Mayte, das ist arabische Musik. Hörst du das? Das ist deine Musik!“. (…) Auf der Rückfahrt von Barcelona nach Wiesbaden schmiedete meine Mutter einen Plan, den sie anschließend eisern verfolgte: „Prince hat orientalische Musik gespielt. Er muss dich tanzen sehen. Dann kannst du in einem seiner Musikvideos auftreten.“ (…) Sobald wir wieder in Wiesbaden waren, fand meine Mutter heraus, dass sich die „Nude“-Tour auf uns zubewegte.
Am 8. August macht sich Mayte mit ihrer Mutter und ihrer Schwester Jan, mit Videokassette und Visitenkarten im Gepäck, auf den Weg nach Mannheim.
Als ich am nächsten Tag mit meiner Mutter und Jan im Auto saß, kamen mir während der Fahrt nach Mannheim Zweifel an der Qualität meines Videos. (…) Ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass es völlig ausgeschlossen war, dass die Kassette in die Hände von Prince gelangen würde. Nicht einmal meine puerto-ricanische Supermama würde es schaffen, die Aufnahme an den Mann zu bringen. Erneut waren wir frühzeitig vor Ort. (…) „Wow, da kommt der Tourbus“, rief Jan plötzlich. (…) Als meine Mutter Prince und Rosie Gaines in dem zweiten Bus entdeckte, wurde sie ganz nervös. Ich sah die beiden nicht, lächelte aber – schlichtweg glücklich, bei dem Ereignis anwesend zu sein – in Richtung der Fenster und winkte.
Jahre später erzählte mir Prince, dass er, als er mich mit Jan und meiner Mutter vor der Maimarkthalle stehen sah, zu Rosie Gaines sagte: „Da steht meine zukünftige Frau.“ (…) „Warum hast du das gesagt?“, wunderte ich mich – und diese Frage beschäftigt mich noch heute. „Ich weiß es nicht“, erwiderte er und zuckte mit den Achseln. „Ich dachte, es wäre nur Spaß.“ Es gefiel ihm, dass das Universum ihm seine witzige Bemerkung wie einen Bumerang zurückgeworfen hatte. Vielleicht hatte das Universum aber auch nur lächelnd genickt und ihn in dem Glauben gelassen, dass es sich bei der Bemerkung um einen Scherz handelte und nicht um die Erinnerung an ein bevorstehendes Ereignis, die ihm aufgrund eines vorherigen Lebens gegenwärtig war.
Die drei Garcias schafften es, beim Soundcheck in die Halle zu dürfen, in Princes Blickfeld zu geraten und ihm schließlich die Videokassette zukommen zu lassen, die er sich sofort vor dem Konzert anschaute – und daraufhin Mayte treffen wollte.
Der Bodyguard wandte sich meiner Mutter zu. „Ist es in Ordnung, wenn mich Ihre Tochter in die Künstlergarderobe begleitet?“ (…) Ich stieg hinter dem Bodyguard die Treppe ins Untergeschoss hinab. Sie schien aus tausend Stufen zu bestehen. Als wir den langen Korridor entlangliefen, ließen die Betonwände unsere Schritte wiederhallen. Vielleicht war es aber auch nur mein Herzklopfen, das so laut zu hören war. (…) Als wir um die Ecke bogen, sah ich Prince vor mir. Er hielt einen Eggshaker – ein kleines eiförmiges Percussioninstrument – in der Hand und spielte damit. (…) „Hi“, begrüßte mich Prince. „Hi“, erwiderte ich. Urplötzlich legte sich meine Aufregung. Ein Gefühl der Ruhe durchströmte mich, das nicht Prince auslöste, sondern das meinem Innersten entsprang. Es war das Gefühl, das man empfindet, wenn man weiß, dass man zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist. Damals hatte ich noch nicht die nötige Reife erlangt, um mich mit den philosophischen Fragen zu beschäftigen, die ich bald mit Prince diskutieren würde – das dritte Auge, die Seelenwanderung und die Treppe zum Göttlichen, die wir immer wieder hinaus- und hinabsteigen. Wenn ich heutzutage jedoch an meine erste Begegnung mit Prince zurückdenke, spüre ich wieder diese beruhigende Vertrautheit: „Ach, du bist es! Wie schön.“ Der Gedanke, dass ich dieses Gefühl in einer anderen Zeit und an einem anderen Ort erneut empfinden werde, tröstet mich.
Nach einer intensiven Begegnung, die nicht mal eine Minute dauerte, versprach Prince, sich nochmal länger mit Mayte unterhalten zu wollen. Noch am Abend nach dem Konzert rief er die Wiesbadener Nummer 06121/74616 an.
„Ich habe mir auf dem Weg ins Hotel dein Video noch einmal angesehen. Es hat mir wirklich gut gefallen.“ „Vielen Dank“. „Könntest du vorbeikommen?“ „Vorbeikommen?“ Diese Frage hatte ich nicht erwartet. Ich hielt einen Moment lang den Atem an. „Warum?“ „Wir haben uns ja nur kurz gesprochen. Komm vorbei, dann können wir uns ein bisschen unterhalten.“ Auch wenn ich aus seiner Äußerung keinerlei Rückschlüsse zog, wollte ich keine Zweifel offen lassen. „Ich könnte mit meiner Mutter vorbeikommen. Und mit meiner Schwester“. „Cool. Wo seid ihr?“ „In Wiesbaden.“ „Aha. Ich bin in Frankfurt. Soll ich euch einen Wagen schicken?“ „Nein danke, wir fahren selbst“, erwiderte ich, da ich wusste, dass auch der versierteste Fahrer einer Limousine für die Strecke nach Wiesbaden mindestens 30 Minuten benötigen würde, ich mich aber darauf verlassen konnte, dass es meiner Mutter angesichts des gegebenen Anlasses gelingen würde, die Strecke in 20 Minuten zu bewältigen.“ „Bring noch mehr Aufnahmen von dir mit“, sagte Prince, bevor er auflegte.
Mayte Garcia ist eine amerikanische Tänzerin, Autorin, Schauspielerin und Sängerin. Sie verbrachte ihre Kindheit in den USA und in Deutschland. Mit 3 Jahren begann sie mit dem Tanzen und wurde professionelle Bauchtänzerin; bereits mit 8 Jahren trat sie im Fernsehen auf. 1990 traf sie zum ersten Mal den Sänger Prince und arbeitete von da an mit ihm zusammen, auch als Tänzerin und Background-Sängerin der New Power Generation NPG. 1996 heirateten Garcia und Prince in Minneapolis. 4 Jahre später wurde die Ehe geschieden. Heute arbeitet sie als Choreographin für internationale Stars und engagiert sich als Tierrechtsaktivistin. Sie lebt sie mit ihrer Adoptivtocher Gia in Los Angeles. Im März hatte Mayte einen Auftritt im deutschen Fernsehen bei Lanz, der hier zu sehen ist.
„The Most Beautiful Girl – Mein Leben mit Prince“ von Mayte Garcia (www.mayte.com) ist auf Deutsch im mvg verlag erschienen. Wir verlosen 5 Exemplare. Mail mit Prince-Lieblingssong an losi@sensor-wiesbaden.de