Text und Fotos Magdalena Aue
Das Glashaus auf dem Campus der Hochschule RheinMain Unter den Eichen war noch am Abend aufgeheizt. Die Absolventen hatten sich mit ihren Abschlussarbeiten über die Räume des 2. Obergeschosses verteilt und zergingen wie die Schokolade, die sie als Lockmittel auf den Ständen verteilt hatten, in der Hitze. Eltern, Familie und Besucher waren an diesem Abend zur Werkschau der Abschlussarbeiten des Sommersemesters des Bachelor-Studiengangs Kommunikationsdesign eingeladen um die über 30 Bachelor Thesen von Wiesbadens kreativem Nachwuchs zu besichtigen. Es war eine Vernissage der besonderen Art. Denn neben der überaus professionellen visuellen Darstellung boten die Arbeiten vor allem Futter fürs Gehirn.
Paul McCartney trifft auf „Es“
Eine blechern klingende Version des Beatles-Songs „Revolution 9“ ertönt aus dem kleinen Soundmodul beim Aufklappen des roten Leporellos. „Wenn man den Song rückwärts abspielt, hört man am Ende ‚turn me on, dead man‘“, erklärt Ilka Renz, die sich in ihrer Bachelor Thesis mit Verschwörungstheorien beschäftigt hat. Die Theorie besagt, dass Paul McCartney schon vor langer Zeit gestorben und durch einen Doppelgänger ersetzt worden sei. Die angeblichen Beweise dafür hat Ilka Renz in dem Leporello dokumentiert. Caroline Herr hat sich hingegen einem ökologische Thema zugewandt. Auf Postern und Infografiken hat die Studentin unseren Wasserverbrauch visualisiert. Und zwar vor allem den, den wir nicht direkt durch das Aufdrehen des Wasserhahns erleben.
Die Themen der unter dem Motto „Big Fish“ stattfindenden Werkschau waren so vielfältig wie ihre Umsetzung. Das Spektrum reichte dabei von sozialen, popkulturellen und politischen bis hin zu sehr persönlichen Themen wie Depressionen. „Dieses Jahr sind viele wirklich gute Sachen dabei. Ich komme immer gerne her um mich inspirieren zu lassen“, sagt ein ehemaliger Student. Veronique Nikolai hat dieses Semester wohl die persönlichste Arbeit abgegeben. Sie ging zurück in ihre eigene Vergangenheit. Mit Fotos, Infografiken und kleinen Experimenten („Wie oft sterbe ich bei Super Mario?“) hat sie Ängste, Wünsche, Ideen aus ihrer Kindheit aufgearbeitet. Hat sie immer noch Angst vor Clowns? Wie fühlten sich die ersten Schmetterlinge im Bauch an?
Multimediale Vielfalt
So ungebunden die Studenten in ihrer Themenwahl waren, so frei waren sie auch in der Wahl der Form. Einige künstlerisch Begabte haben sich der Concept Art und Illustration gewidmet. Helene Olinberg zum Beispiel hat ein Kinderbuch illustriert. Für die „kleinen“ Leser hat sie sogar Vorlagen zum Ausmalen angefertigt. Als krassen Gegensatz dazu präsentierte Florian Hartmann düstere Gestalten und Fantasiewesen, die er als Concept Artist für ein Videospiel entworfen hat. Seine Bachelorarbeit besteht aus der Dokumentation dieser Entwürfe. Wahrscheinlich wird er noch bis zur Fertigstellung des Spiels mitarbeiten.
Vor allem auf berufliche Praxis wird im Studium viel Wert gelegt. So knüpften viele Studenten in dieser Zeit schon berufliche Kontakte.
Im Browser auf einem Bildschirm sind zwei Gesichtshälften in Großaufnahme zu sehen. Eine alte Frau und ein junger Mann. Jedes Gesicht stellt einen Helfer der Wohltätigkeitsorganisation Tafel dar und erzählt auf der Website und auf den Postern, die rund um den Stand hängen, seine Geschichte. Das ist Annika Schulz‘ außergewöhnliche „Tafel-Ritter“-Aktion, die sich mit der Rekrutierung neuer Freiwilliger beschäftigt hat. Mal ernst, mal humoristisch zeigten sich die vielen, multimedialen und umfangreich ausgearbeiteten Kampagnen, die auf der Werkschau zu sehen waren.
Konsumkritik
Jan Roters hat Konsum und Werbung satirisch auseinandergenommen, indem er ein eigenes Produkt entwickelt hat: die Karotte am Stock, die, auf dem Kopf getragen, vor der Stirn baumelt. Motivationssteigerung durch biologisches Doping verspricht der „Hersteller“ in der Produktbeschreibung. Zumindest ein Exemplar hat der Student an diesem Abend schon verkauft. Die breite Produktpalette präsentiert er im Onlineshop – samt Hinweis auf den natürlich „biologischen, regionalen Anbau“. Sein Werbeslogan „Wer Äpfeln nachrennt, hat das Ziel aus den Augen verloren“ suggeriert, so sagte er, nicht zufällig die Assoziation mit einer bestimmten Marke. Bis in die Zeitung geschafft hat es die Gruppe „Die Anstifter“, die mit ihrem „Tausch dich schlau“-Projekt den Tauschhandel wieder aufleben lassen wollen. Teil des Projekts ist die Tauschbox, in der jeder ungeliebten Kleinkram loswerden kann.
Mit dem Musikvideo „Time to go“, in dem es zwischen einem Jäger, einem Hirsch und einem Mädchen zu einem tragischen Aufeinandertreffen kommt, haben Alessia Mandanici und Felix Zimmermann eine der berührendsten Beiträge abgeliefert. Ihre Aufgabe, die Welt in Wort und Bild zu bannen, haben die Absolventen zumindest alle erfüllt.
Die Hitze trieb die meisten Studenten und Besucher an diesem Abend früher oder später nach draußen. Im Hof vor dem Glashaus standen Bänke und auch für Essen und Getränke hatte man gesorgt. Zumindest die Gesprächsthemen sollten den Besuchern an diesem Abend nicht ausgehen.