Von Dirk Fellinghauer.
Das erste Wochenende mit der neuen „0-Uhr-null-Alkohol“-Regelung in Wiesbaden ist vorbei. Die Stadt hatte letzte Woche, als Maßnahme zur Eindämmung der Corona-Pandemie, per Allgemeinverfügung das Verbot jeglichen Verkaufs von alkoholischen Getränken zwischen 0 Uhr und 6 Uhr verhängt. Es gilt – vorerst bis einschließlich 21. September – für jegliche Verkaufsstellen, für Gastronomien jeder Art wie für Kioske, Tankstellen und andere Verkaufsorte. Viele Wiesbadener Gastronomen, die zum großen Teil in den letzten Wochen mit viel Mühen coronagerechte Verhältnisse geschaffen hatten, fühlen sich vor den Kopf gestoßen. Sie reagieren mit Unverständnis, Wut, Sarkasmus – und mit Anpassung ihrer Öffnungszeiten und sogar Schließungen. Auch das Jugendparlament hat sich zu Wort gemeldet und konstatiert: „Dieses Verbot löst die Probleme nicht.“
Halb scherzhaft machen Bemerkungen wie „Prohibition in Wiesbaden“ oder „Ihr braucht jetzt eine Last-Order-Glocke“ die Runde. Vielen Betroffenen ist aber nur bedingt zum Scherzen zumute.
„The End“ als Soundtrack zur menschenleeren Nerostraße
Das „Amigos“ postete am Wochenende um Mitternacht in seiner Instagram-Story ein ironisches „Daaanke“ an die Stadt, unterlegt mit dem The Doors-Song „This is the End“ und Bildern von der menschenleeren Nerostraße. „Heute ab 0 Uhr Saftschorle“, kündigte „Manoamano Bar“-Betreiber Gianfranco Amato an. Das „Trend“ am Römertor denkt darüber nach, seine Öffnungszeiten den neuen Gegebenheiten anzupassen.
„Warum darf ich keinen Umsatz mehr machen, obwohl ich nicht nur für Abstand sorge, sondern auch für ein hohes Maß an Hygiene und Kontaktnachverfolgung“, fragt Sascha Lenz, der die Bar „Lenz Genuine Drinks“ in der Altstadt betreibt: „Das kann doch nur jemand der Stadt vorgeschlagen haben, der von unserer Gastrobranche nichts weiß oder dem diese Branche egal ist.“
Barbesitzer an OB: „Bitte beenden Sie sofort diese unsinnige Maßnahme“
Die Bilanz des Profis, der auch Vorsitzender der Sektion Hessen in der Deutschen Barkeeper Union ist, mit Blick auf die praktischen Folgen der von OB Gert-Uwe Mende, Bürgermeister und Gesundheitsdezernent Oliver Franz und Gesundheitsamt-Leiterin Kaschlin Butt in einer Pressekonferenz gemeinsam verkündeten Verfügung, fällt eindeutig aus: „Das Wochenende hat gezeigt, welche enormen Umsatzeinbußen die neuen Verordnungen bedeuten und wie hart es werden wird, wenn die Stadt daran festhält.“ Er spricht OB Gert-Uwe Mende an und fordert ihn auf: „Beenden Sie bitte sofort diese unsinnige Maßnahme, und lassen Sie uns arbeiten und Geld verdienen, damit wir auch weiterhin existieren können.“
Todesstoß für die Wiesbadener Gastro befürchtet
„Es macht mich fassungslos, dass ich (zu keiner Zeit ermahnt, viel in die Umsetzung der Verordnungen investiert, mitgeholfen ein sicheres und gutes Miteinander zu ermöglichen) bestraft werde und all das, was mir und meinen Gästen verboten wird, von der Polizei auf öffentlichen Plätzen nicht nur geduldet, sondern sogar gelobt wird,“ schreibt Lenz und spielt auf Orte wie den Kulturpark an, wo sich am Wochenende Hunderte von Jugendliche trafen. Die Situation in der Innenstadt sieht Lenz als „bedrückend – weil es zeigt, dass es mir und uns in der Gastro den Todesstoß gibt, trotz aller Mühen.“
Gastronomen sind „ohnehin gearscht“
Das „Café Klatsch“ rettet sich in Sarkasmus mit der Erklärung: „Auch wir kommen der überaus weisen, durchdachten, logischen und Besserung versprechenden Aufforderung nach, ab Mitternacht den Alkoholverkauf einzustellen. Wir müssen uns leider dran halten, denn der Alkohol, gerade nach Mitternacht, ist Schuld an den gestiegenen Zahlen. Vor allem, wenn er in einer (mit einem Hygienekonzept und Kontaktdatenformularen ausgestatteten) Kneipe, Bar oder Restaurant zu sich genommen wird.“ Und weiter: „Schön zu wissen, dass die ohnehin gearschten Gastronom*innen nun wenigstens dazu beitragen können, dass Corona bald Geschichte ist, weil natürlich kein Mensch aus Wiesbaden in der Lage ist, zur Tankstelle oder Supermarkt oder zum Kiosk zu gehen, um sich mit Alkohol einzudecken und trotzdem draußen zu saufen.“
München macht es genau umgekehrt: Alkohol nur in Gaststätten erlaubt
Die Betreiberin einer Wiesbadener Bar kommentierte das Statement: „Ich bin dafür, dass wir mal zum Rathaus gehen und Herrn Mende ob seiner blitzgescheiten Entscheidung um Kompensation bitten. Sogar Bayern hat es gerafft, wie es richtig geht.“ In der bayerischen Landeshauptstadt wurde es genau „andersherum“ geregelt: Die Stadt München verbietet seit letzter Woche den Konsum von Alkohol in der Stadt zwischen 23 und 6 Uhr – es sei denn, man befindet sich in einer Gaststätte oder auf einer genehmigten Veranstaltung. Damit will die Stadt München vor allem verhindern, dass sich an öffentlichen Plätzen große Gruppen bilden, die mit zunehmendem Alkhoholgenuss geltende Abstands- und Hygieneregeln ignorieren. Das pauschale Verbot für die gesamte Stadt wurde zwar vom Gericht in bisher erster Instanz wegen Unverhältnismäßigkeit kassiert, aber die Grundlogik – Alkohol dort verbieten, wo sich die Folgen des Konsums nicht kontrollieren lassen und nicht dort, wo „kontrolliert“ konsumiert wird – erscheint doch irgendwie schlüssiger.
Hintergrundmusik statt DJs
„Und wieder ein Rückschlag für alle Gastronomen“, lautet der Kommentar aus dem „Wohnzimmer“ an der Schwalbacher Straße, wo neben der 0-Uhr-Null-Alkohol-Regel auch die Gäste-Obergrenze von 50 Personen Konsequenzen hat: „Das bedeutet natürlich auch für uns eine komplette Änderung des Abendprogramms. Ein Betrieb mit DJ-Programm ist nicht finanzierbar und deshalb stellen wir auf Hintergrundmusik um.“ Die Wochenend-Öffnungszeiten hat das „Wohnzimmer“ auf 18 bis 1 Uhr reduziert. Immerhin will man nun den neuen Regelungen zum Trotz donnerstags ein Livemusik- und Jamsession-Format anbieten.
Park Café stellt Betrieb komplett ein
Das Park Café auf der Wilhelmstraße, das sogar einen coronaadäquaten Clubbetrieb auf die Beine gestellt hatte, hat als Konsequenz wieder ganz geschlossen. „Die letzten acht Wochen waren mit euch super toll,“ schreiben die Macher der Facebookseite des traditionsreichen Wiesbadener Clubs: „Wir haben es trotz aller Hygienemaßnahmen und der verringerten Anzahl an Gästen geschafft, eine familiäre Atmosphäre zu erschaffen und tolle Abende genießen können. Wir bedanken uns in erster Linie bei jedem Besucher, der uns in der aktuellen Lage unterstützt hat.“ Man sei permanent mit Gesundheits- und Ordnungsamt im Gespräch gewesen, habe gemeinsam ein Konzept zur Einhaltung von 1,5 Meter Abstand zwischen Tischen und Laufwegen zu Toiletten und Raucherbereichen entwickelt. „Diese Maßnahmen wurden zu eurer eigenen Sicherheit getroffen und immer – auch in Form unseres Hausrechts – eingehalten.“ Für die nun getroffenen Maßnahmen hat man beim Park Café kein Verständnis: „Es ist immer schwer, den richtigen Grad zwischen Sicherheit und Einschränkungen der Freiheiten zu finden. Die gegebenen Einschränkung ist unseres Erachtens nicht der richtige Weg.“ Man könne, allen Aufrufen der Solidarität zum Trotz, davon ausgehen, „dass sich ab 00.00 Uhr aus verschiedene Haushalten im privaten Räumlichkeiten treffen oder auf benachbarte Städte ausweichen – ohne Rückverfolgung!“ Die Konsequenz für die Clubbetreiber: „Letztendlich bleibt uns nicht anderes übrig, das Park Café bis auf weiteres zu schließen, da durch die gegebenen Einschränkungen eine Wirtschaftlichkeit nicht gegeben ist. Wir nutzen die Zeit dennoch sinnvoll und präsentieren euch dann ein neues Park Café! Seid gespannt.“
Jugendparlament fühlt sich übergangen
Das Wiesbadener Jugendparlament, das sich erst kürzlich neu konstituiert hat, hält nichts von den jüngsten Entscheidungen und sieht sie „mit Bedauern“. In einem offenen Brief an Mende, Dr. Franz, Dr. Butt und den Leiter der Stadtpolizei, Erkel, äußern sich die Vertreter der Wiesbadener Jugendlichen „enttäuscht, dass gerade in dieser Zeit Entscheidungen getroffen werden, ohne die Meinung von Jugendlichen einzuholen.“ Das Verbot könne die bereits angeschlagenen innerstädtischen Lokale weiter belasten, ohne Alkoholkonsum wirklich zu verhindern: „Realistischer Weise muss man sagen, dass die Jugendlichen sich ihren Alkohol nicht um 0 Uhr, sondern bis 22 Uhr im Rewe in der Langgasse, Lili oder Luisenforum kaufen.“ Partys würden so verlagert, etwa in Richtung Schlachthof, Rheinufer, Biebricher Parks oder eben nach Hause. Für die Zukunft wünsche man sich – ausdrücklich ohne für sich in Anspruch zu nehmen, Experten für die effizientesten Corona-Maßnahmen zu sein – engere Kontakte vor weiteren Beschlüssen, die auch Jugendliche betreffen: „Das klappt gemeinsam am besten.“ Am Wochenende war eine Jupa-Gruppe mit ihrem neuen Vorsitzenden Noah Said in der Innenstadt in betroffenen Locations wie „Das Wohnzimmer“ oder „Lenz“ unterwegs. Ihr Fazit: „Wir haben uns umgeguckt und glauben: Das wird das Virus nicht stoppen!“
Stadt droht mit schärferen Maßnahmen
Die Stadt hatte derweil schon bei der Pressekonferenz angekündigt, dass sie noch ein paar Maßnahmen in der Hinterhand hat: „Ganz klar ist: Wenn die Fallzahlen weiter steigen, müssen die Maßnahmen erweitert werden. In Gespräch ist eine Sperrstunde zwischen Mitternacht und 6 Uhr, welche sowohl die Gastronomie als auch öffentliche Anlagen betreffen wird. Auch ein generelles Alkoholverbot im Stadtgebiet ist im Gespräch.“ Nimmt man die „Corona-Ampel“ als Maßstab, besteht dazu allerdings kein Anlass. Stand sie zum Zeitpunkt des Beschlusses der Maßnahmen auf „Gelb“ und „Rot“, so ist sie Stand heute (31.8.) nun wieder im grünen Bereich.
WAS DENKT IHR? IST DAS ALKOHOLVERKAUFSVERBOT ZWISCHEN 0 UND 6 UHR IN WIESBADEN SINNVOLL? WIE GEHT IHR DAMIT UM? WELCHE ANDEREN IDEEN HABT IHR?