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Neue Wohnideen – Wunsch und Wirklichkeit in Wiesbaden

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Von Mara Braun. Fotos Ivgenia Knobloch.

Zu Hause ist es doch am schönsten, denn „home is, where the heart is“: Das eigene Zuhause hat in unserer Gesellschaft eine besondere Bedeutung. Aber dieses Zuhause braucht Raum, bevor Wohlfühlorte entstehen können. Und Raum ist in einer Stadt wie Wiesbaden ein rares Gut. Diese Tatsache offenbart sich dem Bürger spätestens bei der Wohnungssuche und dem Blick auf die Mietpreise, zeigt sich aber auch in der geringen Zahl an Sozialwohnungen, der angespannten Wohnsituation für Studierende oder den teils sehr hohen Grundstückspreisen.

Auf Anfrage benennt denn auch das Dezernat für Stadtentwicklung, Bau und Verkehr unter Leitung von Sigrid Möricke als aktuelle Herausforderungen: „Wohnungsbau identifizieren, Planungsrecht schaffen, über städtebauliche Verträge Investoren und Bauträger auf zügige Umsetzung drängen.“ Die Stadt habe das Thema Wohnbauflächenentwicklung durch die 2011 gegründete Task Force „ganz oben auf die politische Agenda gesetzt.“ Und was heißt das in der Praxis? Viel mehr mag man sich im Dezernat IV zum Thema Wohnvisionen nicht entlocken lassen und verweist auf das integrierte Stadtentwicklungskonzept „Wiesbaden 2030“, in dessen aktueller Konzeptphase gemeinsam mit den Bürgern auf die Entwicklung Wiesbadens bis zum Jahr 2030 geblickt wird.

Mit der Wohnsituation im Hier und Jetzt beschäftigt sich der Mainzer Alfons Schwiderski. Er will mit seiner Initiative Neues Zuhause“ Wohnraum für Flüchtlinge anmieten und integrative Wohnprojekte schaffen. Der Bauingenieur arbeitet zusätzlich mit einer viertel Stelle als Pastoralreferent und sagt: „Menschen mit geringer Lobby haben mich schon immer besonders interessiert.“ Er weiß, dass viele Vermieter Bedenken haben, direkt an Flüchtlinge zu vermieten und will hier als Mittler fungieren. Außerdem möchte er Immobilienbesitzer mit Leerständen ansprechen, die sie kaum wahrnehmen, um diese nutzbar zu machen. Und er sucht für seine Wohnprojekte Investoren, „die nicht an maximaler Wertsteigerung interessiert sind.“ Denn Schwiderski ist überzeugt: „Der Mangel an Wohnraum ist ein Symptom der gesellschaftlichen Probleme, mit denen wir ohnehin kämpfen.“ Er sieht die gefährliche Tendenz, Flüchtlinge für Schwierigkeiten verantwortlich zu machen, die sie nicht zu verantworten haben. „Die Sozialverbände betonen alle, Flüchtlinge haben das Wohnraumproblem nicht hervorgerufen, nur sichtbar gemacht.“ Letztlich sei die Suche nach Schuldigen ohnehin kontraproduktiv: „Wir müssen Wohnraum für alle schaffen, denn der ist ein wichtiger Bestandteil jeglicher Integration.“

Wohnraum ist Menschenwürde

„Wohnen gehört zum Kern des selbstbestimmten Lebens“, sagt auch Eva-Maria Winckelmann, Geschäftsführerin des Mieterbunds Wiesbaden. Wenn die Bürger nicht vernünftig leben könnten, in einem Umfeld, in dem sie sich wohlfühlen, so sei die Menschenwürde im Innersten berührt. Die Entwicklung in Wiesbaden sieht sie zwiespältig. Auf der einen Seite lobt Winckelmann das verbesserte Bewusstsein der Verantwortlichen für das Thema unter OB Sven Gerich: „Er interessiert sich für Wohnungsbau, und die Politik der Wohnbaugesellschaft GWW an sich ist sozialer geworden“, lautet ihr Urteil. Andererseits sei die „Mietpreisentwicklung in Wiesbaden eine absolute Katastrophe.“ Immer mehr Leute könnten sich adäquate Wohnungen auch bei mittleren Einkommen nicht mehr leisten. „Die Mietkosten sollten aus unserer Sicht nicht mehr als ein Drittel des verfügbaren Einkommens ausmachen, liegen da aber häufig weit drüber.“ In der Folge steige der Bedarf an gefördertem Wohnraum: „Bei Sozialwohnungen denken viele Leute ja direkt an Brennpunkt und absolute Geringverdiener, aber das entspricht nicht der Realität.“

Bauen und Wohnen neu denken

Die Kommunen sieht Winckelmann absolut in der Pflicht, sagt aber: „Die Verantwortung muss man von oben runter denken: Bund, Land, Kommune.“ Dass die GWW 15 Prozent ihrer Bauprojekte als sozialen Wohnungsbau realisiert, sei wichtig, erlaubt aber auch den Hinweis: „In Frankfurt sind es 30.“ Die aktuellen Mietpreiserhöhungen der GWW, die auch die BI Gemeinwohl hat Vorfahrt und der DGB Kreisverband Wiesbaden-Rheingau-Taunus in einem Positionspapier heftig kritisieren, lehne der Mieterbund ebenfalls ab. Die Mietpreise dürften sich nicht weiter von der Lebensrealität der Bürger entfernen. Um die Gefahr der Gentrifizierung von Vierteln zu vermeiden, müssten Eigentum, normale Miete und Sozialwohnungen in allen Bereichen des Stadtgebiets gut durchmischt sein. Winckelmann plädiert dabei für flexibles Bauen sowie neue Denkmuster: „Der Raum, den wir brauchen, verändert sich im Laufe des Lebens und es wäre ideal, wenn Wohnungen und Mietverhältnisse sich daran anpassen ließen.“

Ähnlich sieht das Joachim Schuberth vom Runden Tisch für Wohninitiativen Wiesbaden, der fordert: „Das Thema Wohnungstausch muss in die Politik eingebracht werden.“ Viele Ältere würden gern aus einer großen, leerstehenden Wohnung ausziehen und so Platz für junge Familien machen: „Aber dafür muss eine Alternative zum vernünftigen Preis und vielleicht mit barrierefreier Ausstattung bereitgestellt werden.“ Mit seinen 18 Jahren und der im Herbst bevorstehenden 75. Ausrichtung ist der Runde Tisch eine feste Größe für alle, die Interesse an gemeinschaftlichem Wohnen haben. Von Beginn an durch die Stadt unterstützt, ist die Initiative seit Februar organisatorisch bei der Stadtentwicklungsgesellschaft SEG aufgehängt, mit einer bezahlten Kontaktstelle zur Koordination der ehrenamtlichen Tätigkeiten. Deren Geschäftsführer Roland Stöcklin erklärt, man wolle vor allem konkrete Projekte einbringen, zum Beispiel Eigentümer-Wohngemeinschaften.

Positive Effekte im Viertel

„Wohngemeinschaften haben für uns einen hohen Stellenwert, weil sie eine enge Verbindung zu ihrem Quartier haben, in Sachen Verantwortung auch als Mieter wie Eigentümer agieren und positiv ins Viertel ausstrahlen“, erklärt er. Konkret könne die SEG sich bei der Suche nach rar gesäten Grundstücken einbringen. „Da merken wir durch die Anbindung eine Professionalisierung, die SEG kennt den Markt und kann als Vermittler auftreten“, bestätigt Schuberth. Häufig gehe es dabei um einen reinen Zeitfaktor: „Oft braucht eine Wohngemeinschaft länger als Investoren, um einen Grundstückskauf abzuwickeln. Da formulieren wir den Wunsch an den Verkäufer, es einen Moment liegen zu lassen“, verdeutlicht Stöcklin. Beratungsbedarf bestehe auf beiden Seiten. Und Hans Vollmar, Abteilungsleiter Stadterneuerung + Wohnbauförderung erklärt, der genossenschaftliche Wohnungsbau müsse wieder an Bedeutung gewinnen. „Die Projekte sind langfristig, die Mieter zuverlässig – etwas Besseres können wir uns doch gar nicht wünschen.“

Genossenschaftliche Projekte will auch Benedikt Schwaderlapp, Gründer der Lobby Wohnhilfe Wiesbaden e.V. fördern. Er bemängelt: „Viele Altbürger und normale Familien, aber auch die neu ankommenden Flüchtlinge, können sich keinen adäquaten Wohnraum leisten.“ Er stellt dafür eine Politik an den Pranger, die aus seiner Sicht „falsch baut und verteilt.“ Die Kernfrage sei: „Wie werden Wohnungen wieder bezahlbar? Durch Genossenschaften, Eigenleistung und die Senkung der Quadratmeteransprüche.“ Zum letzten Punkt schweben ihm Projekte vor, die kleine individuelle und größere Gemeinschaftsflächen verbinden. „Wir müssen umdenken“, fordert der Theologe. Dazu gehöre, an Altbekanntem nicht weiter festzuhalten. „Verdichtung beispielsweise wird heute fast als Schimpfwort genutzt, muss aber nicht schlecht sein.“ Aktuell sind Schwaderlapp und Mitstreiter in Gesprächen zu konkreten Grundstücke, um Projekte für Menschen zu realisieren, „die für den Anspruch auf Sozialwohnungen zu gut dastehen, aber am Markt keine Chance haben, eine Wohnung zu finden, die zu ihren Bedürfnissen passt.“

Spezielle Bedürfnisse an den Wohnungsmarkt haben Studierende, die zeitlich begrenzt, ohne viel Vorlaufzeit und im günstigen Preissegment Wohnraum suchen. An der Adolfsallee 49-53 entsteht solcher Raum im ersten Wohnheim des Studentenwerkes Frankfurt in Wiesbaden. „Bevor das Land eigene Immobilien veräußert, fragt es die Ressorts, ob es eine Verwendung dafür gibt“, erklärt Eric Erdmann, Leiter der Abteilung Wohnen, wie die Überlassung des alten Arbeitsgerichts im kostenfreien Erbbaurecht zustande kam. „Wir konnten unser Glück kaum fassen!“ Erst recht nicht, da das Land den Umbau mit rund 1,395 Millionen förderte. Weitere 600.000 Euro kamen von der Max-Kade-Foundation, die den Austausch von Studierenden unterschiedlicher Nationen, und besonders zwischen Deutschen und Amerikanern fördert. Erdmann sieht es durchaus als Zukunftsmodell, gezielt Wohnraum für spezielle Bedürfnisse zu entwickeln: „Studierende, die bei uns leben, entlasten den normalen Markt und finden hier gleichzeitig ein Angebot, das perfekt zu ihnen passt.“ Ein Vorteil für die Studierenden sei die Vermietung ohne Bonitätsnachweise, Preise zwischen 238 und 499 Euro sprechen ebenfalls für das neue Studentenwohnheim, das ab dem 17. Oktober vermietet.

Nachholbedarf ist erkannt

Dem freien Wohnungsmarkt hilft freilich jede Form der Entlastung, gerade für Suchende im Niedrigpreissegment. Laut Aussage des Dezernats für Umwelt und Soziales unter Leitung von Bürgermeister Arno Goßmann, in dessen Beritt der soziale Wohnungsbau fällt, belief sich der Anteil von Sozialwohnungen 2013 auf 9.000 Wohnungen, was 6,4% des Bestandes in der Stadt entspricht. Da die Bindungen der großen Bestände aus dem letzten Jahrhundert kontinuierlich auslaufen, kommt die Stadt mit neuen Projekten kaum hinterher, gleichzeitig steigt die Zahl der Berechtigten. „Da haben wir definitiv Nachholbedarf“, bestätigt Roland Stöcklin (SEG). Als eine wichtige Herausforderung benennt das Dezernat II folgerichtig die weitere Steigerung der Bautätigkeit. Ziel sei dabei die „angemessene und sozialverträgliche Mischung der Haushalte“, um Gefahren einer Gentrifizierung von Anfang an den Riegel vorzuschieben.

Angesprochen auf die Kritik des benannten Positionspapieres unter Beteiligung des DGB, in Wiesbaden hätten die Wohnungsbaugesellschaften ihren Auftrag vernachlässigt, heißt es, der Auftrag der städtischen Gesellschaften bestehe darin, „einer breiten Bevölkerung Wohnraum anzubieten“, also „Wohnungen für unterschiedliche Bedürfnisse zu entwickeln.“ So habe die GWW in den letzten fünf Jahren 140 Millionen Euro in den Bau neuer Wohnungen investiert, aktuell seien 400 weitere Wohnungen im Bau und der Vorbereitung. Unterm Strich stellt sich im intensiven Austausch mit den Verantwortlichen durchaus der Eindruck ein, dass diese die Problematik am Wohnungsmarkt erkannt und auf ihre Agenda gesetzt haben. Die Umsetzung aber ist nicht von heute auf morgen machbar und kann von der weiteren Zusammenarbeit mit Offiziellen wie dem DMB und privaten Initiativen wie Neues Zuhause sicher nur profitieren.