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New York Times geht in Wiesbaden (nicht) baden – Aktuelle Reportage folgt Dostojewskis Abwegen

Von Dirk Fellinghauer.

Wiesbaden kommt in der New York Times groß raus – und die New York Times geht in Wiesbaden (nicht) baden – nachzulesen auf einer kompletten Seite der heutigen Ausgabe der zweitgrößten US-amerikanischen Tageszeitung sowie hier auf ihrer Webseite, die mit knapp 9 Millionen die meisten Online-Abonnenten einer US-Tageszeitung hat.

Unter der Überschrift „Trracing Dostoyevsky´s wayard path“ – übersetzt „Auf den Spuren von Dostojewskis Abwegen“ – berichtet New York Times-Autorin Charly Wilder von ihrer Reise auf den Spuren des russischen Schriftstellers durch die drei deutschen „Spa Towns“ – Kurstädte – Baden-Baden, Bad Homburg und eben Wiesbaden.

Das Dostojewski-Zitat „Ich war fünf Tage in Wiesbaden und habe bereits alles verloren“, 1863 geschrieben an seinen Schriftsteller-Kollegen Iwan Turgenew, liefert den Einstieg in den ausführlichen Bericht. Das Kurhaus Wiesbaden mit Bowling Green-Brunnen nimmt mit einem großformatigen Foto fast die halbe Seite der Reportage ein. Bekanntlich resultierte aus Dostojewskis Erfahrungen an den Spieltischen der Roman „Der Spieler“. Dieser spielt in einem fiktiven Roulettenburg, laut NYT-Autorin vor allem von Wiesbaden inspiriert, aber doch eine Melange seiner Erfahrungen in den drei Städten Wiesbaden, Baden-Baden und Bad Homburg.

Als Bewunderin von Dostojewskis Werk habe sie herausfinden wollen, was von den drei Kurstädten, die der Autor zu aristokratischen Zeiten beschrieb, heute übriggeblieben ist. Wiesbaden sei zu Dostojewskis Zeiten das Zuhause für mehr Millionäre als in jeder anderen deutschen Stadt gewesen, erfahren die New York Times-Leser:innen. Das heutige Wiesbaden sei nicht mehr das kosmopolitische Spielfeld von einst, stellt die Besucherin fest, Spuren seiner glorreichen Tage seien aber überall zu finden.

Mit Fantasie zurück ins „Der Spieler“-Hotel

Wie einst Dostojewski, steigt auch die Reporterin im Hotel Nassauer Hof ab. Abgesehen von gerahmten Fotos berühmter Gäste in der Lobby habe man hier die Vergangenheit aber weitgehend abgestreift. Mit Fantasie könne man sich aber doch gedanklich in das Hotel zurückversetzen, in dem „Der Spieler“ spiele. Natürlich besucht Charly Wilder das Kurhaus und die Spielbank und entdeckt dort den Original-Dostojewski-Roulettetisch – gut geschützt unter Glas. Und natürlich spielt die Autorin auf den Spuren des „Spielers“ auch – und verliert „einen kleinen Betrag“.

Besuche im „Himmelreich“ und bei „Maldaner“

Schmecken lässt es sich der Gast im Dienste der New York Times in der Apfelweinstube Himmelreich, herrlich übersetzt im Beitrag mit „Apple Wine Tavern in the Heavens“. Am nächsten Tag wagt sie einen Schluck aus dem Kochbrunnen und besucht – wie angeblich einst Dostojewski – das Café Maldaner, bevor sie sich auf den Weg zur nächsten „Spa Town“ Bad Homburg macht. Zum Schluss des Beitrags zitiert Charly Wilder nochmal Dostojewski aus einem Brief an seine Ehefrau, in dem dieser ihr versichert, seine Spielsucht endgültig überwunden zu haben.

Wiesbaden beschert dieser Beitrag in der weltberühmten und weltumspannenden Tageszeitung sicher große Aufmerksamkeit und wird nicht nur das städtische Tourismusmarketing erfreuen. Was allerdings verwundert: Baden gegangen ist die Autorin in Wiesbaden offenbar nicht. Ausgerechnet die Kaiser-Friedrich-Therme ist ihr in der Reportage über die „Spa Towns“ keine Zeile wert. Andererseits ist es nur konsequent. In der Passage über ihren Bad Homburg-Besuch schreibt die NYT-Journalistin: „So wie seinerzeit Dostojewski, entschied ich mich, das Bad auszulassen und steuerte direkt das Casino an.“

Übrigens: Die New York Times hat Wiesbaden als Spielerstadt schon vor dem berühmten Schriftsteller entdeckt. Hier ist ein Archivbeitrag vom 2. November 1857 zu finden. Überschrift: „Gambling in Wiesbaden“.

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