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Nicht pauschal betrachtet: Michael Ehresmann kennt die Zustände an Kliniken – als Rettungssanitäter und Wiesbaden112.de-Betreiber

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Von Anja Baumgart-Pietsch. Foto Arne Landwehr.

Michael Ehresmann ist ein Freund deutlicher Worte, doch kein Freund von „Shitstorms“. Beides dürfe man nicht miteinander verwechseln, meint der Berufsfeuerwehrmann und Rettungssanitäter – und Gründer, Geschäftsführer und Chefredakteur des Nachrichtenportals „Wiesbaden112.de“.  Nach der Ausstrahlung von „Team Wallraff“, bei der verdeckte Recherchen in der Notaufnahme der Horst-Schmidt-Kliniken (HSK) gemacht und RTL-typisch ausgeschlachtet wurden, erhob sich nicht nur bei Facebook ein gewaltiger Shitstorm. Michael Ehresmann hat daher auf seinem Portal aus Insider-Sicht geschildert, aus welchen Gründen die Notaufnahme so überlastet ist. Missstände bestreitet der 26-jährige Wiesbadener gar nicht. „Und ich will auch nicht das Klinikmanagement in Schutz nehmen“, betont er. Doch dass medizinische Laien „pauschal alle Mitarbeiter für unfähig, inkompetent oder herzlos erklären“, wie in manchen Kommentaren zu lesen war, geht ihm gegen den Strich. „Deren Fazit: Es arbeiten dort nur Idioten, die von ihrem Fach nichts verstehen. Dass es nicht so einfach sein muss und wie sich ein Mitarbeiter fühlt, wenn er so etwas liest, darüber machen sich wohl nur wenige Gedanken“, schreibt Ehresmann in seinem Kommentar.

„Wiesbaden112.de“, d vor zehn Jahren gegründet, ist längst zum wichtigen Player in der regionalen Presselandschaft geworden. Dabei hat Ehresmann mit dieser Seite eigentlich nur einem selbst empfundenen Missstand abhelfen wollen: „Ich wollte mich über die Berufschancen bei der Feuerwehr informieren und stellte fest, dass man damals so gut wie nichts im Internet fand.“ Nur die private Homepage eines freiwilligen Feuerwehrmannes aus Sonnenberg lieferte ihm brauchbare Infos: Es war Sebastian Stenzel, heute Ehresmanns beruflicher Partner, denn „Wiesbaden112.de“ ist mittlerweile zur hochprofessionellen Presseagentur mit Spezialisierung auf „Blaulicht-Themen“ geworden. Dass eine steigende Nachfrage nach Einsatzfotos besteht, spielt den mittlerweile acht Einsatzreportern in die Hände: Rund 47.000 Leser informieren sich jeden Monat auf dem Portal, andere Medien nehmen Fotos und Videoaufnahmen von Unfallorten ab.

Keine Blaulicht-Paparazzi

Das Ziel der Betreiber ist jedoch nicht, die schnellsten „Blaulicht-Paparazzi“ zu sein. „Ich möchte den Alltag und die Arbeit der Rettungskräfte ehrlich dokumentieren“, sagt Michael Ehresmann, der seine Rollen als Berufsfeuerwehrmann und ehrenamtlicher Rettungssanitäter komplett von seinen Presse-Fotoeinsätzen trennt. Alle Mitarbeiter sind selbst haupt- oder ehrenamtliche Feuerwehrleute und wissen daher auch, wie sie sich an Einsatzorten verhalten. „Und wenn Hilfe erforderlich ist, dann leisten wir die und packen solange die Kamera weg“, betont der Chef. Fachwissen und Erfahrung sowie die Netzwerke, die er sich erarbeitet hat, lassen auch seinen nicht ohne Emotionen verfassten Kommentar zu den Horst-Schmidt-Kliniken bedenkenswert klingen. Denn Ehresmann weiß wohl um die Situation, die weder Mitarbeitern noch Patienten gefällt, gibt aber auch zu bedenken, dass eine ungute „Anspruchshaltung“ mit schuld an der so publikumswirksam ausgeschlachteten Problematik ist. „Während weiter über den `Sauladen´ geschimpft wird, kann man aber auch fragen, ob es denn alleine dem Personalmangel geschuldet ist, dass Patienten lange warten oder auf dem Gang liegen müssen“, findet Ehresmann. Ein Punkt, der in der Reportage gänzlich unerwähnt bleibe, sei die Zahl der Patienten, die gar nicht in die Notaufnahme müssten: „Diejenigen, die seit Wochen Rückenschmerzen haben oder eine Grippe oder Magen-Darm-Infekt. Natürlich geht es einem schlecht und natürlich ist das nicht schön, aber selten lebensbedrohlich“. Das komme öfters vor, als man denkt. Da höre man „wenn ich mit dem Krankenwagen gebracht werde, komme ich ja schneller dran!“ oder „Beim Hausarzt war zu viel los“. Selbstverständlich kümmert man sich um diese Patienten, schließlich haben sie ja Beschwerden, und zudem hat die Klinik einen Behandlungsauftrag. Doch: Fast die Hälfte aller Patienten des Jahres 2015 in der HSK-Notaufnahme, schreibt Ehresmann, seien so genannte „Selbsteinweiser“ gewesen: Menschen, die einfach hingehen.

Herzensthema Rettungsgasse

„Wer der Meinung ist, den Rettungsdienst zu benötigen, um Hilfe zu erhalten, soll immer die 112 wählen. Niemand wird ihnen böse sein, wenn es halb so wild ist und der Rettungswagen eben wieder zurück zur Wache fährt“, erklärt der Mann der Praxis: „Sind es natürlich Ihre Bauchschmerzen, die Sie den ganzen Tag schon haben, jetzt um 2 Uhr nachts aber nicht einschlafen können, muss die Frage erlaubt sein, warum Sie nicht vorher auf die Idee kamen, wenigstens eine Apotheke aufzusuchen.“ Ein bisschen mehr Eigenverantwortung und Rücksichtnahme mahnt er an. Gleiches gilt für ein anderes Thema, das ebenfalls von „Wiesbaden112“ in die Öffentlichkeit getragen wurde: Die Bildung von Rettungsgassen bei Stau. Alle Autofahrer sind verpflichtet, dann eine Durchfahrtsgasse für Feuerwehr und Krankenwagen zu bilden – tun das jedoch in vielen Fällen aus Unwissenheit oder auch schierer Ignoranz nicht. Ehresmann, der auch schon als Rettungswagenfahrer mit einem Baby in lebensbedrohlichem Zustand im Stau stand, macht sich dafür stark, eine öffentlichkeitswirksame Kampagne zu starten und hat viele Mitstreiter gewonnen. Die hessische Landesregierung will demnächst Banner an den Autobahnbrücken aufhängen lassen.  Und auch hier gilt Ehresmanns Devise: „Ich hoffe, dass viel mehr Menschen sich nicht mehr nur auf den erstbesten `Anderen´ stürzen, sondern in erster Linie nachdenken: `Was kann ich selbst zur Verbesserung der Situation tun, auch wenn andere offenbar Fehler gemacht haben?´ Genau das macht jede Gemeinschaft stark.“

www.wiesbaden112.de