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Nur die City stimmt für die Bahn – Wiesbadener*innen lassen „Jahrhundertprojekt“ Citybahn krachend scheitern

Ein roter Teppich der Ablehnung zieht sich durch Wiesbaden. Die Stadtspitze mit (von links) OB Gert-Uwe Mende, Stadtverordnetenvorsteherin Christa Gabriel, Verkehrsdezernent Andreas Kowol und Stadtplanungsdezernent Hans-Martin Kessler präsentierte sich am Sonntagabend im Rathaus ziemlich ratlos angesichts der krachenden Niederlage für ihr „Jahrhundertprojekt“ Citybahn.

Von Dirk Fellinghauer (Text und Fotos).

Lange Gesichter im Rathaus: Der Zug ist abgefahren. Mit deutlicher Mehrheit und mit unerwartet hoher Wahlbeteiligung haben sich Wiesbadens Bürger*innen am Sonntag gegen die Citybahn entschieden. 62,1% stimmten beim Bürgerentscheid mit „Nein“, nur 37,9% mit „Ja“. Die Wahlbeteiligung lag bei 46,2%. Die Diskussionen sind mit dem Entscheid nicht beendet, die Emotionen kochen weiter hoch.

Schon um kurz nach 18 Uhr wurden im Stadtverordnetensitzungssaal des Rathauses, das an diesem Abend nur für Politiker und Medien geöffnet war, erste Ergebnisse auf die Leinwand projiziert. Schnell bildete sich ein roter Teppich der Ablehnung, der rapide anwuchs und am Ende nur kleine grüne Fleckchen der Zustimmung enthielt. Beim genauen Hinsehen zeigte sich: Nur die „City“ stimmte für die Bahn, die OB Gert-Uwe Mende als „Jahrhundertprojekt“ und „Jahrhundertchance“ bezeichnet hatte. Pro-Mehrheiten gab es nur in den Bezirken Mitte (53,4%), Rheingauviertel (51,1%) und Westend/Bleichstraße (63,3%). Nun ist das Projekt krachend gefloppt, außer Spesen – der verantwortliche Verkehrs- um Umweltdezernent Andreas Kowol bezifferte am Wahlabend die bisherigen Kosten für Planung und Kommunikation auf etwa 15 Millionen Euro – nichts gewesen.

Mainz und Rheingau-Taunus-Kreis gucken in die Röhre

Insgesamt haben 96.693 der insgesamt 209.204 Wiesbadener Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben. Die von ihnen getroffene Entscheidung, die nun für mindestens drei Jahre bindend ist, betrifft auch die vorgesehenen „Citybahn-Gebiete“ Mainz und Rheingau-Taunus-Kreis, deren Bürger*innen aber nicht mit abstimmen durften. Der Mainzer OB Michael Ebling (SPD) bezeichnete das Resultat als „sehr schade“ und „vertane Chance“, die dortige Verkehrsdezernentin KatrinEder (Grüne) sagte, sie sie „fassungslos“.

Contra-Hochburgen waren bei der Wiesbadener Abstimmung unter anderem Sonnenberg mit 71,5% Nein-Stimmen und dazu noch einer besonders hohen Wahlbeteiligung (60,2), Biebrich (71,5% Nein, 47,1% Beteiligung) und Schierstein (70,2 / 47,1), aber auch abgelegene Orte wie Medenbach (71,8). In den AKK-Stadtteilen war die Ablehnung unterschiedlich, bei generell niedriger Wahlbeteiligung: Amöneburg 69,1 Nein/ 30% Beteiligung, Kastel 57,1/36,3, Kostheim 58,7/31,8.

Ergebnis akzeptieren

Ironischerweise ausgerechnet vor dem Porträt des erkärten, und kurz vor dem Wahltag auch nochmal per Zeitungsbericht erklärenden, Citybahn-Gegners Ex-OB Achim Exner stellt sich Martin Kraft, Vorsitzender der BI Pro Citybahn, den Fragen von Rundfunk-Journalistinnen.

Enttäuscht und einsilbig gaben sich am Wahlabend OB Gert-Uwe Mende (SPD) und die Dezernenten Andreas Kowol (Grüne) und Hans-Martin Kessler (CDU) sowie Stadtverordnetenvorsteherin Christa Gabriel (SPD). Die Frage nach Gründen für die deutliche Niederlage wollte der Oberbürgermeister nicht beantworten. Es wäre „vermessen, das ohne Faktengrundlage zu tun“. Einzig, dass „die Argumentation der Gegner bei der Mehrheit verfangen hat“ und man dies „in gewisser Demut hinnehmen“ müsse, ließ sich Mende entlocken. Dezernent Kowol meinte, es sei „schwierig gewesen, mit sachlichen Argumenten zu überzeugen“. Er dankte ausdrücklich der BI Pro Citybahn für ihr „unglaubliches bürgerschaftliches Engagement“. Alle betonten, dass das Ergebnis zu akzeptieren sei und man nun sehen müsse, wie man damit und mit den Herausforderungen umgehe.

IHK fordert schnelles Handeln

„Unsere IHK-Vollversammlung hatte sich mehrheitlich für eine City-Bahn ausgesprochen“, erinnert IHK-Hauptgeschäftsführerin Sabine Meder. Der Bürgerentscheid spiegele vor allem die kritischen Stimmen der Unternehmer zur Bauzeit und der Finanzierung des Projekts wieder.  Auch wenn die Bürger nun gegen eine City-Bahn gestimmt haben, erwarte die Wirtschaft nun „eine rasche Entscheidung der Wiesbadener Stadtverordneten über zukunftsorientierte Verkehrsinfrastrukturen und Verkehrsangebote.“ Dabei spiele die Verzahnung der unterschiedlichen Verkehrsmittel eine zentrale Rolle: „Eine leistungsfähige Schienenanbindung des Untertaunus wird als dringend notwendig erachtet, um dort Wachstums- und Entwicklungschancen zu heben – damit die Region nicht abgehängt wird.“

Emotionen kochen weiter hoch

„Schade, dass man unter der Maske unser Grinsen nicht sieht“, kommentierte FDP-Fraktionschef Chris Diers (rechts) unsere Bitte, für ein Siegerfoto zu posieren. Mit ihm freuen sich und grinsen seine Partei- und Fraktionskollegen Alexander Winkelmann (links) und Lucas Schwalbach.

Die vor allem von Mende und Gabriel geäußerte Hoffnung, dass sich nach dem äußerst emotionalen und polarisierenden Wahlkampf nun schnell die Wogen glätten und man zurück zu sachlichen Gesprächen finde, dürfte sich nicht so rasch erfüllen. Schon am Wahlabend auf dem Rathausflur, wo sich Vertreter*innen verschiedener Rathausparteien sowie der Pro- und Contra-Bürgerinitiativen tummelten, wurde neben sachlichen Statement auch weiter gegiftet. Als grinsende Sieger präsentierte sich das FDP-Trio Chris Diers, Lucas Schwalbach und Alexander Winkelmann, die mit ihrer Partei und Rathaus-Fraktion das Projekt Citybahn massiv bekämpft haben – mitunter auch mit Mitteln, die manche für fragwürdig hielten, aber mit eindeutigem Erfolg. Und in den sozialen Medien hat man auch keineswegs den Eindruck, dass die Diskussionen nun beendet seien. Im Gegenteil, eher hat man das Gefühl, sie fangen jetzt erst richtig an. Es bleibt spannend abzuwarten, worüber Stadtpolitik und Stadtgesellschaft in Sachen Verkehr und Mobilität in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten diskutieren werden – und in welchem Stil.