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Platz der Deutschen Einheit = Platz der Minimallösung

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Von Arne Löffel. Fotos Kai Pelka.

Dort, wo Wiesbaden eine neue Mitte bekommen soll, wächst äußerst holprig zusammen, was zusammengehört. Wenn überhaupt.

Nomen est omen: Ein „Platz der Deutschen Einheit“ klingt in den Ohren des westdeutschen Steuerzahlers so attraktiv und vertrauenerweckend wie ein „Platz des rumänischen EU-Beitritts“, ein „Platz der europaweiten Trinkwasserprivatisierung“ oder ein „Platz der Griechenlandhilfe“. Also nach schlecht durchdacht und sackteuer.

Wie die Deutsche Einheit an sich, begleitet auch den gleichnamigen Platz in der Mitte Wiesbadens eine vertrackte Geschichte. Erst haben wir alle gejubelt, als es hieß, dass der Platz wieder an die freie Welt, also die Fußgängerzone, angeschlossen würde. Die Mauer muss weg, freie Sicht auf die Innenstadt! Das würde auch den über Jahrzehnte genutzten Fluchttunnel, die Citypassage, endlich überflüssig machen. Dann pulsiert hier endlich wieder das Leben, hier, wo zusammenwächst, was zusammen gehört.

Was wurde den Wiesbadenern nicht alles versprochen: freie Platzgestaltung, eine wundervoll bepflanzte Allee auf der Schwalbacher, natürlich Reisefreiheit, dazu noch ein Grünstreifen bis rüber auf die Dotzheimer, Kunst im öffentlichen Raum, ein nigelnagelneuer Konsum (oder auch zwei), hochwertige „Möblierung“ (kein Witz) und (auch kein Witz) opulente Wasserspiele nebst Lichtkunst als Entree zur Fußgängerzone. Das alles ohne Steuererhöhungen. Und die Sonne geht niemals unter im neuerdings rosaroten Königreich.

Aber als ob tatsächlich der Name des Platzes wie ein unheilvolles Omen über seiner eigenen Zukunft hängen würde, finden sich im weiteren Fortgang der Geschichte geradezu beängstigend viele Parallelen mit der Deutschen Einheit. In aller Kürze: Zuerst wurden blühende Landschaften versprochen – und dann geht schneller das Geld aus, als Fabienne in Pulp Fiction „Blaubeerkuchen“ sagen kann.

So teuer? Konnte ja keiner ahnen!

Dass das alles tatsächlich so viel kosten würde, konnte ja auch keiner ahnen. Allein für den Umbau des alten Straßenbereichs und des Schulhofs vor der Elly-Heuss-Schule braucht die Stadt 1,9 Millionen Euro. Aber – oh Wunder – es wurden nur 1,2 Millionen Euro bewilligt. Weil die Stadt, die ist ja auch gerade ein bisschen klamm, und wir müssen jetzt alle den Gürtel enger schnallen. Es ist der Wiesbadener Kurier, der die Fakten pointiert mit einem Zitat aus ungesicherter Quelle zusammenfasst: „Das reicht doch gerade mal für die Asphaltdecke.“

Es gibt da aber noch einen weiteren Posten, der von den 1,2 Millionen Euro bezahlt werden müsste: der Abriss des alten Arbeitsamtes. Denn das Arbeitsamt stört – was in seiner absoluten Aussage ja schon echt witzig ist. Aber in diesem Fall stört es, weil der Platz ohne den Abriss gar nicht zu sehen, demnach auch gar kein Platz im eigentlichen Sinne wäre. Er wäre eher ein Innenhof. Dafür aber ein schöner. Denn auf der anderen Seite, das steht ja schon der neueste postkommunistische Prachtbau: der Sportpalast des Volleyballclubs und der Elly-Heuss-Schule. Die soll ja auch neu gebaut werden, denn die Oberstufenschüler sind vorübergehend im alten Arbeitsamt untergebracht. Auch das ist übrigens für sich genommen echt witzig.

„Der Stadt geht das Geld für die Neugestaltung des Platzes der Deutschen Einheit aus“, ist also ganz drastisch in der Lokalpresse zu lesen. „Das ist jetzt aber mal eine Überraschung“, ätzt der Steuerzahler. Der jüngst vom neuen Stadtkämmerer Axel Imholz (SPD) vorgelegte Finanzplan für die kommenden zwei Jahre sieht zwar 31 Millionen Euro für die Neugestaltung des Platzes vor, wird aber aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Parlament scheitern. Und damit wird der Umbau des Platzes zu einer realpolitischen Minimallösung mit bislang unbekanntem, aber sicherlich überstrapaziertem Budget verkommen. So wie die Deutsche Einheit auch.

Während sich also die blühenden Landschaften immer mehr in ein stalinistisch-leninistisches Mausoleum aus Gussbeton und Misswirtschaft verwandeln, in dem später mal wahrscheinlich Ex-OB Müllers sterbliche Überreste hinter Glas zu bewundern sein werden, wuchern munter die sozialen Missstände. Denn nicht genug, dass die formelle Gestaltung des Platzes hinkt wie ein Kriegsversehrter aus Stalingrad, die Bevölkerung macht auch noch, was sie will. Da halten sich die Trinksüchtigen so gar nicht an die schöne neue Stadtplanung und stehen immer noch mit vollgepissten Jogginghosen vor dem Arbeitsamt. Bloß gut, dass da nur Oberstufenschüler und keine Asylbewerber drin sind. Auch das erinnert irgendwie an die echte Deutsche Einheit.

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