Von Stefanie Pietzsch & Dirk Fellinghauer. Fotos Samira Schulz.
Wer meint, Philosophie sei nur etwas für Gelehrte, wird im „Philosphischen Café“ eines Besseren belehrt. Menschen jeden Alters kommen hier zusammen, um der „Lust am Denken“ zu frönen.
Es ist eine beeindruckende Bandbreite von Menschen, die sich im Bellevuesaal versammelt. Allein die Altersspane derer, die hier an einem Samstagnachmittag zusammenkommen, reicht von noch nicht mal volljährig bis zum Seniorensemester. Sie alle kommen zusammen zum: Philosophieren. Sie alle eint die „Lust am Denken“. So heißt die Veranstaltungsreihe, die Dr. Christian Rabanus seit 2015 organisiert. Mit Erfolg. Der Raum auf der Rue ist gut gefüllt. Nicht immer haben wir genug Zeit, uns über das, was uns, was die Gesellschaft oder die Welt bewegt, tiefergehende Gedanken zu machen. Das sei normal, sagt Rabanus. Das sei der Alltag, und der müsse ja gelebt werden. Buchstäblich „Welt bewegenden“ Themen Raum zu geben, über sie nachzudenken und zu diskutieren, das ist das Anliegen des promovierten Philosophen. Er leitet das „Institut für Phänopraxie“ in Wiesbaden. Seine philosophischen Schwerpunkte sind Phänomenologie, Existenzphilosophie, Philosophie der Medien und Philosophie der Kunst.
Abendländische Philosophen probieren seit vielen Jahren immer wieder neue Formate aus, um die Philosophie für jeden zugänglich zu machen, berichtet er: Eines dieser Formate läuft unter dem Titel ‚Philosophisches Café’ – mit der `Lust am Denken´-Reihe nun auch in unserer Stadt. „Das Philosophische Cafe besuche ich, wann immer ich die Zeit dazu finde, weil ich es spannend finde, mit ganz unterschiedlichen, mir meist unbekannten Menschen, über philosophische Themen zu sprechen“, erklärt Kaya, gerade mal 17 Jahre alt: „Es sind Themen, die mich auch oft im Nachhinein noch zum Nachdenken gebracht haben. Außerdem werden die Themen meist mit aktuellen Geschehnissen verknüpft, was ihren Praxisbezug verdeutlicht und zeigt: Philosophie ist nicht nur etwas für Gelehrte.“
Orientierung in komplizierter Welt
Treibend für das Philosophische Café in Wiesbaden waren die Anschläge im Januar 2015 auf die Redaktion der Satirezeitung Charly Hebdo in Paris. Einen Monat später fand die erste Veranstaltung mit dem Thema „Philosophie im Zeichen des Terrors“ statt. „Spätestens ab diesem Zeitpunkt ist das Thema des internationalen Terrorismus wieder brandaktuell und drängend geworden. Kann und muss sich die Philosophie dazu äußern? Wenn ja – wie? Was kann man von Philosophie angesichts des internationalen Terrorismus erwarten?“, erzählt Rabanus.
Aktuelle Themen, meist gesellschaftspolitische, sind Ausgangspunkt der Veranstaltungen. „Die Welt des täglichen Lebens zeigt sich von Tag zu Tag komplizierter. Die Suche nach Orientierung und Gewissheit wird deshalb immer bedeutsamer – aber auch immer schwieriger. Zwar werden allenthalben scheinbar einfache Lösungen für drängende Probleme angepriesen – aber wie können die eingeschätzt, wie bewertet werden?“, erklärt der Initiator. „Durch das Philosophische Cafe wird mein Blick auf bestimmte Fragestellungen immer wieder geweitet“, sagt Dirk Uebele. Der 46-Jährige hat festgestellt: „Das strukturierte Herangehen an aktuelle Themen zum Beispiel durch gemeinsames Präzisieren und Klären der Begrifflichkeiten einerseits und den Bezügen philosophischer Denker andererseits, helfen dabei, Themen vielschichtig zu begreifen.“
Philosophie sitzt nicht im Elfenbeinturm
Jeden zweiten Monat, jeweils am ersten Samstag, lädt Rabanus in den Bellevue Saal in der Wilhelmstraße ein. Spezifische philosophische Vorkenntnisse braucht es keine. „Die Philosophie möchte seit jeher den Menschen Orientierung geben, sie hat zu allen Themen die uns begegnen, etwas zu sagen. Sie sitzt nicht im Elfenbeinturm“, betont Rabanus. Die Teilnehmer machen sich untereinander und mit Anregungen des Gastgebers eigene Gedanken zum aktuell gewählten Thema und hinterfragen dieses: „Das Philosophische Café sollen neben allen gesellschaftlich gewichtigen Zielen vor allem auch Spaß machen und – Lust am Denken schaffen und befriedigen.“
Das Herbstthema dieses Jahres lautete „Verantwortung“. Der Impuls dafür waren die Bundestagswahl bzw. deren Ergebnisse. „Über Verantwortung wurde vor allem nach der Wahl gesprochen. In Interviews ging es oft darum, wer jetzt Verantwortung übernehmen müsse. Wer wird seiner Verantwortung gerecht, wer wird ihr nicht gerecht“, resümiert der Philosoph. Auf die Frage, wie er mit den Teilnehmern an beispielsweise das Thema Verantwortung herangeht, antwortet er: „Ich versuche den Einstieg mit Fragen aus dem täglichen Leben zu greifen: Was passiert mit dem Klimawandel, soll ich auf ein Elektroauto umsteigen? Da kommt man schnell in einen Zwiespalt.“ Der Mensch sei sich meistens nicht völlig klar darüber, was er will. „Und wenn er es ist, stellt er fest, dass es viele verschiedene Möglichkeiten gibt, die er nicht alle unter einen Hut bringen kann.“ Hier könne zum Beispiel die Frage nach der Verantwortung kommen: Habe ich dafür zu sorgen, dass der Klimawandel nicht beschleunigt wird? Es gibt viele Anknüpfungspunkte. Im Alltag gehen diese vielleicht schnell mal unter, was auch normal ist, weil er ja gelebt werden muss. Da kann man nicht über jede kleine Entscheidung ausgiebig nachdenken. Aber auch das ist eine Idee der Veranstaltung – dass man Raum schafft, um solche Fragen zu überdenken oder eigene mit denen man sich gerade beschäftigt, also lebenspraktische Themen.
Auch mal die eigene Meinung ändern
Das Philosophische Café kann sogar ein Studium ersetzen – zumindest für Erika Wagner. „Ich hatte mir vorgenommen, mich an der Uni in Mainz für Philosophie einzuschreiben. Ich wollte ganz einfach lernen, mein Gehirn besser ausnutzen zu können“, berichtet die agile Seniorin: „Da wurde ich auf Lust am Denken aufmerksam, nahm teil, stellte fest, dass es genau das Richtige für mich ist.“ Nach der Einführung zum Thema in der gesamten Gruppe, wird dieses in kleinen Gruppen von vier bis sechs Personen erarbeitet, anschließend wieder in der großen Runde zusammengetragen. Das Thema Verantwortung fand sie sehr spannend: „Eine Frage lautete: Wie kommt es, dass wir uns in bestimmten Situationen oder Angelegenheiten verantwortlich fühlen – uns andere Dinge aber ganz einfach kalt lassen. Unsere Kleingruppe kam zu dem Schluss, dass, wenn wir uns verantwortlich fühlen und Verantwortung übernehmen, auf jeden Fall zuerst Betroffenheit entstehen muss“, nennt sie ein Erkenntnisbeispiel. Am Philosophischen Café gefalle ihr besonders gut, „dass sich hier Menschen treffen, die einander zuhören, nachdenken und das Gehörte die eigene Meinung verändert.“ Auch Nicole Ahland findet: „Die Atmosphäre ist äußerst angenehm und es wird vielseitig diskutiert.“ Die 47-jährige Künstlerin lobt: „Dr. Rabanus gelingt es, komplexe und zuweilen auch anspruchsvolle Fragestellungen ganz unmittelbar und zugänglich aufzubereiten. Philosophie als Orientierungshilfe in bewegten Zeiten, für mich persönlich eine echte Bereicherung.“ Die Idee geht also auf. „Wenn ich von Philosophie spreche, heißt das nicht, dass man gleich die Bücher aufschlägt und nachliest, was hat denn der und der gemacht oder gesagt“, klärt der Philosoph auf: „Es geht in der Philosophie darum, wie man an Themen herangeht“.
Nächstes Philosophische Café – Lust am Denken: Samstag, 2. Dezember, 16 bis 18 Uhr, Bellevue-Saal, Wilhelmstraße 32, www.pheaenopraxide.de