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Trauer um Sigrid Skoetz – Leidenschaftliche Theaterfrau weitete mit dem Walhalla kulturelle Horizonte der Stadt

Von Dirk Fellinghauer. Fotos privat.

Wiesbaden verliert eine markante Persönlichkeit der Kulturszene. Sigrid Skoetz, künstlerische Leiterin des Walhalla im EXIL und zuvor seit 2002 des Walhalla Theaters am Mauritiusplatz, ist überraschend verstorben. Die so vielseitige wie leidenschaftliche Theaterfrau, die den kulturellen Horizont der Stadt weitete, wurde 77 Jahre alt.

Die Verstorbene war bis zu ihrem Tod voller Schaffensdrang und Ideen, steckte inmitten von Plänen rund um das „Walhalla im EXIL“ in der Nerostraße. Nach dem unfreiwilligen Auszug aus dem Walhalla war es ihr ab Februar 2018 auch dort gelungen, eine neue Spielstätte mit besonderem Profil und Charakter zu schaffen.

Über zwanzig Jahre das Kulturleben bereichert

Seit 2001 hatte Skoetz – gemeinsam mit ihrem Mann Manfred Kranich und später auch ihrem Sohn Hans Kranich – das traditionsreiche Walhalla-Theater inmitten der Innenstadt mit der Bespielung von Spiegelsaal, Studio und Bambi Kino zu einem der vielseitigsten, überraschendsten und aufregendsten Kulturorte Wiesbadens entwickelt. Sie etablierte das Walhalla als freie Spielstätte mit besonderem Ruf weit über die Landeshauptstadt hinaus. In einzigartiger Atmosphäre bot Skoetz neben der Realisierung von Eigenproduktionen sowohl lokalen und regionalen wie auch nationalen und internationalen Künstler:innen eine Bühne.

Weitermachen unter neuen Vorzeichen

Im Januar 2017 wurde das Haus seitens der Stadt mit Verweis auf Brandschutzgründe geschlossen und über Nacht für jede weitere Nutzung gesperrt. Ein Grund zum Aufregen, für die Kämpferin Sigrid Skoetz aber kein Grund zum Aufgeben. Sie machte, getragen und unterstützt von ihrem Team, ihrer Familie und einer beachtlichen Walhalla-Fangemeinde sowie großer Solidarität aus der Kulturszene, weiter. Anderer Ort, völlig neue Vorzeichen und Umstände, gleichbleibender Spirit.

Sigrid Skoetz war Theaterfrau durch und durch. Die Welt der Stadt- und Staatstheater, in der sie nach dem Studium an der Staatlichen Schauspielschule Berlin („Ernst Busch“) über Jahrzehnte als Schauspielerin an bedeutenden Bühnen und unter großen Regisseuren arbeitete, hatte sie hinter sich gelassen.

Ein echtes „Off-Theater“ für die Landeshauptstadt

Im Walhalla verwirklichte sie ihre ganz eigenen Vorstellungen von Theater – zeitgemäß, modern, provozierend, anders und immer wieder neu. Ein echtes „Off-Theater“ –  eine absolute Ausnahmeerscheinung in der Landeshauptstadt, ein wahrlich großstädtischer Ort in einer Stadt, der mitunter der Ruf des Provinziellen anhaftet. Ein Ort, in dem vieles anders ist und alles möglich scheint – Theater natürlich, aber auch Musik, Performance, Multimedia, Party, Kunst, Film, Talk, Installation, Diskurs und Diskussion. Dabei nie beliebig, sondern sorgsam mit Gespür für Qualität und Klasse ausgewählt, aber konsequent nicht-elitär.

Theater der Quintessenz

Mit eigenen Inszenierungen schuf die 1945 in Wernigerode im Harz geborene Künstlerin Bühnenereignisse, die herausstachen und haften blieben. Shakespeare, Fassbinder und immer wieder Brecht – bevorzugt knöpfte die Regisseurin Sigrid Skoetz sich die ganz Großen vor, bearbeitete deren Stoffe jedoch überraschend und inszenierte sie von jedem Staub, und von überflüssigen Längen, befreit. Ihr gelang ein Theater der Quintessenz: knapp, rasant, bildgewaltig, sprachintensiv und aussagestark. Und immer relevant. Festivals waren ihr Ding, mit feinem und hellwachem Gespür für Zeitgeist, Themen und Zusammenhänge dachte und machte sie immer über einzelne Stücke hinaus, suchte und fand Analogien, zuletzt bei „Account gesperrt“ etwa zwischen Donald Trump und Richard III.

Eindringliche Eigenproduktionen

Bei den Hausproduktionen arbeitete Skoetz seit jeher – beginnend 2004 mit dem eindringlichen Jan Fabre-Abend „Ich bin Blut“ – im engen künstlerischen Austausch intensiv mit ihrer Tochter, der Bildenden Künstlerin Marie Zbikowska (Staatsakademie der Bildenden Künste Stuttgart), zusammen. Aktuell in Vorbereitung war das Projekt „Verkommendes Ufer Medeamaterial Landschaft mit Argonauten“ des großen DDR-Dramatikers Heiner Müller.

Über kulturelle Tellerränder hinaus

Die stets bestens informierte und vielfach, auch weit über übliche kulturelle Tellerränder hinaus, interessierte Theaterfrau hat auch Außergewöhnliches wie „Rudelsingen“ oder „Nightwash“ aus Großstädten importiert und hier zum Renner gemacht. Ebenso haben unter ihrer Ägide Formate im Walhalla ihren Anfang genommen, die dann einen erfolgreichen Weg in die Welt hinaus angetreten haben.

„Let´s Burlesque“ oder „Salon de Swing“ waren Reihen, die regelmäßig für ein volles Haus sorgten. „Die Songs der 27-Jährigen“ – die multimediale Performance rund um Janis Joplin, Jimi Hendrix, Jim Morrison und später Amy Winehouse – wurde zum kultigen Dauerbrenner. Jazzkonzerte mit Künstler:innen von Weltrang machte Skoetz zu einer weiteren Spezialität des Walhalla-Theaters, das auch der Schlachthof als besondere Spielstätte für ausgewählte Konzerte entdeckte.

Als Regisseurin junge Talente entdeckt – als Spielort von jungen Talenten entdeckt

Skoetz ihrerseits entdeckte in ihrer Theaterarbeit immer wieder besondere Talente. Jasna Fritzi Bauer machte bei ihr erste Bühnenerfahrungen, nicht das einzige Beispiel für einen künstlerischen Erfolgsweg, der unter Skoetz´ Fittichen begann. Umgekehrt fanden immer wieder junge Staatstheater-Ensemblemitglieder den Weg ins Walhalla, um sich hier frei und oft auch wild abseits der Konventionen des Theaterbetriebs zu verwirklichen. Der 1991 geborene Schauspieler Paul Simon, im Staatstheater auf Hauptrollen abonniert, beschrieb kürzlich in einem Interview die wiederholte Zusammenarbeit mit der 1945 geborenen Regisseurin im „Exil“ als „noch lebendiger als Theater eh´ schon ist“.

All das geschieht und entwickelt sich nicht einfach so, sondern braucht eine starke und besondere Persönlichkeit. Eine Persönlichkeit wie Sigrid Skoetz. Ein Herzinfarkt beendete nun das reiche und viele bereichernde Leben einer besonderen, einer starken und vehementen, einer warmherzigen und herzlichen Frau. Die Lücke, die ihr plötzlicher Tod in Wiesbaden hinterlässt, wird schwer zu schließen sein.

Alle, die sich von Sigrid Skoetz verabschieden wollen, sind seitens ihrer Kinder Marie Zbikowska und Hans Kranich ausdrücklich willkommen zur Trauerfeier am 30. November um 12 Uhr auf dem Südfriedhof.

Das Veranstaltungsprogramm im Walhalla im EXIL entfällt bis auf Weiteres. Aktuelle Informationen auf www.walhalla-im-exil.de und auf Facebook (walhallaimexil) und Instagram (walhalla_exil).

Sigrid Skoetz im Gespräch mit Filmemacher Jörg Buschka und Schauspieler Paul Simon:

 

 

4 responses to “Trauer um Sigrid Skoetz – Leidenschaftliche Theaterfrau weitete mit dem Walhalla kulturelle Horizonte der Stadt

  1. Das ist schrecklich schockierend!
    So lebenslustig und immer für Fragen offen!!
    Sie Ruhe in Frieden
    Der Wiesbadener Szene wird Sie fehlen

  2. Der Tod ist groß.
    Wir sind die Seinen
    lachenden Munds.
    Wenn wir uns
    mitten im Leben meinen,
    wagt er zu weinen
    mitten in uns.

    Rainer Maria Rilke
    🖤💔❤️

  3. Wie stellen das Universum oder Gott sich das bitte vor… …jetzt ist allen Ernstes der erste Freitagabend seit 1945 (Geburtsjahr) ohne Sigrid rum, die Nachricht von ihrem Tod nichtmal ansatzweise von meinem Gehirn begriffen worden, es fühlt sich absurd und einfach nicht richtig an. Nein, nicht akzeptiert. Schluß bitte damit und Rewind! Kunst kann doch sonst alles… …die Zeit gehört zurückgespult. Sigrid hat ihre Produktionen so niedrigschwellig gemacht, daß ich immer Bock hatte, sie mir anzuschauen. Ob „Orlando“ mit Llewellyn Reichman oder „Exodus“ mit Paul Simon. Und sie hat aus dem Bar-Raum eine echte Open Stage gemacht, ohne daß es Berührungsängste gegeben hätte, dort nach dem Hauptprogramm als Gast einfach noch selbst eine „Zugabe“ zu probieren. Sie saß dann einfach selbst mit dabei, mal amüsierte sie sich, mal gab’s was an der Bar zu klären. Aber sie war einfach immer der gute Geist des Hauses. Und am nächsten Tag traf ich sie dann beim Biomarkt und es war wieder eine andere Art von Begegnung. Aber nie belanglos, sondern es war immer zu spüren, daß Sigrid schon wieder die nächsten Projekte „ausbrütete“. Und das war nur ein kleiner Teil. Für ihre Familie war Sigrid eine liebevolle Mama und Oma. Mit so viel Energie. Dieser Drive, diese Impulse, – come on -, ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß diese Momente so in dieser Form jetzt nicht mehr stattfinden werden. Ich wünsche Dir einfach eine gute Reise über den Regenbogen, liebe Sigrid, und, daß es für Dich nicht so traurig ist wie für die, die Du zurückläßt. Weil das, was Dich ausmacht, vielleicht trotzdem weiter fließt und Du auf irgendeine andere Art Deine Kunst und Dein gutes Händchen für Projekte weiterführen kannst. Und wehe, Du kriegst „da drübbe“ irgendein mittelmäßiges Buch angedreht, – damit wirst Du Dich nicht zufriedengeben… …liebe Sigrid, ich werde Dir begegnen, wenn ich das Berliner Ensemble besuche, ich werde Dir begegnen, wenn ich hier durch die Wiesbadener Straßen schlurfe, und auch immer, wenn ich irgendwo anders aufgeblasene Inszenierungen sehen werde, die Du auf einen Bruchteil der Zeit heruntergebrochen und viel fühlbarer gemacht hast! Danke, daß es Dich gab und hoffentlich bis irgendwann mal!

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