Kaum ist das Urteil zu möglichen Diesel-Fahrverboten gesprochen, zaubern OB Sven Gerich und Umwelt- und Verkehrsdezernent Andreas Kowol ein üppiges Sofortpaket mit einem beachtlichen Strauß an Maßnahmen aus dem Hut. „Die Uhr tickt: Wir haben einen Monat Zeit, um mit neuen und hochwirksamen Maßnahmen das Wiesbadener Verwaltungsgericht zu überzeugen, in unserem Fall doch auf die Festsetzung pauschaler Fahrverbote zu verzichten“, begründen sie ihre sehr konkrete Vorhabenliste: „Die Erfahrungen zeigen, dass sich die Gerichte von vagen Ankündigungen und kosmetischen Maßnahmen nicht beeindrucken lassen. Wenn wir Fahrverbote verhindern wollen, sind wir gezwungen, einiges umzukrempeln.“ Angekündigt werden unter anderem eine für Busse und Fahrräder reservierte Umweltspur auf dem ersten Ring, Ausbau von Park & Ride-Parkplätze und Bemühungen um deutliche Verbesserungen von Bahnverbindungen. Natürlich wertet das Gespann Gerich-Kowol die Entwicklung auch als Befeuerung der CityBahn-Vorhaben. Der OB hält zudem sogar ein 365-Euro-Jahresticket für den ÖPNV für grundsätzlich machbar.
„Die bedrohliche Stickoxidbelastung auf dem ersten Ring resultiert aus den 84.000 Fahrzeugen, die dort jeden Tag durchrollen, viele davon reiner Durchgangsverkehr. Wir müssen den Verkehr auf dem ersten Ring spürbar reduzieren und auf dem zweiten Ring verflüssigen. Gleichzeitig gewinnen wir den nötigen Platz für ein schnelleres, pünktlicheres und damit attraktiveres Bussystem“, erläutert Kowol einige der gravierendsten geplanten Maßnahmen. Neben dem „wichtigsten Langfrist-Projekt CityBahn“ werde er ein Sofortpaket mit folgenden Maßnahmen auf den Weg bringen:
• Am höchst belasteten ersten Ring eine von drei Auto-Fahrspuren zu einer durchgehenden Umweltspur für den Bus- und Radverkehr umwidmen.
• Dazu Ampelschaltungen optimieren und temporäres Parken zurücknehmen, um den Verkehrsfluss zu verbessern.
• Auch auf Wilhelmstraße, Rheinstraße und in der Äppelallee temporäre Parkzonen in zusätzliche Fahrspuren umwandeln, um Verkehr flüssiger zu gestalten
• Kurzfristig Park & Ride-Platz Kahle Mühle ausbauen, Sitzungsvorlage dazu soll noch im Februar in den Geschäftsgang gegeben werden.
• Zusätzlich zeitnah fünf neue Park & Ride-Plätze im Stadtrandbereich schaffen. Dazu sei man schon auf die Nachbarkommunen Walluf – möglicher Standort Bahnhof – und Niedernhausen – Rhein-Main-Theater, neuer Haltepunkt Ländchesbahn – zugegangen.
• Dicht getakteter, kostenloser Shuttlebus ins Wiesbadener Zentrum für Pendler, die bestehende und neue Park & Ride-Plätze nutzen
• bestehende Bahnverbindung Rheingau-Wiesbaden-Frankfurt massiv aufwerten: „Kowol wird sich für mehr Fahrten in Doppeltraktion, eine Ausweitung des Halbstundentaktes sowie für Direktzüge aus dem Rheingau über Schierstein, Biebrich und Kastel nach Frankfurt ohne Umweg über Wiesbaden Hauptbahnhof einsetzen.“
• Verdichtung auf durchgängigen Halbstundentakt auch auf der Ländchesbahn, die Erbenheim, Igstadt und Auringen-Medenbach anbindet.
Mobilitätsstationen und Mikro-Depots für Lieferdienste
• Noch 2018 die ersten zehn Mobilitätsstationen einweihen, an denen Bus und Bahn mit anderen umweltfreundlichen Verkehrsmitteln wie Carsharing und Bikesharing verknüpft werden. „Wir werden die Alternativen zum Privatauto noch attraktiver machen“, so Kowol.
• Ein doppeltes Problem stellt heute die wachsende Zahl von Lieferfahrzeugen dar: erstens durch Blockade von Fahrstreifen und Beeinträchtigung des Verkehrsflusses, zweitens durch eigenen Stickoxidausstoß. Es sollen kurzfristig fünf sogenannte Mikro-Depots am Rand der Innenstadt errichtet werden, von denen aus Zusteller die „letzte Meile“ mit E-Cargobikes oder anderen kleinen, leichten Elektrofahrzeugen bewältigen. Um dies zu koordinieren, wurde im Tiefbau- und Vermessungsamt eine neue Stelle „City-Logistik“ geschaffen und letzte Woche bereits besetzt.
Eingebettet in städtisches Gesamtkonzept
Man reibt sich erwartungsfroh, aber auch verwundert die Augen und fragt sich: Warum geht das denn jetzt alles, und dann auch noch so plötzlich? „Wir können diese Maßnahmen deshalb so schnell anschieben, weil wir bereits intensiv an Verkehrsentwicklungsplan (VEP) und Green City Masterplan arbeiten, die derzeit ämterübergreifend erstellt werden“, erklärt der Dezernent den Zusammenhang zum städtischen Gesamtkonzept. Sofern die Bundesregierung „endlich schnell und unbürokratisch die auf dem Dieselgipfel zugesagten Mittel auszahle“, will der Dezernent weitere Sofortmaßnahmen für Wiesbaden umsetzen, etwa eine kommunale Kaufprämie für bis zu 500 E-Cargobikes für Institutionen, Unternehmen und Bürger, um weitere Autofahrten einzusparen.
Projekt „Emissionsfreier ÖPNV“
OB Sven Gerich betont darüber hinaus die Bedeutung des Projekts „Emissionsfreier ÖPNV“ für die Stickoxidminderung: „Wir werden alles tun, um ein Dieselfahrverbot in unserer Stadt zu verhindern. Eine Maßnahme zur langfristigen Erreichung dieses Ziels sind unsere Planungen zur CityBahn. Das Land Hessen honoriert diese Anstrengungen und hat bereits angekündigt, die CityBahn in den Luftreinhalteplan aufzunehmen. Schon 2022 wollen wir die erste Stadt in Deutschland mit emissionsfreiem öffentlichem Personennahverkehr sein. Dazu planen wir auch die Umstellung von Dieselbussen auf E-Busse in unserem ESWE-Fuhrpark. Wir sind hier schon sehr weit in den Planungen und werden noch in diesem Frühjahr eine Entscheidung über den Hersteller der neuen Busse fällen.“
OB hält 365-Euro-Jahresticket für machbar
Gerich betont aber auch, dass es jetzt wichtig ist, mehr Menschen auf den Umstieg zum ÖPNV zu bewegen und diesen noch attraktiver zu machen. Er denkt dabei neben der Steigerung der Attraktivität wie sie bereits erfolgt und durch die CityBahn weiter geplant ist, vor allem an die Preisgestaltung: „Öffentlicher Nahverkehr muss günstiger werden. Eine erste Initiative habe ich im RMV bereits gestartet, aber da muss noch mehr kommen. Und auch wenn die Bundesregierung mit dem sofortigen komplett kostenfreien ÖPNV vielleicht übers Ziel hinausgeschossen ist, so ist das doch zumindest die richtige Richtung. Warum nicht nach dem Wiener Vorbild auf ein 365 Euro Jahresticket gehen? Ein Euro pro Tag für Bus und Bahn im Nahverkehr – das sollte mit der massiven Unterstützung des Bundes schon machbar sein.“ (dif)
Keiner spricht aus was alle wissen, die Zeiten von 80.000 PKW am Tag vor dem Hauptbahnhof sind vorbei. Der PKW hat seinen Zenit erreicht. Also steigt lieber heute auf Rad auf, statt darauf zu warten, dass euch Gerichte zwingen.