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Verborgene Welten: Crossfit

 Text Martin Mengden. Foto Ben Schroeter.

Wer hat nicht noch Bilder vom Schulsportunterricht vor Augen. Ich erinnere mich an Zirkeltraining: in hässlichen Hallen mussten wir der Reihe nach auf alte Holzboxen springen, braune Medizinbälle an die Turnhallenwand werfen und Kniebeugen machen, manchmal auf Zeit, unter dem scharfen Blick des unvorteilhaft behaarten Sportlehrers. Kamen wir zu spät zum Unterricht, mussten wir Strafrunden laufen oder Liegestüze machen. Klassisches Schulturnen würde ich das nennen. Wir setzten dabei überwiegend ein Gesicht auf, als hätte man uns am Wochenende um fünf Uhr morgens geweckt, um mit uns Matheaufgaben durchzugehen. Aber es gab auch immer einige dieser Streber. Sie führten den Schulsport-Pflichtdienst mit militärischer Strenge und unter Identifizierung mit Adonis durch, um entweder die Mädchen, den Lehrer oder sich selbst zu beeindrucken.

Das Interessante ist ja, dass wir vieles, was wir in der Schule noch als Zumutung empfunden haben, im Erwachsenenleben plötzlich freiwillig machen. Wir buchen Französischkurse, organisieren private „Band-AGs“ oder fangen auf einmal an, uns für die Weimarer Republik zu interessieren. Wir kaufen uns Bücher, die nichts anderes sind als schick ausgemachte Schulbücher für Erwachsene und wollen auch andere dafür begeistern. Das, was früher steuerfinanziert war, kostet auf einmal richtig was. So ähnlich ist es auch mit CrossFit. Nur vielleicht etwas konsequenter.

Ich wusste, mein CrossFit-Besuch wird kein Kindergeburtstag. Das dänische königliche Leibgarde und das kanadischem Militär setzen es in ihrem Training ein. Ich habe den Kriegsdienst neben pazifistischen Gründen auch deshalb verweigert, weil ich nicht gedrillt werden möchte, sondern mich selbst drillen will. Ein bisschen aufgeregt war ich also schon.

Ich stehe vor dem Rollkontor am Bahnhof. Stephen begrüßt mich, er ist Inhaber des CrossFit-Gyms – ein hochgewachsener, ich würde sagen: maximal durchtrainierter, junger Amerikaner. Seit zwei Jahren betreibt Stephen seine „Box“ in Wiesbaden, vorher war er Trainer im den USA. In gebrochenem Englisch entschuldige ich mich bei ihm für meine Verspätung. Er weiß, dass ich mittrainieren will, grinst mich an und sagt süffisant einen Satz, in dem das seltsame Wort „burpees“ vorkommt. Ich grinse unwissend mit. Später klärt mich jemand auf. „Burpees“ sind verschärfte Liegestütze, für jede Minute Verspätung werden mehr davon fällig.

Das Workout beginnt mit dem Warm-Up. Was wird da jetzt kommen, frage ich mich –  ein beliebter Satz bei CrossFittern ist: „Your workout is my warm-up“. Wir machen Push-Ups (Liegestütze) und Air Squads (Kniebeugen), später springen wir auf Holzboxen und machen Hantel-Squads. Etwas ist dabei anders als erwartet: Ein CrossFit-Trainer war in meiner Vorstellung ein brüllender General, zwecks Aufrechterhaltung der freiwilligen Unterwürfigkeit der Trainierenden. Stephen ist aber gar nicht so. Er hält sich sehr im Hintergrund. Schreien hat er auch nicht nötig: die CrossFit-Mitglieder sind gewissermaßen eine Ansammlung von Schulsport-Strebern: maximal motiviert und konzentriert und fest entschlossen, maximale körperliche Leistung zu bringen, um maximale Steigerung der Fitness zu erreichen. Sie werden nicht gedrillt, sie drillen sich selbst.

 CrossFit stilisiert Fitness (und damit verbundenen Schmerz) zu einer Lebensphilosophie. Im Internet gibt es T-Shirts zu kaufen, darauf stehen Dinge wie: „Wake. Run. Lift. Eat. Sleep. Repeat.“, „Burpees still suck“ oder „Pain is temporary, glory is forever“. Man könnte CrossFit nun einer Gesellschaftskritik unterwerfen und nach den Korrelationen mit der Leistungsgesellschaft und nach den negativen Auswirkungen von Hantel-Kniebeugen auf die Kniegelenke fragen oder mutmaßen, dass das ausufernde, masochistische Training auch der Kompensation persönlicher Komplexe und Unzufriedenheiten dient. Aber was wäre der Erkenntnisgewinn? Früher jagte man nach Großwild, heute jagt man nach „back squads“. Unser neuronales Belohnungssystem ist eben auf körperliche Bewegung ausgelegt. Welche, ist dann irgendwie auch egal.

Man könnte höchstens überlegen, den Schulsport auch Erwachsenen zugänglich zu machen.

CrossFit Wiesbaden, Klingholzstr 16, Halle 23 & 24, 65193 Wiesbaden, www.crossfit-wiesbaden.com 

Martin Mengden, 27, Musiker, Flaneur und bekennender Jungjurist, öffnet in der Rubrik „Verborgene Welten“ Türen zu Wiesbadener Sub-Welten, durch die nicht jeder auf Anhieb gehen würde.