Von Martin Mengden. Foto Simon Hegenberg.
Wiesbaden ist bekanntlich eine historische Hochburg des Glücksspiels. Das wusste schon Dostojewski. Da ist es nur folgerichtig, dass die Stadt in den letzten Jahren von einer wahren Welle unterschiedlichster Sport-Wettbüros erfasst wurde. Zum einen gibt es die schäbigen Wett-Kaschemmen. Andererseits finden sich aber auch ein paar ausladende, auf Seriosität getrimmte Wett-Agenturen. In beiden Formen sind sie für mich unzugängliches Niemandsland. Jetzt, zu Olympia, möchte ich das ändern und die erste Geldwette meines Lebens eingehen.
Einer der eindrucksvolleren Wettbüros liegt in der Bahnhofstraße, im Erdgeschoss eines recht repräsentativen Altbaus mit Glasfront. An einem klaren und ruhigen Sonntagnachmittag begebe ich mich dorthin. Allerdings erwartert mich kein Festsaal, eher Cape Canaveral für Arme: Sage und schreibe 29 Flachbildschirme hängen an den kahlen Wänden, darauf Zahlen über Zahlen, Wettquoten als Dezimalzahlen und, natürlich, der aktuelle Spielstand. Immerhin: Auf manchen Fernsehern wird tatsächlich Sport übertragen. Außerdem gibt es „Terminals“, an denen man seine Wette abgeben kann. Alles in allem existieren damit über 40 Bildschirme. Das erinnert an die Frankfurter Börse. Und ist auch so gemeint: Es geht darum, sich als neutrale Schaltzentrale für investitionsrelevante Informationen zu gerieren. Der Besucher soll sich als kalkulierender Investor fühlen, nicht als irrationaler Spieler. Statt Biertresen gibt es hier Kaffeeautomaten. Ferner Gruppentische, an denen die „Investoren“ konferenzartig Platz nehmen, mit Kugelschreiber und Lesebrille bewaffnet, stets abwägend, beratend, die Kontrolle bewahrend. Hier werden Geschäfte gemacht.
Hier liegt auch der (tückische) Unterschied zum reinen Glücksspiel. Der Zufall macht nur einen Teil des Geschehens aus. Der Rest ist mehr oder weniger kalkulierbar und drückt sich in Wahrscheinlichkeiten aus. Letztere lassen sich durch Informationen ermitteln. Die Ratio kommt ins Spiel. Es gibt ein paar Zocker, die ihren Lebensunterhalt damit bestreiten.
Nur eine Sache erinnert noch an Mafiapoker und Suffspielhalle: Es darf geraucht werden. Das wird auch ausgiebig getan. Ein Mitzocker pafft gar eine Zigarre, von ihr geht der letzte zarte Hauch stilbewusster britischer Pferderennen aus. Auch dieser Hauch verfliegt indes, als ich herausfinde, dass mein Wettbüro nur eine in Franchise betriebene Annahmestelle der Tipico Co. Ltd. ist (Sitz: Malta).
Wie dem auch sei, ich habe mir vorgenommen, auf Curling zu wetten. Das männliche Geschrubbe ist irgendwie so schön zeitgemäß. Leider bot das „Terminal“ Curling nicht an, also sattele ich spontan auf „Zweierbob Herren“ um. Nun habe ich von der Bobszene nicht den blassesten Schimmer. Da kann nur noch das Smartphone helfen; der allgegenwärtige Informationszugang, jetzt könnte er sich endlich auszahlen. Google verweist mich auf Bild.de, wo ich erfahre, dass sich US-Bob-Star und Goldfavorit Steven Holcomb 2007 73 Schlaftabletten mit Whisky herunterspülte, weil bei ihm eine degenerative Augenkrankheit diagnostiziert wurde. Am nächsten Tag ist er trotzdem aufgewacht; die Krankheit ist mittlerweile gebannt.
Das reicht mir, ich setzte 10 Euro auf Sieg Holcomb. Leider bin ich im Wettbüro der einzige, den Sotschi interessiert. Alle wollen Fußball, Olympia wird nicht übertragen, obwohl auf vielen Fernsehern sowieso dieselben Zahlen zu sehen sind.
Heimliche Blicke über Schultern offenbaren, dass meine Mitzocker vornehmlich auf Fußballspiele ausländischer Ligen setzen. Und, anders als ich, ihren Einsatz streuen, der oft nur ein bis zwei Euro pro Spiel beträgt. Kombi-Wette nennt sich das, glaube ich. Die Kombi-Wette ist das Aktien-Portfolio des Wettspielers. Ich dagegen habe einfach die Telekom-Aktie gekauft.
Bei Sportwetten wird Geld von Mensch A zu Mensch B transferiert, ohne dass diese Verschiebung mit einer unmittelbaren schöpferischen Arbeitsleistung von Mensch B verbunden ist. Ein maßgeblicher Unterschied zum Finanzmarkt liegt dagegen darin, dass Sportspekulationen nicht mitformen können, was hinten rauskommt. Schaden kann man also immerhin nur bei sich selbst anrichten. Abgesehen davon, dass Sportwetten oft auch der Geldwäsche dient.
Holcomb hat übrigens nicht gewonnen.