Von Alia Bouhaha. Fotos Alexander Moutchnik
Wie war das gleich? Uni-Professoren sitzen in ihrem Elfenbeinturm fernab von jeglicher Realität? Auf die Hochschule RheinMain trifft das zumindest nicht zu. Was hier entwickelt wurde, kann jede*r nutzen – vor allem wenn in der Corona-Zeit zu Hause Langeweile aufkommt. Aber auch sonst. Wie war das gleich mit Harlem Shake, Vlog, Ice Bucket Challenge, Carppol Karaoke und, natürlich, Katzenvideos? Das so unterhaltsame wie informative Projekt spürt virale Hits auf – und erklärt sie mit selbstgedrehten Videos so unterhaltsam wie informativ.
Mal „kurz“ auf YouTube – dabei bleibt es selten
Wer kennt es nicht: Eben gerade hat man „mal kurz“ YouTube geöffnet, und auf einmal ist ganz schön viel Zeit vergangen. Lustige Katzenvideos, kreative Challenges, Erklärvideos oder sogenannte Life-Hacks. Das erste Video wurde auf der Plattform am 23. April vor genau 15 Jahren hochgeladen. Mittlerweile ist YouTube die zweitgrößte Suchmaschine der Welt und hat so einiges zu bieten. Da kann schon mal ein viraler Hit an einem vorbeigehen.
Der Wiesbadener Hochschulprofessor Alexander Moutchnik (Foto oben, obere Reihe, 3. von rechts) hat zusammen mit seinen Studierenden eine Lösung dafür gefunden: Sie haben die erste Enzyklopädie für Internetphänomene auf die Beine gestellt. Wer nachschauen möchte, wie noch mal der „Harlem Shake“ ging und dabei gleichzeitig wissen will was ein Vlog ist, braucht nicht mehr verschiedene Internetseiten aufzusuchen. Das kann man jetzt kinderleicht auf einem Blick nachschauen.
Von „Icebucket Challenge“ bis „Carpool Karaoke“ – bisher 54 Videos produziert
Momentan sind 54 eigenständig von Professor Moutchnik und seinen Studierenden produzierte Videos im Online-Lexikon zu finden – natürlich auch zur „ALS Icebucket Challenge“ oder auch zu „Carpool Karaoke“, „Flashmob“ oder auch „You Laugh You Loose“ oder „Zungenbrecher“. In den Videos werden die einzelnen Internetphänomene nachgestellt und auf verständliche Weise erklärt. Das Ganze ist aufgebaut wie eine analoge Enzyklopädie. „Es gibt ein kleines Detail, das nicht direkt auffällt“, verrät Moutchnik, „jedes Video hat einen Rahmen, sodass es wirkt, als ob man wirklich in einem gebundenen Buch blättert.“
Nebenprodukt eines Seminars
Wir haben Professor Moutchnik gebeten, uns das Lexikon-Unikat aus Wiesbaden genauer zu erklären.
Wie ist die Idee für die Enzyklopädie für Internetphänomene entstanden?
„Die Grundidee habe ich für ein Seminar im Bachelorstudiengang „Media Management“ entwickelt. Primär ging es mir darum, mit den Studierenden Internetphänomene auf analytischer Ebene zu untersuchen. Die Videos sind sozusagen ein sehr erfolgreiches Nebenprodukt des Seminars. Ich habe jetzt schon seit dem Wintersemester 2019/20 mit Teilnehmer*innen aus drei verschiedenen Kursen an dem Projekt gearbeitet und es kontinuierlich weiterentwickelt.“
Das war sicherlich ganz schön aufwendig…
„Ja, das stimmt. Wir hatten einige bürokratische Hürden zu überwinden. Außerdem haben die Studierenden sehr viel Zeit in das Projekt investiert. Eine weitere Herausforderung war, dass keiner von uns Profi im Erstellen von Videos ist. Wir haben mit vielen verschiedenen Kameraarten gedreht, sogar mit Drohnen. Aber das ist das Tolle daran, denn unsere Videos müssen nicht hochqualitativ sein – denn die Internetphänomene selbst stammen in der Regel von Amateuren. Außerdem hat das Projekt einfach unglaublich viel Spaß gemacht, das war den Aufwand wert.“
Spürbarer Spaß am Projekt
All die Anstrengung und der Spaß hinter dem Projekt, sind unschwer in den Videos zu erkennen. Der Aufbau ist immer gleich: Erstmal zeigt ein Deckblatt, worum es gehen wird. Dann sieht man das Internetphänomen. Etwa eine Horde plötzlich tanzender Menschen beim „Harlem Shake“, oder die Lösung für ein Alltagsproblem beim Video zu „Life Hacks“. Im Anschluss gibt es bei jedem Video eine Erklärung des Phänomens. Wann und wo ist es zum ersten Mal aufgetreten? Wer hat es erfunden? So ergibt sich eine innovative, kurzweilige und lehrreiche Mischung aus Information und Unterhaltung.
Aber was genau ist das Besondere an Ihrem Projekt, Herr Professor Moutchnik?
„Tatsächlich ist es – soweit ich weiß – die erste Enzyklopädie für Internetphänomene. Außerdem haben wir, dank meiner Bekanntschaft mit Wikipedia-Experte Olaf Kosinsky, zusätzlich die MediaWiki aufgebaut. Das ist eine Innovation, denn hier haben wir alle von uns erstellten Videos sichtbar gemacht. Besucher*innen können in der MediaWiki wie in einem Bücherregal alle Bänder nebeneinander vorfinden.“
Wie genau sieht das aus?
„Man kann entweder das gesuchte Video anschauen, oder durch das Register von A bis Z auf eine Seite der MediaWiki kommen, die in der Art von Wikipedia alles zum Internetphänomen erklärt. Natürlich sind unsere Videos auch auf YouTube, aber dort sind Nutzer*innen auf die Chronologie der Plattform angewiesen, sie können also nicht alle Internetphänomene auf einem Blick sehen. Ich bin in gewisser Hinsicht wirklich stolz auf das, was aus unserem Uniprojekt geworden ist.“
Wie kommt die Enzyklopädie bei den Nutzern an?
„Ziemlich gut. Vor allem in der Corona-Zeit ist die Aufmerksamkeit für uns gestiegen. Ich kann einsehen, dass Menschen aus ganz Deutschland unsere Videos abrufen. Ich könnte mir vorstellen, dass gerade jetzt Eltern oder Lehrer dankbar für eine sichere Plattform sind, auf der sie sich über die Internetphänomene informieren können und diese vielleicht dann sogar mit Kindern nachmachen.“
Unendliches Projekt – bald auch mehrsprachig
Gibt es weitere Pläne für das Projekt?
„Genau genommen kann die Enzyklopädie nie richtig abgeschlossen werden, denn es tauchen immer wieder neue Internetphänomene auf. Wir haben erst mal den Plan noch sechs Videos einzufügen. Außerdem soll das Lexikon in verschiedenen Sprachen erscheinen. Geplant ist die Übersetzung der MediaWiki bisher ins Englische, Türkische, Spanische, Französische und Russische.“