„Seit meiner Kindheit fragte ich mich, welches Motiv diese Wandmalerei am Wiesbadener Schlossplatz darstellen soll“, schreibt die Wiesbadener Stadtverordnete Sibel Güler auf facebook. Mit ihrer Frage dürfte sie in guter Gesellschaft so ziemlich aller Wiesbadener, und natürlich staunender Besucher der Stadt, sein. Was Sibel Güler von den zahllosen Fragenden, Ahnungs- und Ratlosen unterscheidet: „Ich habe den Künstler gefunden und kontaktiert“, berichtet sie. Mit Erfolg: „Heute erhielt ich des Rätsels Lösung“, meldet die Stadtpolitikerin: „Segel, Fleischklopse, Pobacken, Zitzen, Luftballons, rollende Kugel, weibliche Brüste, Dampfschwaden, Moleküle, Rollbraten, bliblablub??“ Nichts von alledem. Oder doch alles?
Hier die komplette Antwort des 1942 geborenen, in Bremen lebenden Künstlers Jimmi D. Paesler, die Sibel Güler auf der facebook-Seite „Du weißt, Du kennst Wiesbaden, wenn Du früher …“ geteilt hat:
„Sehr geehrte Frau Güler,
das Wandbild habe ich vor vielen Jahren (1989) gemacht und der jetzige Zustand ist mir nicht bekannt.Warscheinlich ist es sehr stark verblichen, besonders die rot -Farbtöne sind als erste betroffen. Daher könnte die Assosiation der Formentwicklung nicht mehr so richtig wahrgenommen werden. Die Idee war : Die Fassadenstruktur, die wir ja um die Ecke herumgemalt haben (Illusionsmalerei ), verwandelt sich prozessual in voluminöse organische Formen.
Obst oder Bordell?
Diese haben ,da sie auch an Früchte erinnern, einen Bezug zu dem Marktgeschehen. Wir haben dafür, als das Bild fertig war, von vielen Leuten eine Bestätigung bekommen.: Die Vorstellungen entsprachen meistens der Eigenphantasie der Betrachter. Für den Weinhändler wars eine sich entwickelnde Weintraube, für den Orangenverkäufer wurden es Orangen , Es gab aber damals auch Gegner des Projektes, die das Ganze sehr erotisch überinterpretierten als Eingang zu einem Bordell. Das Verhältnis zur umgebenden Architektur habe ich eher kontrapunktisch verstanden. Da Architektur die senkrechte und wagerechte Linie und den rechten 90-Grad- Winkel betont, ist eine vulominöse runde,organische, fruchtige Form das Gegenteil davon. Eine flache platte senkrechte Wand ist eben eine harte Sache.Diese haben wir weich gemacht.
Keine Grenzen für die Fantasie der Betrachter
Das gesamte Motiv des Entwurfs hat mit der gegenständlichen Abbildung von etwas nichts zu tun .Obwohl es Illusionsmalerei ist, nur in dem Teil der Fassadenstruktur gegentständlich. Die voluminösen Rundungen sollten interpretierbar bleiben und sich nicht so schnell verbrauchen.Der Fantasie der Betrachter sollten keine Grenzen gesetzt werden.
Es gibt bestimmt noch Fotos in Ihrer Behörde die damals mehrere Fotografen gemacht haben.Auf denen kann das Ganze mit frischen Farben besser gesehen werden.
Ich hoffe, daß ich Ihnen hiermit etwas von meiner Idee vermitteln konnte.
Mit künstlerischen Grüssen Jimmi D. Paesler“
Die facebook-Gemeinde freut sich über die Aufklärung und bedankt sich bei Sibel Güler für ihre Initiative und die erfolgreiche Recherche. „Gern geschehen“, antwortet diese, und resümiert: „Nun wissen wir offiziell, dass wir ALLE richtig gelegen haben.“ Auf der offiziellen Internetpräsenz der Stadt, www.wiesbaden.de, findet sich übrigens kein Wort über den Künstler des Werkes, über das sich so viele Wiesbadener und Wiesbaden-Besucher den Kopf zerbrechen. Vielleicht sind ja die neuen Erkenntnisse ein guter Anlass, dies mal zu ändern.
Und was seht IHR in der Malerei?
(Dirk Fellinghauer / Foto: Sibel Güler)