Die Walhalla-Reset-Taste ist gedrückt. Erklärtes Ziel ist es nun, „ein neues Kapitel aufzuschlagen“. Auf Initiative und unter Regie des Kulturbeirats wird der Dialog über die künftige Nutzung der Walhalla in Kooperation mit der Immobilieneigentümerin WVV fortgesetzt. „Dass die WVV den vom Kulturbeirat angestoßenen Dialog mit der Kultur zum Walhalla aufgreift, freut mich“, so Kulturbeirats-Vorsitzender Ernst Szebedits: „Wir sind uns einig, dass eine kulturelle Nutzung an dieser bedeutenden Lage zu einem neuen Anziehungspunkt werden kann, der eine positive Strahlkraft auf die gesamte Innenstadt entfaltet.“ Die Veranstaltung „Forward Walhalla – 2. Workshop“ mit hochkarätigen Teilnehmern aus ganz Deutschland, die am 15. Oktober auf Einladung des Beirates stattfindet, soll dazu wertvolle Impulse liefern.
Die Zeit drängt. Deutschlandweit vollziehen die Innenstädte seit längerem einen tiefgreifenden Wandel, der durch die Pandemie zusätzlich an Dynamik gewonnen hat. „Dem Standort Wiesbaden täten daher neue Impulse sehr gut“, so Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende, der Aufsichtsratsvorsitzender der WVV ist. Dieser stadteigenen Gesellschaft gehört seit 2007 die Immobilie mit der unrühmlichen Geschichte und ungewisser Zukunft. „Aber auch die bauliche Situation des Gebäudes, das 2017 nach einer Begehung mit der Feuerwehr aus brandschutzrechtlichen Gründen nicht mehr genutzt werden darf, duldet keinen Aufschub mehr“, zeigt sich der OB der pandemieunabhängigen und Problematik bewusst.
Hochkarätige Kreativköpfe aus ganz Deutschland und darüber hinaus
Einen ganzen Tag lang beraten sich an diesem Freitag im Kulturforum erfahrene Macherinnen und Macher aus dem Bundesgebiet – etwa die Leiterin der Kampnagel Fabrik Hamburg, Amelie Deuflhart, der Gründer des Frankfurter Künstlerhaus Mousonturm Dieter Buroch oder Johanna Süß vom Lichter Filmfest Frankfurt und Martin Hammer, früherer Kurator der Wiesbaden Biennale – auf Einladung des Kulturbeirats über Ideen zur Wiederbelebung der Kulturstätte Walhalla. Moderiert wird der Workshop-Tag von RP Kahl (Filmemacher, Hochschulprofessor, geschäftsführender Vorstand Deutsche Filmakademie e.V.), bekannt u.a. aus „Berlin Calling“.
Für Interessierte finden von der städtischen Holding WVV unterstützte Impulsvorträge statt. Die Begrüßung des Oberbürgermeisters und Vorträge können im Live-Stream mitverfolgt werden. Unter diesem Link, der auch auf der Website des Kulturbeirats (www.kulturbeirat-wiesbaden.de) abrufbar ist, wird am Freitag, 15. Oktober, ab 09:30 Uhr der spannende Input gestreamt. Impulse kommen von Ania Pilipenko (Initiatorin Holzmarkt 25, Berlin); Andreas Krüger (Geschäftsführung Belius GmbH, Berlin); Dr. Martino La Torre (Bauhistoriker, Wiesbaden) sowie der niederländische Künstler, Designer und Kurator Erik Kessels.
Gäste besichtigen gesperrte Immobilie
Damit sich die von auswärts angereisten renommierten Experten über die bauliche Situation der Immobilie informieren können, bekommen sie im Rahmen des Workshops auch die Möglichkeit zu einer gemeinsamen Begehung des seit 2017 eigentlich strikt für jegliches öffentliche Betreten gesperrten Objekts.
Wichtige Impulse für frischen, frechen, feschen Kulturort mit Strahlkraft
„Wir brauchen hier ein wirklich offenes Haus, einen Ort der Begegnung. Einen frischen, frechen und feschen Kulturort, der Strahlkraft hat“, sagt Dorothea Angor, stellvertretende Vorsitzende des Beirats. „So kann der maximale Gewinn für Wiesbaden erreicht werden.“ „Mit einem wirtschaftlich tragfähigen Nutzungskonzept wird es auch gelingen, ein neues Kapitel aufzuschlagen“, so WVV-Geschäftsführerin Bernadette Boot.
„Die künftige Nutzung ist für die Erarbeitung des Sanierungskonzepts zudem ein zentraler Baustein, weil sich daraus unter anderem die Anforderungen an die Gebäudestruktur ableiten lassen“, erklärt Andreas Guntrum, Geschäftsführer der SEG Stadtentwicklungsgesellschaft Wiesbaden mbH, die für die Projektsteuerung verantwortlich zeichnet,. Unter seiner Verantwortung hat die Immobilie den heutigen Zustand „erreicht“, der ohnehin miserable – aber laut mancher Experten nicht so dramatisch wie oft offiziell dargestellte – Zustand hat sich in den vergangenen Jahren eher noch weiter verschlechtert.
Weite Teile seit 1990er-Jahren ungenutzt
Seit den 90er Jahren sind weite Teile der Anlage ungenutzt. Von 2001 bis zur Schließung des kompletten Gebäudes im Jahr 2017 wurde der Spiegelsaal im 1. Obergeschoss, das Foyer im Erdgeschoss sowie das Bambi-Kino von der Kulturinitiative Walhalla-Theater e. V. betrieben. 2017 wurde – nachdem kurz zuvor SEG-Chef Andreas Guntrum mit seinem Vorhaben, das bundesweit tätige GOP-Varieté Theater zum neuen Betreiber des Hauses zu machen, gescheitert war, quasi über Nacht derletzte noch in Nutzung befindliche Teilbereich der Walhalla geschlossen. Begründet wurde dies mit Brandschutzgutachten.
Reset-Taste als Startpunkt für (ergebnis)offenen Kreativprozess
Die historische Immobilie mit zwei Untergeschossen umfasst insgesamt etwa 6.700 m2 und befindet sich in einem stark sanierungsbedürftigen Zustand. Auf Antrag des Kulturbeirates vom 27. April 2021 wurde in der Stadtverordnetenversammlung vom 20. Mai 2021 mit Blick auf die Pandemie, in der ernsthafte Bewerbungen für den künftigen Betrieb äußerst unwahrscheinlich waren, beschlossen, das angestrebte Interessenbekundungsverfahren anzuhalten. Stattdessen wurde die Idee des Kulturbeirates aufgegriffen, die „Reset-Taste“ zu drücken und im Rahmen eines offenen und ergebnisoffenen Kreativprozesses mit der Wiesbadener und überörtlichen Kulturszene Ideen für die Zukunft des Walhalla zu sammeln.
(Text und Fotos: Dirk Fellinghauer)
Walhalla-Historie
1897 wurde das Walhalla-Theater mit einer großen Gala offiziell eröffnet. Als „Spezialitäten-Theater ersten Ranges“ standen seinerzeit unter anderem große Bühnenschauen mit Gesangsdarbietungen, Konzertmusik sowie Varieté im Programm. Zudem gab es ein „Grand-Restaurant“. Über den Zeitraum 1919 bzw. 1931, in dem der Umbau zum Lichtspieltheater erfolgte, gibt es widersprüchliche Angaben. Theater-/Varieté-Aufführungen fanden immer noch statt. Noch in den 1950er Jahren waren Filmvorführungen im großen Saal mit einer Bühnenschau verbunden. Zu den prominentesten Besuchern zählen Marika Rökk, Elvis und Ray Charles. Mitte der 1960er Jahre schloss die Gastronomie. Es folgten unterschiedliche Nutzungen – zeitweise wurde der Gewölbekeller im ersten Untergeschoss als Diskothek genutzt, die über die Stadtgrenzen hinaus Publikum anzog („Big-Apple“ | „Ebene 0“). Insgesamt umfassen die Bestandsgebäude der Walhalla (inkl. Untergeschoß) mehr als 5.000 m² BGF. 2017 präsentierte SEG-Geschäftsführer Andreas Guntrum, letztlich erfolglos, GOP Varieté als gewünschten Investor und künftigen Betreiber. Nachdem dieser Vorschlag auf Widerstand stieß, bildete sich die Initiative Walhalla Studios aus örtlichen und überörtlichen Akteuren und präsentierte ein auf mehreren Säulen basierendes Konzept, das auf breite Zustimmung stieß, aber auch nicht zur Realisierung kam.
Betreten verboten – Eindrücke von außen – Das Walhalla-Gebäude von verschiedenen Seiten betrachtet: