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Wie ein Wiesbadener Mechaniker aus einer Motorroller-Reparatur eine Lehrstunde in Sachen Berufung machte

Unser Autor mit seinem beeindruckend reparierten Roller. Foto: privat

Von Carsten Hartmann. Foto privat.

Unser Gastautor – einst Wiesbadener, zwischendurch Frankfurter, nun wieder Wiesbadener – hatte ein besonderes Erlebnis bei der Reparatur seines Motorrollers. Er erzählt (s)eine Geschichte von besonderem Kundenservice, vom Wert und der Wichtigkeit des inhabergeführten Einzelhandels. Eigentlich will er aber auf etwas ganz anderes hinaus.

Vor Jahren lebte ich schon einmal in Wiesbaden und hatte zu dieser Zeit einen Motorroller. Ich wohnte im Dichterviertel. Weil die dortige Parkplatzsituation eine absolute Katastrophe war, ließ ich das Auto meistens stehen und stieg fast vollständig auf den Roller um. Bei Reparaturen oder Inspektionen brachte ich den Roller zu Zweirad Klose und hatte den Laden in guter Erinnerung. 2017 zog ich nach Frankfurt, der Roller verbrachte einige Jahre in einem Schuppen.

Als ich Ende 2020 zurück nach Wiesbaden zog, ließ ich den Roller wieder zu. Vier Jahre ohne Bewegung hatten ihm nicht gutgetan, aber mit Hilfe einer Frankfurter Werkstatt war er tatsächlich noch mal durch den TÜV gekommen. Ich sauste wieder durch Wiesbaden und Umgebung, es fühlte sich genauso gut an wie früher. Dann passierte ein Malheur: Ich hatte den Roller verliehen, und danach war er ein Häufchen Elend: Totalschaden. Restwert: 200 Euro. Was solls, dann bringe ich den Roller halt wieder zu Klose, dachte ich mir. Doch die befanden sich in den Weihnachtsferien, und fast alle anderen Werkstätten waren geschlossen. Am Ende fand ich eine einzige geöffnete Werkstatt und wurde dort mitsamt kaputtem Roller vorstellig.

Der Chef dort registrierte sofort, dass es sich um eine äußerst aufwändige Angelegenheit handelte und rechnete im Kopf offensichtlich schon freudig durch, wie viele Stunden er da wohl abrechnen könnte und wie viele Teile er bestellen müsste. Und da er wusste, dass die Versicherung zahlen würde, hielt sich sein Interesse, die Kosten halbwegs im Rahmen zu halten, ziemlich in Grenzen.

Der Kostenvoranschlag wurde dementsprechend hoch, ein Sachverständiger schraubte es noch höher und somit war der Totalschaden amtlich. Alternativ zur Reparatur bot er mir noch einen vergleichbaren Roller zum Kauf an. Aber so richtig überzeugte mich das alles nicht. Mir kam dann der Gedanke, dass die Firma Klose allmählich aus ihrem Winterschlaf erwacht sein könnte …

Dort angekommen, passierte etwas wirklich Bemerkenswertes: Der Mechaniker dort schob seinen „Patienten“, also meinen Roller, beinahe liebevoll in seine Werkstatt und begutachtete den trostlosen Anblick von allen Seiten. Er schaute, prüfte, tastete und dachte mit mir darüber nach, was man wie reparieren könne, für welche Ersatzteile es günstige Alternativen geben könnte und mit welchem Kratzer man künftig halt leben müsse. Im Prinzip genau das gleiche, was in der anderen Werkstatt passiert war, aber eben auch das genaue Gegenteil: Hier hatte ich das Gefühl: Es geht 100% um mich und um meinen Roller. Bei der anderen Werkstatt ging es offensichtlich hauptsächlich darum, möglichst viel mit der Versicherung abzurechnen.

Wen nun das Gefühl beschleicht, ich sei ein verkappter Verkaufstrainer, der den Lesern sein Seminar „Kundenorientierte Dienstleistung“ schmackhaft machen möchte: Ich kann Sie beruhigen – dem ist nicht so. Ich möchte Ihnen auch nicht die Geschichte vom einst prächtigen Motorroller erzählen, der Jahre lang in einen dunklen Schuppen gesperrt wurde, um dann in der Freiheit gleich wieder zu stürzen und dann zusammengeflickt mit ein paar Kratzern sein Rollerleben fortzuführen.

Das Abholen des reparierten Rollers als magischer Moment

Das Abholen des Rollers aus der Werkstatt war regelrecht ein magischer Moment: Der Mechaniker, Herr Krämer oder Herr Schäfer – irgendwas mit „ä“, hatte sich wirklich selbst übertroffen. Begeistert präsentierte er mir das Ergebnis seiner Anstrengungen. Mit mechanischer Fertigkeit und künstlerischer Finesse hatte er Fahrzeugteile sinnvoll restauriert, repariert und kombiniert. Das Ergebnis: ein echter Knaller. Wunderbar wieder hergestellt, und das zu einem angemessenen Preis.

Als ich beim Bezahlen gegenüber der Chefin erwähnte, wie zufrieden ich mit der Arbeit des Mechanikers war, erfuhr ich am Rande, dass sich die Firma seit Jahrzehnten im Besitz der Familie befände und dass schon der Vater der heutigen Chefin seinen Mitarbeitern mit „eiserner Hand“ die Prinzipien des kundenorientierten Handelns vermittelt hätte. Seine Tochter habe sich damals – als einziges weibliches Wesen in diesem Biker-Umfeld –  in einen der ersten Mitarbeiter des Vaters verliebt. Mit diesem schmeißt sie heute – nach 38 Jahren Ehe – den Laden. Eine schöne Geschichte.

Ich bin aber noch die Erklärung schuldig, warum ich hier „meine“ Geschichte erzähle. Zuerst kam mir ein Ende mit einem politischen Statement in den Sinn, wie: „Wir müssen aufpassen, dass uns durch Corona nicht genau diese inhabergeführten Unternehmen wegbrechen.“ Und das könnte ich auch so unterschreiben: Gar nicht auszudenken, wenn wir in unseren Innenstädten künftig nur noch die verbliebenen Ladenlokale der großen Ketten fänden und die Straßen verstopft wären von lauter Amazon-Boten und Liefer-Services. Die Botschaft wäre meines Erachtens durchaus zeitgemäß und hätte am Ende sicher ein paar Likes bekommen.

Genau den Platz im Leben gefunden

Aber ich möchte auf etwas anderes hinaus: Das hat wohl mit dem zu tun, womit ich mich im Moment gerade selbst stark beschäftige: Was mich bei dem Mechaniker und im Prinzip beim ganzen Team Klose so kolossal angesprochen und wie magisch angezogen, beeindruckt und berührt hat, war das Empfinden, dass dieser Mann bzw. dieses Team in so etwas wie seiner Berufung lebt. Berufung im Sinne von: Der/die hat/haben echt genau die (Lebens-)aufgabe, den Platz im Leben gefunden, die zu ihm/zu ihnen passt. Die „Kloses“ werden sich wahrscheinlich wundern, was ich da alles in ihr Handeln hineininterpretiere. Weil es für sie so selbstverständlich ist. Für mich war es etwas Besonderes. Und deshalb, so finde ich zumindest, das Erzählen wert.

Kennt ihr auch „Klose-Momente“ im Wiesbadener Einzelhandel, bei Dienstleistungen, oder auch Behörden, öffentlichen Einrichtungen etc.? Berichtet gerne von Begegnungen, wo ihr die „Berufung“ eures Gegenübers spürt – hier als Kommentar oder per Mail an hallo@sensor-wiesbaden.de

2 responses to “Wie ein Wiesbadener Mechaniker aus einer Motorroller-Reparatur eine Lehrstunde in Sachen Berufung machte

  1. Klasse! Das sind dann solche Glücksorte in Wiesbaden, von denen ich ein paar, in meinem Buch „Glücksorte in Wiesbaden“ zusammen gestellt habe. Zwei davon gibt es schon nicht mehr… Es wäre ein Jammer, wenn das Laden-Sterben weiter geht. #supportlocal

  2. Großartig, wenn Menschen ihren Beruf mit Hingabe ausüben. Im Impressum steht übrigens Marc Schäfer als Werkstattmeister. Ehre wem Ehre gebührt. 🙂

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