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Das große Warten – Was wird aus dem Walhalla und dem Alten Gericht?

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Von Hendrik Jung. Illustration Jan Pieper. Foto SEG.

Historisch bedeutsame Gebäude sind ein Wiesbadener Markenzeichen. Über besonders bedeutsamen schweben seit Jahren große Fragezeichen: Was tun damit? Beim Alten Gericht gibt es nun immerhin „Absichten“. Beim Walhalla hat die Stadt nach wie vor gar keinen Plan.

Im Jahr 1897 werden gleich zwei bedeutende Immobilien der Weltkurstadt Wiesbaden in Betrieb genommen. Am 16. September eröffnet das Walhalla als „Specialitäten-Theater 1. Ranges“, in dem vor dem Ersten Weltkrieg Stars wie La Belle Otéro und nach dem Zweiten Weltkrieg Zarah Leander oder Gert Fröbe auf der Bühne Glanz verbreiten. Etwas weniger glamourös dürften die Auftritte in dem am 3. April des gleichen Jahres eingeweihten Amts- und Landgerichts ausgefallen sein.

Substanz gut, Sanierung nötig

Bis heute gibt es Parallelen zwischen den Immobilien. Beide unterliegen dem Denkmalschutz. Auch in der Einschätzung des baulichen Zustands der 118 Jahre alten Häuser scheint eine gewisse Einigkeit zu herrschen. In beiden Fällen gibt es Stimmen, die von einer guten Substanz sprechen und dennoch dringenden Sanierungsbedarf sehen.

Auf welche Weise die Gebäude – das Walhalla im Zentrum der Stadt in der Mauritiusstraße, das Alte Gericht in der in Sachen Stadtentwicklung höchst interessanten Moritzstraße –  in Zukunft genutzt werden sollen, darüber gibt es jedoch sehr unterschiedliche Auffassungen. Im Fall des Alten Gerichts – wo zuletzt der Plan, die European Business School EBS anzusiedeln, grandios gescheitert ist – liegt seit Anfang Februar eine gemeinsame Absichtserklärung zwischen dem Eigentümer der Immobilie, dem Land Hessen, sowie der Stadt Wiesbaden und der Hochschule Fresenius vor. Der „Letter of Intent“, der nicht rechtsverbindlich ist, sieht vor, dass die Hochschule einen Teil des Geländes in Erbpacht für 60 Jahre zur Verfügung gestellt bekommt, um dort einen Hochschulneubau für rund 1.000 Studierende mit einem Kostenvolumen von etwa zehn Millionen Euro zu errichten – mit der Option, die Pacht um weitere 30 Jahre zu verlängern. Die Kosten für den Bau einer Tiefgarage mit den für den Universitätsbetrieb notwendigen Stellplätzen, will laut der Erklärung, die sensor vorliegt, das Land Hessen im Rahmen eines sogenannten Zuwendungsbauvorhabens bis zu einer Höhe von maximal fünf Millionen Euro übernehmen. Die Stadt Wiesbaden wiederum sagt zu, das Land Hessen bei den Kosten des Baus der Tiefgarage sowie den anfallenden Abbruchkosten mit 2,5 Millionen Euro zu unterstützen.

Hochschule will neuen Studiengang ansiedeln – und zwar schnell

Vorgesehen ist, dass die Landeshauptstadt bis September 2016 das notwendige Planungsrecht für die Hochschule schafft. Diese will an dieser Stelle die Fachbereiche Wirtschaft und Medien sowie Design unterbringen. Während letzterer hier für das Rhein-Main-Gebiet neu gegründet werden soll, sind im Fachbereich Wirtschaft und Medien derzeit 852 Studierende in Idstein eingeschrieben. „Für uns ist eine schnelle Umsetzung wichtig. Wir wollen mit beiden Fachbereichen im Wintersemester 17/18 beginnen“, betont Pressesprecher Thomas Pier. Sowohl die Ansiedlung der Hochschule als auch der in der Absichtserklärung ebenfalls vorgesehene Bau eines Studentenwohnheims mit 100 bis 120 Wohnheimplätzen durch einen Investor wird allgemein begrüßt. Lediglich die Fraktion Linke&Piraten lehnte Ende März eine entsprechende Beschlussvorlage in der Stadtverordnetenversammlung komplett ab. Die Fraktion von Bündnis90/Die Grünen stimmt den Plänen grundsätzlich zu, hat aber auch Vorbehalte. So enthalten sich die Grünen etwa bei der Frage der finanziellen Beteiligung der Landeshauptstadt. „Eigentümer ist das Land. Was haben wir damit zu tun? Im Vorfeld der Haushalts-Beratungen wird über Einsparungen diskutiert. Aktueller Stand sind fünf Prozent pro Dezernat, und dann sollen wir 2,5 Millionen Euro zur Verfügung stellen?“, gibt der planungspolitische Sprecher der Grünen, Axel Hagenmüller, zu bedenken.

Oberbürgermeister Sven Gerich hingegen freut sich über die Inhalte der Absichtserklärung: „Mit der Hochschule Fresenius und einer möglichen Wohnnutzung kann ein junges, quirliges Quartier entstehen, das auch für die bereits dort ansässigen Geschäfte und Bewohner eine enorme Bereicherung darstellt.“ Gegen eine Belebung dieses innerstädtischen Bereichs hat wohl kaum jemand etwas einzuwenden – die im „Letter of Intent“ vorgesehene Wohnnutzung des denkmalgeschützten Altbaus des Gerichtes stößt hingegen auf Widerspruch. Kritiker befürchten die Entstehung von Luxuswohnungen.

Plädoyers für Alternativen

Derzeit ist eine Initiative in Gründung, die sich für eine alternative Nutzung aussprechen will. In den nächsten Wochen wollen die Mitglieder, darunter einige bekannte Gesichter der Stadtgesellschaft, aus der Deckung kommen und ihre Forderungen und Ideen publik machen. Zeit, sich auch andere als die bisher öffentlich gewordenen Gedanken zu machen, bleibt allemal: Tatsächlich ist bei der beabsichtigten Veräußerung der Immobilie an einen Investor in der Absichtserklärung eine Wohnnutzung nicht festgeschrieben, sondern wird lediglich als bevorzugte Folgenutzung benannt.

„Raum schaffen für Kreative und Gründer“

Auch „institutioneller“ Widerspruch regt sich. „Wir würden uns wünschen, dass Stadt und Land sich überlegen, was man mit der Immobilie noch machen kann“, erklärt Gordon Bonnet. So steht es in einer Forderung der IHK-Vollversammlung, die diese vor wenigen Tagen auf Antrag des Ausschusses Kreativwirtschaft der Industrie- und Handelskammer (IHK) beschlossen hat. „Die Vollversammlung begrüßt die Ansiedlungspläne der Hochschule Fresenius auf dem Areal des Alten Gerichts in der Moritz- und der Gerichtsstraße in Wiesbaden. Die Landeshauptstadt Wiesbaden soll darauf hinwirken, dass die ihr unterstellten Ämter den Prozess positiv begleiten“, heißt es darin, aber auch: „Die Vollversammlung drängt zudem die Beteiligten, zeitnah eine tragfähige Nutzung für das alte Gerichtsgebäude herbeizuführen, wobei eine Zwischennutzung für die Kreativwirtschaft vorgeschlagen wird. Die Landeshauptstadt Wiesbaden wird aufgefordert, entsprechende Gespräche mit der Landesregierung bzw. den beteiligten Ministerien zu führen.“

Humus für kreative Talente

Der fachliche Leiter des Ausschusses konkretisiert gegenüber sensor: „Wenn die Pläne der Hochschule Fresenius umgesetzt werden, dann erfährt Wiesbaden eine Aufwertung als Kreativwirtschaftsstandort. Die Attraktivität Wiesbadens für Kreative würde verbessert und ein Humus für kreative Talente würde entstehen.Insgesamt ergibt sich hier die Chance, dass auf dem Areal ein Kreativer Hot Spot entsteht, der die Basis für erfolgreiche Unternehmensneugründungen sowie für eine enge Verzahnung von Wissenschaft und Wirtschaft bilden könne“,  Für denkbar hält er  Atelier- und Ausstellungsflächen sowie ein Gründungszentrum für Unternehmer aus der Kreativwirtschaft. Zwar würde in der Innenstadt durchaus Wohnraum benötigt, doch den könne man auch an anderer Stelle schaffen.

Trotz einer nicht öffentlichen gutachterlichen Stellungnahme der Nassauischen Heimstätte, welche die Möglichkeiten einer Nachnutzung des Gerichtsaltbaus für Wohnen offenbar als realisierbar bestätigt hat, bestehen Zweifel an einer sinnvollen Umsetzung dieses Ziels. „Es gibt sicher Bereiche, die man dafür nutzen könnte, aber die meisten dieser Räume haben eine Nordostlage und sind vom Licht her nicht attraktiv“, gibt Stefan Grötecke zu Bedenken, der mit der Galerie Projekt 48 derzeit Mieter des Alten Gerichts ist. In den unteren Etagen gebe es Deckenhöhen von fünf bis sechs Metern. Zwar könne man dort Zwischendecken einziehen, würde damit aber die Fenster zerschneiden. Aufgrund breiter Flure sowie Räumen wie dem ehemaligen Sitzungssaal des Schwurgerichts reduziert sich die Nettogrundfläche von 6.190 Quadratmetern auf eine Hauptnutzfläche von 4.123 Quadratmetern.

Die Substanz des Hauses sei grundsätzlich gut. Dennoch sei die Heizungsanlage außer Betrieb, die Elektronik sanierungsbedürftig und auch das Dach müsse saniert werden. Außerdem werde eine Zutrittssteuerung benötigt, denn derzeit könne man alle Räume erreichen, sobald man das Gebäude erst einmal betreten habe. „Dann muss noch die Frage des Brandschutzes und der Fluchtwege geklärt werden. Wenn man das alles hat, kann man es machen“, nennt Stefan Grötecke eine Reihe von Hürden. Eine zusätzliche Herausforderung ist die Einhaltung des Denkmalschutzes.

Höchste Zeit, im Walhalla aktiv zu werden

Während das Landesamt für Denkmalpflege beim Auszug der Gerichte hier eine umfassende Dokumentation erstellt hat, scheint diese für das ebenfalls denkmalgeschützte Walhalla zu fehlen. Bereits im Jahr 2013 hat sich dort jedoch die Architektin Andrea Sehr umgesehen, auch in Begleitung eines Sachverständigen für Brandschutz. „Es ist noch viel Substanz erhalten, mit der man sensibel umgehen sollte. Darauf kann man aufbauen“, hat sie fest gestellt. Schon vor zwei Jahren sei es an der Zeit gewesen, aktiv zu werden. Dringender Handlungsbedarf sei neben statischen Ertüchtigungen im Keller auch in den Bereichen Heizung, Sanitär und Elektronik sowie beim Brandschutz zu erkennen gewesen. Die Architektin mit Zusatzausbildung in Denkmalpflege plädiert für eine schonende und den Bestand erhaltende Sanierung des Hauses. Diese wünscht sich auch Sigrid Skoetz vom Walhalla Theater als Mieterin des Hauses.

Nicht alles ist eine Frage des Geldes

Dem damals frisch gewählten OB Gerich hatte Andrea Sehr in einem Schreiben empfohlen, ein sogenanntes Aufmaß aller Flächen des Hauses erstellen zu lassen, um auf dieser Basis eine Kartierung der vorliegenden Schäden vorzunehmen. Das müsse nicht einmal viel Geld kosten, wenn man dafür eine Kooperation etwa mit einer Hochschule eingehe. Darüber hinaus bestehe zum Beispiel bei der Denkmalpflege die Möglichkeit, Zuschüsse für Voruntersuchungen oder für den Einsatz eines Bauhistorikers zu erhalten. Mit dessen Hilfe könnte fest gelegt werden, welchen baulichen Zustand man als maßgebend definieren sollte. Erst nach diesen Voruntersuchungen und einer genauen Schadenskartierung sei auch eine zuverlässige Kostenschätzung möglich. Diese Kostenschätzung wiederum sei Voraussetzung für einen Finanzierungs- und Sanierungsplan.

Die Fachfrau empfiehlt dringend, dass für das Walhalla – in dem seit 2001 im Studio und Spiegelsaal ein beachtliches Kulturprogramm unter schwierigsten Bedingungen und mit großem Publikumserfolg gestemmt wird, der über 700 Quadratmeter große Ballsaal mit Bühne und Empore aber seit Jahren nicht mehr öffentlich zugänglich ist – Nutzungs- und bauliches Konzept Hand in Hand gehen sollten. Über ein Nutzungskonzept haben sich jüngst, noch weitgehend ohne realistische Planungsgrundlagen, fünf Architekturbüros Gedanken gemacht. Den „Ideenwettbewerb“ hat die WVV Holding, eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Stadt Wiesbaden ausgeschrieben, die das Gebäude im Jahr 2007 für 2,5 Millionen Euro gekauft hat. „Einer wollte es halb abreißen und Wohnblöcke rein setzen. Zwei wollten das Stadtmuseum im Walhalla unterbringen. Das ist alles schwierig und nicht zielführend“, berichtet Andreas Guntrum von den Ergebnissen des Wettbewerbs, für dessen Durchführung er als Geschäftsführer der WiBau zuständig gewesen ist. Gewonnen hat der Vorschlag des Wiesbadener Büros „BGF+“, der ein Varieté-Theater mit zusätzlicher gastronomischer Nutzung vorsieht.

Idee ohne Investor

„Grundsätzlich stehen die Kulturdezernentin und ich der Idee eines Varieté-Theaters in diesen Räumen positiv gegenüber. Allerdings fand sich für diese Idee noch kein potenzieller Betreiber oder Investor“, kommentiert Sven Gerich diesen Vorschlag. Problematisch dürfte sein, dass selbst eine vorsichtige Schätzung der WVV Holding von Sanierungskosten in Höhe von mindestens 12 Millionen Euro ausgeht. „Außerdem muss ich betonen, dass es sich derzeit nur um Konzeptskizzen und Ideen in der Vorprüfungsphase handelt, dass also noch nicht fest steht, in welche Richtung es gehen soll. Aber wir sind dran“, fügt der Rathauschef hinzu. Bis es auf Seiten des Eigentümers tatsächlich ein Konzept gibt, möchte man auf Seiten der Mieter den aktuellen Zustand zumindest schon mal ein wenig verbessern, ohne dabei jedoch den besonderen Charme des Walhalla-Theaters zu beeinträchtigen. Der ehemalige technische Direktor des Staatstheaters, Siegbert Micheel, und der Tontechniker und Mediengestalter Hans Kranich haben gemeinsam ein Konzept für die Licht- und Tontechnik entwickelt. Dieses sieht den Einbau einer Traverse für Scheinwerfer sowie die Anschaffung eines neuen Mischpults, von Monitoren und Mikrofonen vor. „Die Anschaffung wäre günstiger, als das regelmäßig auszuleihen“, betont Hans Kranich. Derzeit erarbeite man einen Kostenvoranschlag, den man dann bei der Stadt Wiesbaden einreichen will. Außerdem wurde ein Crowdfunding-Projekt gestartet, mit dessen Hilfe rund 13.500 Euro erwirtschaftet werden sollen (bis 23. Mai auf www.visionbakery.com/Walhalla). Ein Betrag, der durchaus auch im Rahmen des Städtebauförderprogramms „Aktive Kernbereiche“ im Plangebiet „Innenstadt West“ aufgebracht werden könnte. Im Laufe der kommenden Jahre könnten über das Programm Fördermittel in Höhe von rund zehn Millionen Euro in das Plangebiet fließen. Mittel, die ungefähr zu je einem Drittel von Stadt, Land und Bund stammen. Sowohl das Walhalla als auch die Umnutzung des ehemaligen Amts- und Landgerichts gehören zu dem 69 Einzelpunkte umfassenden Integrierten Handlungskonzept, das jetzt vorgestellt wurde. Konkrete Vorhaben sind bislang aber für keines der beiden Traditionshäuser vorgesehen. „Die Ergebnisse gehen jetzt an die Dezernate“, erklärt der Geschäftsführer der Stadtentwicklungsgesellschaft SEG, Roland Stöcklin. Es liege im Ermessen der einzelnen Dezernate zu entscheiden, ob und welche der Projekte sie bei den Haushaltsberatungen für den kommenden Doppelhaushalt einbringen wollen. Im Laufe der kommenden Jahre  könnten selbst Projekte, die bislang nicht im Handlungskonzept stehen noch in das Gesamtkonzept aufgenommen werden. Die Frage, wohin es mit dem historischen Erbe Wiesbadens geht, bleibt also spannend. Die Zeit läuft.

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Die Stadt ist (k)ein Konzern

Die Landeshauptstadt Wiesbaden verfügt über eine schwer überschaubare Anzahl städtischer Gesellschaften und Beteiligungen, darunter die WVV Wiesbaden Holding GmbH. WVV steht für Wohnen, Versorgung, Verkehr. Die Holding ist eine hundertprozentige Tochter der Landeshauptstadt Wiesbaden. Vorsitzender des Aufsichtsrats ist Oberbürgermeister Sven Gerich. Dasselbe Amt übt er auch bei der Wiesbadener Immobilien Management GmbH (WIM) aus. Diese ist eine hundertprozentige Tochter der WVV und hat selbst vier Tochterunternehmen: Die Wiesbadener Wohnbaugesellschaft mbH (GWW), die Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft der Stadt Wiesbaden mbH (GeWeGe) und die WiBau Gesellschaft mbH sind allesamt 100 prozentige Töchter der WIM. Die Stadtentwicklungsgesellschaft Wiesbaden mbH (SEG) gehört lediglich zu 94,9 Prozent der WIM. Die restlichen 5,1 Prozent sind im Besitz der Stadt Wiesbaden.

 

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