Von Falk Sinß*. Fotos Arne Landwehr, Klatsch-Archiv.
Das erste Mal war ich Ende der 1990er Jahre im Café Klatsch. Und was ich damals sah, haute mich Landei aus den Socken. Bis dahin waren Cafés für mich miefige Orte mit weißen Spitzentischdecken. Nicht so dieser Laden an der Ecke Marcobrunnerstraße/Eltviller Straße. Hier gab es Stuck, urige Holzmöbel und abgewetzte Sofas. Von den Wänden schrien Plakate gegen die Ungerechtigkeit der Welt an und riefen zu Blockaden von Naziaufmärschen auf. Und die Menschen, die den Raum bevölkerten, sahen so unangepasst aus, wie ich mich damals fühlte. „Was für ein geiler Laden!“, dachte ich. Und das denke ich noch heute. Jetzt wird das Café Klatsch 30 Jahre alt.
Anders leben und arbeiten
Eröffnet wurde das Café Klatsch am 15. September 1984 von elf Menschen, die nicht nur eine alternative Form des Zusammenlebens suchten, sondern auch eine alternative Form des Arbeitens – selbstbestimmt, ohne Chef. „Wir wollten nicht nur unseren eigenen Lebensunterhalt verdienen, sondern auch genügend Geld, um damit andere Projekte zu unterstützen und weitere selbstverwaltete Betriebe zu gründen“, sagt Rainer, der Einzige von damals, der heute noch im Klatsch arbeitet. Mit dem Kultur- und Tagungshaus in Rauenthal, das sich 1988 gründete, gelang dies auch.
Mitte der 1980er Jahre war ein Laden wie das Café Klatsch in Deutschland keine Seltenheit. Die linke Szene war damals viel präsenter als heute. Der Widerstand gegen die Startbahn West, die Anti-Atomkraft-Bewegung oder gegen die Volkszählung sind nur einige Beispiele, die von dem Widerstandsgeist jener Zeit zeugen. In diesem gesellschaftlichen Klima gründeten sich viele selbstverwaltete Betriebe. Nur wenige davon gibt es noch heute. „Ich schätze, dass etwa 80 bis 90 Prozent davon entweder nicht mehr existieren oder mittlerweile nicht mehr selbstverwaltet sind“; so Rainer. Doch warum ist gerade das Klatsch eine rühmliche Ausnahme? „Es gab im Lauf der Jahre eine gewisse Fluktuation unter den Kollektivisten. Es sind immer wieder neue Leute dazu gekommen, die mit neuen Ideen frischen Wind gebracht haben, ohne dass der Laden seine Ideale verliert”, vermutet Rainer. Rund 180 Menschen dürften das in den vergangenen 30 Jahren gewesen sein.
Bio, fair, regional – Trendsetter Klatsch
Zu den Idealen zählte schon immer, möglichst fair gehandelte Produkte und Bio-Lebensmittel anzubieten, oder wenigstens welche aus regionalem Anbau – lange bevor die Discounter Fair-Trade- und Biosiegel für sich entdeckten. Und natürlich, dass es keinen Chef gibt, sondern jede Entscheidung vom zurzeit 14 Menschen zählenden Kollektiv getroffen wird. Das sei zwar oft anstrengendes Arbeiten mit viel Verantwortung, aber es mache auch mehr Spaß und bedeute mehr Freiheit als jede andere Form der Arbeit, findet Rainer. Und noch immer versteht sich das Klatsch als ein Ort für widerständige Politik. Neben zahlreichen Flugblättern, Büchern und Zeitschriften, die im Café ausliegen, finden auch immer wieder politische Veranstaltungen statt. Die sind im Vergleich zu früher zwar weniger geworden, was aber an der gesunkenen Nachfrage liege, sagt Rainer: „Wir bieten den Leuten ein Forum, aber sie müssen es auch nutzen.“
Der Verfassungsschutz schürt Misstrauen
Neben den Phasen, in denen es finanziell nicht so gut lief, gab es einen Vorfall, den Rainer als absoluten Tiefpunkt der Klatsch-Historie bezeichnet: die „Steinmetz-Geschichte“. Klaus Steinmetz war ein V-Mann des Verfassungsschutzes, der 1993 in Bad Kleinen war, als Birgit Hogefeld verhaftet und Wolfgang Grams bei einem Schusswechsel mit Beamten der GSG-9 ums Leben kam. Beide waren Mitglieder der RAF. Steinmetz war aber nicht nur V-Mann, er war auch in der linken Szene Wiesbadens aktiv und arbeitete kurze Zeit im Klatsch. „Wir wussten, dass der Verfassungsschutz ein Auge auf uns hat”, sagt Rainer, „aber dass die einen Spitzel bei uns einschleusen, hielten wir nicht für möglich. Da stellte sich schon die Frage, wem kannst Du noch trauen.” Dieses Misstrauen belastete die Arbeit im Kollektiv sehr, doch es hielt zum Glück nicht an.
Heute ist das Café Klatsch ein Ort, der zu allen möglichen Tages-, Abend- und Nachtzeiten von Menschen aller Altersstufen und sozialen Schichten besucht wird. Ein Relikt einer vergangenen Zeit, das zeigt, dass es sich lohnt, an Utopien und Idealen festzuhalten. „Wir sind der Beweis, dass ein Betrieb, in dem die Belegschaft das Sagen hat, auch wirtschaftlich funktionieren kann”, sagt Rainer. Und das wird am 6. September gefeiert: mit Straßenfest, Open-Air-Konzert und Party All-Night-Long. Doch damit ist die Geschichte noch lange nicht zu Ende, ist sich Rainer sicher: „In 20 Jahren feiern wir unseren 50. Geburtstag!” Ich freue mich drauf.
30 Jahre Klatsch – das wird gefeiert am Samstag, dem 6. September, ab 14 Uhr bis weit in die Nacht mit: Straßenflohmarkt (Anmeldung an der Theke oder telefonisch), Essen, Grillstand, Getränke, Kinderprogramm, Livemusik mit One Love Crew, Puerto Hurraco Sisters, Front, Nitribitts, Nyuki Bora Y Juan de Andalucia und drinnen Party mit diversen besten DJs.
*Der Autor hat sieben Jahre im Café Klatsch gearbeitet.
„Steinmetz war aber nicht nur V-Mann, er war auch in der linken Szene Wiesbadens aktiv und arbeitete kurze Zeit im Klatsch. „Wir wussten, dass der Verfassungsschutz ein Auge auf uns hat”, sagt Rainer, „aber dass die einen Spitzel bei uns einschleusen, hielten wir nicht für möglich. Da stellte sich schon die Frage, wem kannst Du noch trauen.”“
Zu Steinmetz gab es Warnungen aus anderen Städten (wenn mich nicht alles täuscht aus Karlsruhe und Saarbrücken). Jedoch wurden diese von „Queenmum“ alias Silja Funke ignoriert….