Von Selma Unglaube. Fotos Heinrich Völkel und Andrea Diefenbach.
Zu Acht in einer Wohnung! Dreier-WGs stellen bereits eine Herausforderung an das Zusammenleben dar, aber eine Achter-WG? Neugierig trete ich meinen Besuch im imposanten Altbau direkt am Dernschen Gelände an. Schon an der Haustür muss ich das erste Mal schmunzeln: Das Klingelschild liest sich wie die Hauptdarstellerliste eines Kinofilms. Wenige Augenblicke später führen mich Alex und Tatjana durch die Wohnung. Auf den ersten Blick erscheint sie mir gar nicht so groß. Aber es geht noch weiter um die Ecke, bis fast alle Zimmer besichtigt sind. Entlang des breiten L-förmigen Flurs reihen sich Parallelwelten auf: Die Zimmer sind so verschieden wie ihre Bewohner. Eines scheint überstürzt verlassen worden zu sein, mit zerwühltem Bett und Zetteln auf dem Fußboden verstreut, ein anderes ist mit Vintage-Möbeln eingerichtet, das nächste aufgeräumt und beinahe klinisch schick, ein weiteres mädchenhaft romantisch.
Die sympathischen Bewohner dieser WG sind allesamt ordentliche Studenten. Einzig der schlechte Zustand der Wohnung ist erschreckend: Strom fließt durch über 100 Jahre alte Leitungen, die Fenster sind undicht, die Heizkörper alt. Und der Vermieter, die Wiesbadener Wohnungsbaugesellschaft? Der weigert sich, so berichten die Bewohner, die Wohnung zu sanieren, aus angeblichem Geldmangel. Dabei erhöht die GWW alle zwei Jahre pünktlich die Miete, die momentan 2280 € beträgt.
Rot für Besetzt!
Es gibt viel zu entdecken in der Wohnung, mein persönliches Highlight ist die Klo-Ampel im Flur. Sie leuchtet rot auf, sobald das einzige WC besetzt ist. Und auch ein Bad müssen sich alle teilen. „Wir kommen uns selten in die Quere, da nie alle zur gleichen Zeit da sind und wir sehr unterschiedliche Tagesabläufe haben.“, erklärt Tatjana lapidar und Alex stimmt ihr zu.
Als Gemeinschaftsraum dient die Küche. Wir setzen uns an den Esstisch, wo ich auf dem einladenden Sofa platz nehme und erfahre, dass die WG vor 29 Jahren als Verein zur Förderung des Wohnraumangebotes für Studenten in Wiesbaden e.V. gegründet wurde und sich nach wie vor als solcher versteht. Vereinsmitglieder sind die Bewohner, und wie in jedem Verein gibt es auch hier einen 1. Vorsitzenden, dessen Stellvertreter sowie einen Kassenwart.
„Das hier ist meine Familie.“
Darwin lebt seit fünf Jahren in der WG und ist somit der Veteran der aktuellen Konstellation. Außer den zwei Neuzugängen, die erst seit einem knappen Jahr dabei sind, und Sepp, der nie da ist, leben die anderen seit drei Jahren mit Darwin zusammen und bezeichnen sich als „ Kern-WG“. Liebesbeziehungen untereinander werden von allen nicht gerne gesehen: „Sie verändern das Klima.“ Gegeben hat es sie in anderer Konstellation natürlich schon. Gut gegangen ist es aber nie. Aber Freunde seien die Bewohner, beteuern alle. Alex betont, sie seien keine „Zweck-WG“, und Darwin fügt dem hinzu: „Das hier ist meine Familie.“
Sobald ein Zimmer frei wird, inseriert die WG auf www.wg-gesucht.de und lädt die Bewerber zum Casting ein. „Bei uns gibt es keine Demokratie.“, erläutert ausgerechnet Darwin das Auswahlverfahren. „Wenn einer dagegen ist, kann keiner einziehen. Wir Männer können uns schon manchmal arrangieren, das soll jetzt nicht nach Machismo klingen, aber wenn eine der Frauen ‚Nein’ sagt, zieht hier keiner ein. Frauen machen nämlich Krieg.“ Auch die Aufgabenverteilung ist klar geregelt. Statt eines Putzplans hat jeder Bewohner eine feste Aufgabe, der wöchentlich nachgegangen wird.
Stage-Diving vom Kleiderschrank
Alljährlich im Herbst findet eine Party anlässlich des WG-Geburtstages statt, zu der rund 300 Gäste kommen – keineswegs nur Freunde und Bekannte der Bewohner. „Richtig schlechte Erfahrungen haben wir mit so vielen Gästen noch nicht gemacht.“, beteuert David. Nur einmal wurde ein Mädchen beim Klauen erwischt. Erwähnenswert hingegen findet er die Auftritte der Bands Torpedo Head und Rokoko, bei denen einige Gäste von Kleiderschränken aus in die Menge sprangen. Was für eine Party!